Schlagwort-Archive: Kruzifix

Der Herrgott ist eine Ammergauer Spezialität

Oberammergau, 14.12.1957, an Ch. Rumold: „Zum Schreiben kam ich vor lauter Arbeit nicht, es ging wirklich ‚rund‘ in dieser Woche. Ich kam auf 159,- Mark zum Verrechnen. Aber bei Dir scheint ja im Geschäft auch allerhand Arbeit anzukommen. Christl, ich habe fest mit dem Kopfe genickt bei Deinen Worten, es sei Dir heute unerklärlich, weshalb Du einen Handarbeitsberuf gelernt hast. Nun, daß Du nähen kannst, ist schon gut, aber gell, wenn man die Buchhalter und sonstigen Kopfarbeiter betrachtet, da schüttelt man über sich selbst den Kopf, denn wie hart tun wir uns, um hundert Mark in der Woche zu verdienen, und die brauchen sich nicht sonderlich anzustrengen und kriegen’s auch. Daß man doch mit dreizehn Jahren das nicht begriffen hatte. Nun, ich arbeite darauf hin, daß es einmal besser wird, und Du packst es ganz bestimmt. Jetzt packt mich aber der Schlaf. Ich sollte schon seit acht Uhr im Bette liegen. So lautet wenigstens mein Arbeitsprogramm, das ich seit vierzehn Tagen gut einhalten konnte und mich wirklich vorwärts brachte. Am Abend um acht im Bette und in der Frühe halb vier raus (das Aufstehen fällt mir nach acht Stunden Schlaf bestimmt nicht schwer), bis zum Nachmittag habe ich dann einen Herrgott fertig, schleife eine Stunde meine Eisen und kann von vier bis halb acht Uhr lernen. Es ist mir sehr wohl dabei.“

Später Kreuzweg als visueller Schlussakkord

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Tonmodell (1990/91) eines geplanten Kreuzwegs für die katholische Kirche St. Martin in Karlsruhe-Rintheim.

Die Arbeit wurde nicht mehr ausgeführt. Ein Kreuzweg besteht in der Regel aus 14 räumlich linear angeordneten Einzeldarstellungen, die von den Gläubigen bzw. den Betrachtern nacheinander meditativ-rezeptiv abgegangen werden können. Das Zugleich des Bildes widerspricht bei der von meinem Vater Berthold Rumold gewählten Darstellungsvariante dem zeitlichen Nacheinander des unterstellten historischen Ablaufs. Die drehbuchartig narrativ unterscheidbaren Einzelszenen von der Festnahme bis zur Grablegung Christi werden als ein einziges Gesamtgeschehen in situativer Synopse zu einem einzigen Gesamtbild arrangiert. Dadurch fehlt aber der pseudo-fotografische Charakter der konventionellen Stationen-Bilder. An seine Stelle tritt das „Abbild“ eines komplexen Ereignisses höherer, symbolischer Ordnung, bei der die räumliche Gliederung einer zeitlichen Gliederung korrespondiert. Musikalisch gesprochen, hat man es nicht mit einer Tonfolge, sondern mit einem Akkord, nicht mit einer Melodie, sondern mit einem Cluster zu tun, wobei das wandernde Augen durchaus in der Lage ist, den inhärenten melodisch-linearen Charakter der bildkünstlerischen Komposition zu rekonstruieren.

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Detail, Jesu Festnahme und Verurteilung

 

Betrachtungen bei einer Zigarette in Lauchheim 1953

Aus einem Brief an Ch. Burst aus Lauchheim am 1.9.1953: „Langsam ging ich in ein Geschäft kaufte mir eine Zigarette und spazierte einen sogenannten Stationenweg zu einer Wallfahrtskirche vor die Stadt. Ein seltsames Gefühl ist das, wenn man mit der Zigarette in der Hand die Leiden unseres Heilandes von Pilatus aus verfolgt, bis zur Grablegung. Ich bekam das erste Mal vor einem Bild, und sogar noch vor ganz gewöhnlich ja nahezu kitschigen Ausführungen, einen Schauer und ein Miterleben der Leiden unseres Herrn. Als er zum ersten Mal hinfiel, der Augenblick der Kreuznagelung, der für mich immer der schrecklichste Gedanke war, denn mit dem Einschlagen der Nägel in das Fleisch Gottes wurde der Tod des Lebens Wirklichkeit. Es ist für mein Empfinden schlimmer als das grausige Hängen am aufgestellten Kreuze. Endlich wurde er abgenommen und behutsam ins Grab gelegt. – Und ich ging weiter, setzte mich unter einen Lindenbaum und schaute, versonnen meine Zigarette weiterrauchend, auf das Lauchheim.“

(Siehe dazu auch diesen Beitrag: Später Kreuzweg als visueller Schlussakkord.)

