Oberammergau, 7.7.1957, an Ch. Rumold: „Schatz, bis Du den Brief erhältst, ist es Dienstag und deshalb sollte ich ihn vielleicht im Dienstagmorgen-Geiste schreiben, aber es ist halt jetzt Sonntag – lies ihn bitte in einer ruhigen Nachmittagsstunde nochmal. Die Sonne scheint so friedlich in unsere Werkstatt. Ich habe heute länger geschlafen, wollte Dir dann gleich schreiben, habe aber gesehen, daß Dich der Brief morgen doch nicht mehr erreicht und dann halt ein bissel geschnitzt oder geputzt an der Lampe, meiner Sonntagsschnitzlerei. Das Radioprogramm war recht schön. Das Kaffeetrinken hab ich dann auf elf Uhr verlegt, das ist so günstig, weil, wenn ich bis halb zwölf gemütlich kaue und trinke, eben gleich das Mittagessen einbezogen werden kann. Als ich wieder alles verstaut hatte, kam einer meiner Kumpels, der Anderl, um ein bissel zum bruddeln. Er ist einer der wenigen Menschen, mit denen ich gerne so ein bissel bruddle. Es gefällt ihm dann die Radiosendung nicht, die ich geholt habe, und wenn ich auch noch die Uhr aufgezogen habe, so daß er’s nicht mürrisch machen kann, stellt er sich hinter mich und wackelt von einem Bein auf das andere. Bis ich ganz urbayrisch schimpfe, so ‚am Oa…‘ – nein, ich schreib’s besser nicht. Ich ging danach ein wenig mit ihm auf die Straße, da stehen vor unserem Haus unter einer Linde zwei Bänke und wenn ich da eine Weile bei ihm sitze, mit seiner Sonnenbrille auf der Nase, sind wir eigentlich beide zufrieden. Und der Verkehr fließt an einem vorbei, also ich kann Dir sagen, man weiß nicht wohin zuerst mit den Augen. Die Omnibusse voll winkender Menschen, die älteren Ausländerinnen in farbenschreiendster Aufmachung. Energisch aussehende Männer mit schönen Frauen. Alles lacht, schwitzt und so weiter.“
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Filialleiter bei Dettlinger?
Im Laufe der sechs Jahre (1956-1962) in Oberammergau überlegte mein Vater immer wieder (mehr oder weniger ernsthaft), ob es nicht eine Karlsruher Alternative gäbe, das heißt: ob er nicht auch in einer Werkstatt in Karlsruhe als Geselle arbeiten könnte, um die für die Ablegung der Meisterprüfung nachzuweisenden Gesellenjahre zusammen zu bekommen. Die Möglichkeit einer derartigen Möglichkeit zeichnete sich im November 1957, also am Ende seines ersten Jahres im Ammergau, ab. Bei „Herrn Dettlinger […] (dem Alten)“ handelt es sich vermutlich um den Sohn des Freiburger Holzschnitzers Joseph Dettlinger (1865-1937) und damit um den Vater des 2008 in Freiburg verstorbenen Josef Dettlinger. Bei Wikipedia wird dieser Josef (1930-2008) als Sohn von Joseph (1865-1937) bezeichnet, dabei war der jüngere Josef wahrscheinlich der Enkel des älteren Joseph und der Sohn des „Herrn Dettlinger“, mit dem mein Vater sich getroffen hat.
