Archiv für den Monat: März 2015

An der Schwelle zum richtigen Bildhauer

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 1.8.1960: „Ich zapple verbissen an der Schwelle zum richtigen Bildhauer und schnitze nun schon vierzehn Tage an einem Riemenschneider-Georg, der mir im Augenblick fast nur Ehre einbringt. Aber diese Achtung brauche ich und ich werde auch einmal schneller an den guten Figuren werden, doch jetzt geht es mir um schöne saubere Arbeit. Vor drei Wochen habe ich eine Maria hingestellt, die zu meinem Glück so gut gelungen war, daß sie von meinem Chef mit seinem Namenszug signiert wurde und einen halben Tag lang im Laden stand und schon verkauft war. Schatz, ich schreibe diese Protzerei, weil ich dir und den Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen habe. Wenn wir dein Geld nicht hätten, sähe es arg böse mit unserer Wirtschaft aus. Und doch bin ich in der Arbeit jetzt etwas zufriedener. In den letzten Wochen habe ich immer wieder gedacht, daß ich mit der eigenen Christusschnitzerei niemals ein Meisterniveau erreichen kann. Jetzt geht es ein bissel besser. Es warten zwei gute Aufträge zum Aushauen auf mich, und wenn die wieder hinhauen, hoffe ich, daß ich weiter komme.“

Die hier geäußerten Selbstzweifel meines Vaters und seine Bedenken im Hinblick auf seine Qualifikation als Meister-Schnitzer (nach vier Jahren Oberammergau) waren alles andere als gerechtfertigt. Man sehe sich nur einmal an, wie relativ wenig technisches Können für die Ausführung des (mit der Note „gut“ bewerteten) Meisterstücks dann zwei Jahre später tatsächlich erforderlich war.

Die gute böse Frau wird achtzig

Aus einem Brief an Ch. Rumold vom 16.5.1959 aus Oberammergau: „Heute Abend nehme ich meine Wirtin mit ins Kino. Die gute böse Frau wurde dieser Tage achtzig Jahre. Das ganze Dorf hat sie beschenkt und sie ist glücklich, weil doch jeder ihre scharfe Zunge fürchtet und ihr trotzdem eine mehr oder weniger große Geburtstagsfreude gemacht hat. Der Film heißt: Die Zehn Gebote. Es wird ein so theatralisches Gespiele sein wie die Passion.“

Umsichgreifende Herkunftsunsicherheit

2014 erschien Peter Sloterdijks „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Das Buch thematisiert unsere zunehmende Unfähigkeit und Unwilligkeit, kulturelle Erben zu sein. Ausgehend von Europa und den USA breite sich eine globale „Herkunftsunsicherheit – nenne sie Enterbung, Bastardentum oder Hybrid-Identität“ (so der Klappentext) aus. Väter, die Söhne nicht annehmen, und Söhne die sich für vaterlos erklären oder es tatsächlich sind.

„Du kennst die Anfänge nicht, die Enden sind dunkel, irgendwo dazwischen hat man dich ausgesetzt. In der Welt sein heißt im unklaren sein. Am besten ist es, man hält sich an den Schein des Sich-Auskennens in der näheren Umgebung, die man seit einer Weile die „Lebenswelt“ nennt. Verzichtest du auf weitere Fragen, bist du vorläufig in Sicherheit.“

(Peter Sloterdijk: Die schrecklichen Kinder der Neuzeit, S. 9 f.)

Die Spatzen flattern auf dem Dorfe oder: in Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt

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Die Spatzen (Barbara und Lothar R.) auf dem Dorf (Wälde bei Freudenstadt), Sommer 1960.

Brief aus Oberammergau am 25.8.1960: „Liebe Christl! Vielen Dank für deinen Brief vom Freitag und Montag. Schatz, ich freue mich für dich, wenn du einmal ein paar Tage für dich selbst hast und unsere Spatzen auf dem Dorf herumflattern.“ Das Dorf war damals eines wie es heute nur noch im Buche steht oder zum Beispiel in Rumänien besichtigt werden kann: mit einer notdürftig asphaltierten, so gut wie nicht befahrenen Hauptstraße, mit Hühnern und Hasen hinterm Haus, Gänsen am Bach und einem Plumpsklo ohne Wasserspülung eine halbe Treppe tiefer bzw. höher.