Mein Vater hatte 1953 erst eine Zeitlang in Aalen in einer Ziegelei gearbeitet und war dann ins benachbarte Lauchheim gezogen, um dort in einer nicht näher bezeichneten Werkstatt zu arbeiten, obwohl er in der Fabrik besser bezahlt worden wäre. Einer der Gründe für den Wechsel lag wohl in dem von ihm so genannten „Sabbatkampf“ mit den Adventisten, in deren Kreisen er verkehrte. Damals war der Samstag (für Nicht-Adventisten) noch ein beinahe normaler Arbeitstag, doch für die Advent-Gemeinde rührte der Verstoß gegen das Gebot der Sabbat-Ruhe an die Grundlagen ihres Selbstverständnisses. Denn als „Siebenten-Tags-Adventisten“ hatten sie sich gerade das Dringen auf die Beachtung des samstäglichen Arbeitsverbots zu ihrer ureigenen Aufgabe gemacht.

Eine andere Art von abstraktem Expressionismus

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B. Rumold: Holzgrabmal mit Christus, 1960er Jahre

Hier eines von mehreren hundert Holzgrabmalen, die mein Vater in den 30 Jahren zwischen 1962 und 1992 geschaffen hat. Wenn er einen persönlichen „Stil“ hatte, dann war es wohl dieser an der nebenstehenden Darstellung eines gewissermaßen halb gekreuzigten, halb schon auferstandenen Christus erkennbare, leicht abstrakte Expressionismus. Christus-Bilder ziehen sich leitmotivisch durch sein ganzes Werk. Immer wieder ist es natürlich der Gekreuzigte, dann aber auch das Jesus-Kind (etwa im Christopherus-Brunnen) oder der Auferstandene mit und ohne Fahne. Auch seine Entscheidung, ausgerechnet im Passionsspielort Oberammergau sechs Jahre seines Lebens zu verbringen, ist unter diesem Aspekt rätselhaft schlüssig. (Und er verließ das Dorf der Leiden Jesu im Christus-Alter von 32 Jahren!) Als er im Februar 1992 unerwartet starb, arbeitete mein Vater gerade am Entwurf eines Kreuzwegs für die Kirche Sankt-Martin in Karlsruhe-Rintheim, für die er bereits einen überlebensgroßen Christus am Kreuz geschaffen hatte. Der Grund für diese Christophilie (sofern man überhaupt nach Gründen dafür suchen will) mag einerseites in einer partiellen Identifikation mit dem Leidens- und Schmerzensmann zu finden sein. Andererseits wird man wohl auch in der Gegenrichtung fündig, da er gelegentlich Vorbehalte gegenüber dem selbsternannten „Gottessohn“ äußerte – auch diese Skepsis war offenbar ein starkes Motiv für seine erst mit dem eigenen Tod endende Auseinandersetzung mit dem „Thema“ Jesus Christus. (Dazu auch: Brief vom 1.9.1953 aus Lauchheim.)

Kruzifixus Langensteinbach

Berthold Rumold: Kruzifixus an einer Gedenkstätte in Langensteinbach bei Karlsruhe

Oberammergau, 29.5.1959 (an Christel Rumold): „Das mit dem Grünewaldkreuz in Bulach ist mir auch eine so unangenehme Sache. Wenn ich optimistisch gelaunt bin, gefällt es mir ganz gut, wie ich aber etwas objektiv kritisch die Arbeit betrachte, fürchte ich, mich eher zu blamieren damit als etwas dafür zu bekommen und am liebsten wäre es mir, ich hätte es gleich zusammensägen lassen, dann würde es mir nicht im Kopfe herum spuken.“

Oberammergau, 8.7.1959 (an Christel Rumold): „Tante Braun hat mir auch geschrieben wegen der Kreuze. Sie ist ja rührend besorgt um mich. Wenn sie an dem Kruzifix das Dach anbauen läßt, kann sie es meinetwegen in Langensteinbach aufstellen lassen. Wenn er den Leuten dort gefällt, soll es mir recht sein. Hier wäre es mir doch nicht ganz wohl gewesen dazu sind bei uns viel zu gute Fachkräfte.“