Oberammergau, 2.11.1957, an Ch. Rumold: „Eben habe ich mich von Herrn Dettlinger verabschiedet (dem Alten). Er hatte mit Kinsler durch die Gewerbepolizei Schwierigkeiten bekommen, aber wie er sagte, ginge der Schuß des H. Kinslers auf diesen zurück. Es kam mir das Geringkämpfel der beiden etwas abgeschmackt vor, aber ich mache mir Gedanken über einen Vorschlag von ihm. Er will bei der Brauerei Höpfner ein Stück Land pachten und einen Geschäftszweig errichten und ich soll bei ihm die Filiale übernehmen, wenn alles soweit kommt. Ich könne ja dann bei ihm meine Meisterprüfung machen. Ich habe mir nun bis jetzt gedacht: Absagen tu ich mal nicht. – Wir können ja miteinander an Weihnachten in Ruhe darüber reden zu Hause, Du und ich. – Ja einen kleinen Auftrag soll ich ihm noch machen, einen Christus, den er gesehen hat und dann hat er mir noch ein gutes Mittagessen bezahlt. Ich wäre halt doch glücklich, wenn ich bei Dir und unserem Buben sein könnte. In Karlsruhe ist ja auch eine Lehrerakademie. Das Lernen und Arbeiten macht mir im Augenblick viel Freude.“
Doch schon eine Woche später, am 11.11.1957, sieht er keinen innerehelichen Gesprächsbedarf mehr (jähe Entschlüsse waren bei ihm eher die Regel als die Ausnahme), denn er schreibt: „Mit Herrn Dettlinger werde ich kaum ein Geschäft eingehen, denn ich habe mich nach einigem Überlegen doch dazu entschieden, meinen Weg so weiterzugehen, wie ich es mir vorgenommen habe.“
Nichts Genaues wusste man nicht
In einem Ammergauer Lied heißt es: „Heut kommt der Hans zu mir, / Freut sich die Lies‘ / Ob er aber über Oberammergau, / Oder aber über Unterammergau, / Oder aber überhaupt net kommt, / Des is‘ net g’wiss.“ Ob, und wenn ja: wann mein Vater wieder einmal für ein paar Tage nach Karlsruhe kommen würde, war in der Ammergauer Zeit niemals net g’wies, wie man in Bayern in doppelter Verneinung sagen würde. Und wenn er kam, war wiederum net g’wiss, ob er auch wirklich da sein würde. Seine Pläne für Ostern 1957 sind in dieser Hinsicht aufschlussreich. Am 14.4.1957, am Sonntag vor Ostern, schreibt er aus Oberammergau an seine Frau: „Also ich habe mir folgendes Programm festgelegt. Freitagmittag komm ich mit dem letztmals genannten Zug bei dir an. Samstag haben wir ganz für uns. Am Sonntag muß ich das Kreuz beschriften und Ölen. Montagmittags fahre ich nach Ludwigshafen [dort lebte die Mutter] und Dienstag bin ich wieder bei dir. Ich habe vor am Mittwoch wieder hierher zu fahren, damit ich noch mindestens zwei Christus schnitzen kann und den bezahlten Karfreitag und Montag kassieren kann.“
Im Konzert: Schubert, Bartok, Beethoven
Oberammergau, 16.3.1958, an Ch. Rumold: „Und denk nur, was ich mir am Freitagabend erlaubt habe. In Garmisch war ich im Konzert der Münchner Philharmoniker. Nun, das wäre an und für sich nicht so schlimm, aber ich hatte mir den besten Platz genommen für acht Mark. – Es war wunderschön. Mit Franz Schuberts Unvollendeter, es waren zwei Sätze, wurde der Abend eingeleitet und der Meister verstand es mit der reifen Romantik einem die Alltagsgedanken auszuziehen und gab ein kostbares Gefühl der Freude dafür. Es war aber auch eine Augen- und Ohrenweide, vom Balkon Mitte in der zweiten Reihe hatte ich einen Blick über den ganzen Saal und das Orchester. Die vielen Geigen und Kontrabaßgeigen und Flöten und Fagotte, die Hörner und Posaunen, die Harfe und ganz hinten vier Pauken um einen kleinen Mann gestellt. Den zweiten Teil füllte ein modernes Tonstück, eine Komposition von Bartok, aus. Das Stück wurde von einem Solisten mit Violine beherrscht und war von überraschend guten Gedanken modern auf klassischer Grundlage aufgebaut. Nun verstehe ich ja nicht viel von Musik, aber ich war doch ein bissel verzaubert. Ja und dann kam Beethovens Achte. Ich war nahe daran, enttäuscht zu sein. Ja es war Beethoven, meisterlich. Aber zu leicht, fast mozartartig. Er konnte das Moderne für mein Empfinden nicht übertrumpfen. Ich hatte auf das Packende des