Weiter heißt es im selben Brief: „Christl, es wäre natürlich möglich, daß ich komme und wir mit Siegfried nach Wälde fahren. Aber ich sträube mich bei dem Gedanken, daß wir nur wenig Geld in der Tasche haben. Das peinliche Gefühl dabei habe ich nur zu oft erlebt. Christl, Schatz, bitte mache einmal für dich in Karlsruhe Urlaub, gönne dir am Abend einen Spaziergang ins Café und schlafe am Morgen ein bissel länger. Ich bin ja auch hier von Herzen zufrieden, wenn ich an einem Nachmittag bei schönem Wetter an einem Bache liegen kann. Ein bissel lesen und dann die Berge anschauen und mal ins Wasser – so bin ich glücklich. Jetzt haben wir ja endlich das ersehnte Sommerwetter und alles ist gleich viel besser gelaunt. Am Nachmittag sitzen wir [i. e. die Holzschnitzer der Fa. Lang] da gerne für eine Stunde vor einem der Hotels unter dem Sonnenschirm und lassen uns bedienen als ob wir in Urlaub wären. Ich habe aber auch jetzt so einen netten Kameraden. Er ist unser ‚Aushauer‘ und macht nur die großen Sachen. Er war jetzt vierzehn Tage krank, so daß ich seine Aufträge ausführen konnte. Aber ich kann halt doch nicht das, was er kann, und so muß ich wieder zu meinen Herrgöttlen zurück. Bis ich diese Wahrheit einmal verdaut habe, wird es mich noch manchmal würgen. Es ist halt eine Talentsache, das Bildhauern. Der Toni (das ist der Aushauer) sitzt die meiste Zeit herum und liest einen Roman um den andern. Um die Kunst schert er sich einen Dreck, aber wenn man ihm eine Zeichnung gibt und einen Brocken Holz, dann haut er drauflos und stellt einem die besten Figuren danach hin. Er hat’s halt in sich. Christl, ich möchte hier bleiben und meiner Arbeit nachgehen und zwischendurch mal ein bissel bummeln. In Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt mit ihren Leuten und ihrem Luxus, den wir uns ja doch nicht leisten können, aber immer vor die Nase gehalten kriegen. Wenn ich alleine bin denke ich gar nicht an das Zeugs und bin so zufrieden.“

Die Berge strahlten in glitzerndem Schnee

Kunstkarte aus Oberammergau am 10.11.1960: „Mein lieber Lothar! Ich möchte dir einen lieben Gruß beilegen. Auf der Bildseite ist Maria mit dem Jesuskind zu sehen. Warum der Josef den Stock hoch hält, weiß ich nicht. Sicher gibt er acht, daß niemand dem Kindlein und seiner Mama etwas tut. Lothar, wie geht es dir und Barbara? Schade, daß du bei dem schönen Wetter nicht hier sein kannst. Unsere Berge strahlen in glitzerndem Schnee bei dem schönen Wetter. Leider geht’s halt nicht immer wie man will. Jetzt sende ich dir, Barbara, Mama, Oma und O. Siegfried viele liebe Grüße – dein Papa.“

Gerard David (1460-1523): Die Heilige Familie bei der Rast auf der Flucht nach Ägypten

Gerard David (1460-1523): Die Heilige Familie bei der Rast auf der Flucht nach Ägypten

Wenn es nicht die Grenze zum Blasphemischen berühren würde, könnte einem in den Sinn kommen, dass die von Gerard David so schön ins Bild gesetzte Szene auf gewisse Grundzüge der damaligen Situation der Familie Rumold verweist: Mutter und Kind(er) in sphärisch geschlossener Zwei- bzw. Dreisamkeit, während der nominelle Vater durch Abwesenheit glänzt und in einiger Entfernung unverständliche Dinge treibt.

Was am schwersten fällt oder: An die Bande gebunden

Aus einem Brief an Ch. Rumold, Oberammergau, 12.11.1960: „Ich würde am liebsten nächstes Wochenende wieder zu dir und den Kindern fahren, aber das geht mit dem Geld natürlich nicht. Ich weiß selbst nicht, wie mir das immer passiert, daß ich jedesmal zwei Wochen brauche, bis ich wieder ins Gleichgewicht mit der Arbeit komme. Doch es wird auch wieder Weihnachten werden. […]  Diese elende Meisterprüfung liegt mir im Magen, aber noch wichtiger ist mir, daß ich mich einmal aufraffe und das Leben hier mit dem Land abschütteln kann, das fällt mir noch schwerer als alles andere. Schatz, du solltest sehen was wir in der Werkstatt für eine gemütliche Ecke gebaut haben mit Hirschgeweih und rohen Stühlen und Tisch. Natürlich haben wir alles schon eingeweiht vorige Woche an einem nebeligen, verschneiten Tag, wo es zum arbeiten zu dunkel und zum Licht anzünden zu hell war. Ich werde von der Bande nur loskommen, wenn ich mich selbständig mit eigenem Geschäft machen kann. Nächste Woche kommt nocheinmal so ein Abend. Unser Toni hat einen Buben bekommen. Heute morgen um halb sieben. Als ich in die Werkstatt kam, saß er ganz zerschlagen da.“

„Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten.“

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 24.11.1956: „Meine liebe Christl! Es ist Samstagabend und nur der Josef sitzt bei mir in der Werkstatt und schnitzt seine schönen Christuskörper. Heute habe ich um zwölf Uhr meine Eisen weggelegt und bin in mein Zimmer, um mal ein bissel zu schlafen. […] Ich hatte es nötig, denn es wird nahezu jeden Abend zwölf oder ein Uhr bis ich aus der Werkstatt komme. Ich fühle mich halt wirklich wohl und mein Hunger zu lernen ist unersättlich. Es macht mir viel Freude, an meinen Arbeiten zu sehen, wie sie von Stück zu Stück besser werden. Manchmal werde ich ja ungeduldig, wenn ich an einer bestimmten Körperstelle, z. B. gerade an den Rippen, einfach nicht unter einer Stunde fertig werde und die anderen schnitzen so schnell darüber hinweg. Allerdings kann man den Brustkasten dann auch ansehen, das entschädigt mich wieder. Um fünf Uhr werde ich müde und das Eisen legt keinen richtigen Schnitt mehr hin, dann gehe ich hinaus aus der Werkstatt und schnappe auf einem schönen Waldweg frische Luft und wenn ich etwas verzagt bin, weil es mir noch nicht schnell genug geht, so geben mir die Berge mit ihrem großen Anblick immer wieder neue Arbeitsfreude. Ich stehe noch immer auf 75 Mark in der Woche. Das ist aber brutto und ausbezahlt bekomme ich 66,66. In einer Woche komme ich bestimmt um einen Christus höher, daß ich dir sechzig Mark in der Woche schicken kann. […] Wir, d. h. gerade unser Geschäft braucht dringend neue Modelle. Wir waren noch vor einigen Jahren das führende Geschäft in Oberammergau, wurden aber von einem lebendigen Meisterbetrieb überholt. Der Andere bringt immer neue Gedanken ins Holz und wenn sie auch nicht besonders geistreich sind, so bieten sie doch der Kundschaft eine reiche Auswahl, für jede Gelegenheit das Passende zu schenken. Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten. Zum Glück verstehe ich mich bis jetzt mit allen Leuten sehr gut und will’s auch so weiter halten. […] Bei aller Vielzahl der Gedankengänge kommt immer wieder meine große Liebe zu dir und dem Buben und eine andere Liebe zu der Arbeit als Holzbildhauer durch. Ich weiß, daß beides unauslöschlich in mir lebt und hoffe, daß die Zeit auch Rat mit sich bringt.“

Purzelbäume zwischen Publikumsgeschmack und Lehrmeinung

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 16.1.1962 „Im Geschäft bereiten wir uns wieder auf die Frankfurter Frühjahrsmesse vor. Dafür habe ich wieder viel Arbeit und Herr Lang spricht gerne mit mir über neue Formen in der modernen Art. Leider kann ich wirklich nicht aus eigenen Ideen allein Neues schaffen, aber wir suchen gemeinsam nach einigen guten Formen und sind uns dabei ziemlich einig. Anders sah es in der Schule aus. Herr Huber will ganz andere Formen. Eine entschieden geschlossene Bildhauerarbeit. Streng in den Gesetzen eines Baumes und gewonnenen Kunstgesetzen. Aber da setzt es bei mir genauso aus. Obwohl, das Letztere ist mir lieber, aber ohne Lehrergehalt und ohne Genius muß ich mich halt doch nach dem Kitschgeschmack beugen. […] Christl, so geht es halt purzelbaumschlagenderweise weiter.“

Im Relief verewigt: ab 1952 ein Paar

1952 war vermutlich das Jahr, in dem mein Vater und meine damals 17jährige Mutter (das Ch. B. im unten abgebildeten Relief steht für Christel Burst) sich ernsthaft ineinander verliebt haben. Jedenfalls muss am Fastnachtsdienstag 1952 eine wichtige Etappe auf dem Weg zur dauerhaften Zweisamkeit erreicht worden sein – woran sich mein Vater in einem Brief aus Aalen im darauffolgenden Jahr erinnert: „Weißt noch? Heut ist Rosenmontag und morgen Dienstag, Fastnachtsdienstag. Ach könnte ich um zwölf Uhr doch die Zeit ein Jahr zurückdrehen. Gell, die Fastnachtsküchle auf dem Tisch haben uns damals gar nicht besonderes interessiert. Dein Nahesein schaltete das alles aus. Ja und dann hattest du dich sogar noch erkältet auf der kalten Erde an unserem Abhang. Aber es war so schön nach dem langen Winter wieder den lieben Weg zu gehen. Den Kerl, der uns beim Runtergehen im Dorf belästigen wollte, wurden wir ja glücklich los.“ (Brief an Ch. Burst am 16.2.1953 aus Aalen)

tuerfuellungen

Berthold Rumold: Reliefs (ehemals Türfüllungen an einem Wäscheschrank), je 95 x 41 cm