Bartoks nun ein Finale von Beethoven erwartet – aber es kam ein starker Mozart, ja, Mozart hat mich in ‚Don Giovanni‘ viel mächtiger gepackt. Doch ich erlaube mir da nicht zu viel Kritik. Es war doch ein sehr schöner Abend. Christl, mein Lieb, wärst du doch bei mir gesessen. Ich hatte den schwarzen Anzug an und das gute Hemd. Alles war sehr gut gekleidet. Aber die Musik hat mir doch eine Tür aufgetan und mich in eine wirklich schöne Welt sehen und hören lassen, von der ich nur zu gerne noch mehr hören möchte. Ich wurde von meinem Zahnarzt hingebracht und wir fuhren dann auch wieder gemeinsam zurück. In einem neuen Opel Olympia, wirklich prima fuhr der Wagen. Wir sausten nur so durch das tief verschneite Land. Ja, Schnee haben wir jetzt in Massen und alles hat ihn satt. Doch sicher ist bis Ostern der Frühling da.“
Schlafanzug und Traum und Hut tun ihm gut
Oberammergau, 6.4.1957, an Ch. Rumold: „Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, heute siebzig Mark schicken zu können, aber dann hielt ich es auf einmal nicht mehr ohne einen (man staune) Schlafanzug aus, und hoffte, Letzteren für so fünfzehn Mark zu bekommen und dann doch noch das richtige Geld schicken zu können. Aber dann kam dein Geliebter mit einem Schlafanzug für DM 33,- aus dem Laden. Es ist aber auch ein schönes Stück, wenigstens für meine Begriffe, so von zart fischblauer Farbe mit silbrigweißen Streifen. Hoffentlich sieht er nach dem Waschen noch genauso schön aus. Na, da bin ich also gestern glücklich schon um acht Uhr ins Bett und hab so gut geschlafen. Mir träumte, mein Vater sei gekommen mit einem großen Auto und war so glücklich, daß wir alle auf ihn gewartet haben. Er hatte auch nichts Wichtigeres zu tun, als gleich an mein Geschäft in Karlsruhe zu fahren. Ja, dann bin ich aufgewacht und hatte ein so zufriedenes Gefühl. Und beim Gang in die Werkstatt komme ich immer an einem Hutgeschäft vorbei, da gefallen mir jeden Morgen die netten Modelle und heute gefiel mir einer ganz besonders. Den hab ich gleich gekauft. Schatz, wenn dir das Hütchen nicht gefällt, kann man es umtauschen.“
Hände hoch, ich bringe Ihnen einundsiebzig Mark!
Mein Vater schickte meiner Mutter während der sechs Jahre (1956-1962), in denen er in Oberammergau bei Lang selig Erben als Schnitzer arbeitete, wöchentlich Geldbeträge zwischen vierzig und hundert Mark. In der Regel steckte er wohl die Scheine einfach mit in den Briefumschlag, gelegentlich tragen die Briefe am unteren Rand Vermerke wie „anb. 70,- DM“. Ein sicherer, wenn auch mit zusätzlichen Kosten verbundener Weg des Geldtransfers wäre die Zustellung per Geldbriefträger gewesen. Bis 1987 trugen diese „Geldboten der deutschen Bundespost“ (so die offizielle Bezeichnung) Pistolen bei sich, um im Fall der Fälle die Rente oder Postanweisung gegen etwaige Wegelagerer verteidigen zu können. Geldbriefträger gab es immerhin bis April 2002, nach 1987 waren sie allerdings nur noch mit Mobiltelefonen bewaffnet.
Oberammergau, 23.3.1957, an Ch. Rumold: „Unser Bub steht oft genug deutlich vor mir, der kleine Spatz. Wirf ihm bitte die eine Mark über den siebzig in seine Kasse. Ich habe das Geld diesmal einbezahlt, bin aber nicht ganz zufrieden, weil dieser Weg fünfzig Pfennige kostet, mit denen ich gerne etwas anderes angefangen hätte. Ich glaube, das nächste Geld schicke ich wieder im Brief. Heute am Samstag hatte ich einen richtigen Arbeitseifer, ganz im Gegensatz zum letzten. Es macht mir auch jetzt immer mehr Spaß, weil die Arbeit immer leichter von der Hand geht. Lieb, sag doch Herrn Geier, daß ich ihm eine geschnitzte Schachfigurenserie besorgen kann. Ich selbst könne sie leider nicht schnitzen, da ich dringend anderen Aufträgen nachkommen müsse. Die Preise liegen bei dreihundert Mark ohne Brett. Es sind das recht nett geschnitzte Figuren, aber eben auch teuer. Billiger sind sie in der Ausführung nirgendwo, denn das Zeug geht weg wie warme Semmeln. Es sind auch immerhin 32 Einzelfiguren.
Sonst bin ich wirklich zufrieden. Meine Kumpels werden mir immer lieber und die Arbeit leichter. Jetzt ist bei uns die große Zeit des ‚Hornsuchens‘. Horn sind Geweihe der Hirsche. Die werfen jetzt im März ab und die Kerle sind dahinter her, als wären sie aus Gold, dabei flacken sie bald in irgendeiner Zimmerecke, um zu verstauben. Aber es ist nicht erlaubt, diese Apparate zu behalten und so bieten sie eine anreizende Gelegenheit, den Jägern zu beweisen, daß sie Schlafmützen seien: bis die aufsehen ham mia Buam schon längst die Horn dahoam. Ja, und dann weiß ich jetzt auch, daß am 24. März die ersten Schwalben kommen und die Frösche schon da sind. Es gefällt mir ganz gut, wie die Kumpels das Jahr kennen und zu jeder Zeit ihre besonderen Ereignisse haben.“
Von einer fröhlichen Insel und einem, der auch zur See fahren will
Oberammergau, 23.2.1957, an Ch. Rumold: „Ich war heute am Bahnhof und habe mich nach der Zugverbindung orientiert und wenn alles gut verläuft, bin ich nächsten Samstagmittag 12:59 Uhr bei dir und Lothar. Lieb, in der Bahnhofshalle war ich mit meinem Empfinden schon in Karlsruhe, als da alles im Normaldeutsch sprach und sich ständig bewegte. Als ich dann wieder die Dorfstraße hinauf ging, mußte ich direkt umschalten. Na, ich werde glücklich sein, wenn du mit dem Buben auf mich wartest. […] Christl, gell, das letzte Mal war’s ein kurzer Brief. Ich hatte am Samstag gerade einen Brief an Waltraud fertig, da kamen meine Kumpels und ich zog mit ihnen los auf einen ‚Sportlerball‘. Es war auch ganz nett. Wir waren alle im Normalanzug vom Meister bis zum Stift und bildeten unter den Maskierten eine fröhliche Insel. Es war mir wirklich zum Vorteil während der ganzen Woche, denn jeder war froh, daß ich auch mal mitgemacht hatte und nicht stur wie sonst arbeitete. Es wurde schon vier Uhr am Sonntagmorgen bis ich ins Bett kam. Viel getrunken hatte ich nicht, aber es war trotzdem recht schön. Ja, der Waltraud habe ich geschrieben, denn ich wollte die Seemannsschule, die Günther besucht hat, wissen für unseren Hans. Der Bub rennt sich fast krankhaft den Kopf ein und will ab auf die See. Na, ich brauch diese übereilten Unmöglichkeiten ja nicht weiter auszuführen. Wenn ich ihn nur soweit bekomme, daß er zuerst seine Prüfung als Postler macht und dann diese Fachschule besucht und absolviert, damit er doch nicht als Hilfsarbeiter einmal umanander irren muß. An die Schule habe ich schon geschrieben und hoffe, daß sie baldigst antwortet.“
Genealogisches Aha-Erlebnis
Unter meinen Vorfahren der letzten drei bis vier Generationen war, wenn man den amtlichen Angaben Glauben schenkt, nicht einmal ein Pfarrer. Auch kein Haus- oder sonstiger Lehrer, erst recht kein Professor oder ähnliches. Aber nicht nur der allgemein geistlich-geistige, nein, auch der ganze musisch-künstlerische Bereich ist vollkommen unter-, ja weniger noch: überhaupt nicht repräsentiert. Ärzte gab es auch keine, noch nicht einmal dental dilletierende Barbiere, mit deren modernen, technisch aufgerüsteten Kollegen mein Vater schon in jungen Jahren mehr zu tun hatte, als ihm lieb gewesen sein dürfte – dies nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Er war noch keine 28 Jahre alt, da musste die zuvor nur überkronte obere vordere Reihe von neun Zähnen komplett ersetzt werden, wie er in einem Brief vom 9. Februar 1957 detailliert erläutert.
Stattdessen gab es mütterlicherseites mindestens einen Schreiner- und einen Glasermeister, einen Landwirt, einen Holzhauer und einen Bahnarbeiter, als dessen Pendant väterlicherseits man vielleicht den 1881 im Schwäbischen geborenen Postillion Georg Adam Jakob Rumold ansehen kann, der dann vor 1905 die aus dem bayerischen Uffing (nicht weit von Oberammergau) gebürtige Köchin Kreszenzia Mayr geheiratet hat. War sie ihm etwa bei einer dienstlichen Fernpostkutschfahrt in Uffing vor die Pferde gelaufen?
Was noch? Ein Postbeamter, ein Gutspächter, ein Söldner, ein Fabrikarbeiter und ein Schneider. Also vielleicht kein Wunder, dass ich mich im Studium immer ein wenig wie im falschen Film fühlte, ohne dass ich hätte sagen können, welches denn der richtige Film für mich gewesen wäre?
Alle Wege führen nach Oberammergau
Ende Oktober 1956 war mein damals siebenundzwanzigjähriger Vater mit seinem nur wenig älteren Bruder Günther mit dem Auto unterwegs im Voralpenland – wohl um die Landschaft in Augenschein zu nehmen, deren Teil mein Vater nun werden sollte. Denn wenig später arbeitete er schon für Lang selig Erben in Oberammergau als Holzschnitzer. Die Ansichtskarte stammt vom 22.10.1956, von meinem Vater irrtümlich mit 1957 datiert. Konnte er es damals schon kaum erwarten, wieder nach Karlsruhe zu seiner Familie zurück zu kehren? Obwohl die Jahre im Ammergau einmal die glücklichsten seines Lebens gewesen sein würden?

An Ch. Rumold: „Garmisch, 22.10.57 – Herz! Man kann sich drehen wie man will, es ist immer schön. Gruß und Kuß von deinem Berthold“
Was wird aus Hans und: einmal Gesichtnachschnitzen für zehn Mark bitte!
Oberammergau, 12.1.1957, an Ch. Rumold: „Meine Elternhausfamilie macht mir augenblicklich leider etwas Sorge, sogar ein bissel viel. Unser Hans [damals sechzehneinhalb] wird scheinbar nahezu unerträglich für meine Mutter und sich selber. Nun habe ich mir überlegt, ihn zu mir zu nehmen und bin deshalb schon hier auf dem Postamt gewesen. Der Postvorsteher sagte mir auch eine Verwendungsmöglichkeit für Hans im hießigen Postdienst zu. Es ist ja bei Hans so, daß er nicht gegen den Postberuf als solchen erbost ist, sondern gegen den Hitlerjugenddrill seiner Vorgesetzten. Letzteren schreibt man im gemütlichen Ammergau ja ganz klein. Ich hoffe auch, daß er hier ein ganz neues Lebensgefühl bekommen wird. Zuerst die Umwelt, die Berge, dann eine Verantwortung im selbständigen Berufsleben, und dann hoffe ich, daß sein Sinn keine Schulden zu machen, sondern zu sparen und somit langsam etwas zu erreichen, ihm auch seinen Beruf wieder schmackhaft macht. Ich werde alles daran setzen, ihm seinen Beruf zu erhalten, und nur wenn es gar nicht anders geht, soll er in München im Tierpark Hellabrunn die Möglichkeit, als Tierpfleger zu arbeiten, einmal in Augenschein nehmen. Das liegt ihm vielleicht am besten, wenn es nicht eine augenblickliche Jugendneigung ist. Ich halte ihn nämlich trotz allem für den geborenen Postler. Wenn wir ihn nur gut über die nächsten zwei Jahre bringen, dann bleibt er schon in seinem Beruf.“
Oberammergau, 2.2.1957, an Ch. Rumold: „Die Sache mit Siegfried [es ging wohl um den Verkauf einer geschnitzten Figur] kommt mir sehr gelegen. Sie hat nur den Nachteil, daß ich mit der Schnitzausführung nicht zufrieden bin. Es wäre mir recht, wenn Siegfried vorher zum Bildhauer Hartmann hinter der Marienkirche in der [Karlsruher] Südstadt ginge und bei ihm, mit einem Gruß von mir, das Gesicht etwas nachschnitzen ließe, aber höchstens zehn Mark dafür ausgeben soll.“
