Archiv für den Monat: Juni 2015

Alt gegen Neu

Oberammergau, 9.4.62: „Liebe Christl! / Vielen Dank für Deinen Brief. Nein, die Handwerkskammer hat meinen Entwurf noch nicht genehmigt. Eigentlich ist der ganze Verlauf für mich normal mit Pech versehen. Ich hatte in der Schule bei Herrn Huber alles fertig im Entwurf. Die Arbeit war gewissermaßen der Stolz von Herrn Huber. Der Christophorus ein kraftstrotzender Riese, der unter einer kleinen Last zusammenzubrechen droht. Die ganze Arbeit in die Grundlinie eines Eichenstammes gehalten begeistert mich selbst bis ins Letzte. Die Arbeit wurde von uns fotografiert und an die Handwerkskammer eingesendet. Aber der zuständige Prüfungsausschuß besteht aus Meistern vom alten ’schönen‘ Schlag. Die waren mit dieser ‚modernen‘ Art nicht einverstanden und lehnten sie ab. Herr Huber hat sofort zurückgeschrieben, aber die Herren schwiegen sich aus. Zu allem Übel kam noch dazu, daß mir das Geld fehlt, um selbst in München bei allen zuständigen Meistern vorzusprechen. Ich bin halt wieder in die Werkstatt zurück, um wieder normal Geld zu verdienen. Aber ich habe schon so viel Schulden auch mit dem Stammholz, daß ich wieder für eine Weile zu zappeln habe. Ich muß die Prüfung um ein Jahr verschieben. Es geht diesmal noch nicht. Natürlich bin ich dementsprechend in moralischer Verfassung. Ich möchte jetzt wenigstens von meinen Geldschulden loskommen. Zum Glück habe ich wenigstens eine gut bezahlte Arbeit. Christl, ich sage Dir halt diesmal wieder meine herzlichen Grüße, auch an die Kinder. / Dein Berthold!“

Der Samstagsfilm

Oberammergau, 17.1.1959, an Ch. Rumold: „Heute Abend war ich mal wieder in meinem Samstagsfilm: ‚Mädchen in Uniform‚. Ich habe ihn skeptisch betrachtet und kam über ein Beobachten der einzelnen Rollen nicht hinaus. Am schönsten war eine Voranzeige ‚Feuerwerk‚. Ach, wie gerne würde ich ihn nochmals mit Dir sehen. Wie die beiden jungen Menschen im Treibhaus standen und der junge Gärtner das Lied sang: ‚Zum ersten Mal verliebt, ja daß es so was gibt, die Nacht ist wie ein Traum …‘ Da gefiel mir die Romy sehr gut. Aber die Lieder von Lilly Palmer standen ihr nicht nach. Ganz anders der Hauptfilm. Na, vielleicht unterhalten wir uns einmal darüber. Es ist ja nicht so wichtig.“

Das allmähliches Verstummen des Berthold Rumold

Was brachte meinen Vater zum Verstummen? In seinen Briefen aus Oberammergau zeigte er sich vielseitig interessiert. Er äußerte seine Meinung über die neuesten Kino-Filme, über alte und neue Kunst, über die Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintermode. Sogar zu klassischen Musikstücken fiel ihm etwas ein. Er fuhr Ski und unternahm ausgedehnte, teilweise waghalsige Bergtouren, kannte sich aus mit den Pflanzen der Region. Er studierte Kunstgeschichte, lernte Englisch und (ich glaubte es kaum) Latein. Mit seiner Rückkehr nach Karlsruhe muss eine Wandlung begonnen haben, die ihn immer tiefer in eine Zone des Schweigens hineinführte, aus der es zuletzt kein Zurück ins Leben, in die sprachliche Auseinandersetzung mit der näheren und weiteren Umgebung mehr gab. Einer meiner Freunde aus Kindertagen fand das im Rückblick geradezu löblich, gut sei das gewesen, dass mein Vater notorisch zu allem den Mund gehalten habe. Ich konnte und kann dem nicht zustimmen. Beinahe kommt es mir so vor, als wäre mein Vater mit zweiundsechzig Jahren daran gestorben, dass die nicht geäußerten Wünsche, die nicht vertretenen Standpunkte und die nicht mitgeteilten Beobachtungen, Meinungen, Ansichten und Einsichten ihm schließlich die Luft zum Atmen nahmen. Eine Lungenembolie wurde als Todesursache festgestellt. Der Hausarzt, dem der Befund der Klinik zugesandt worden war, sprach dagegen von einem Rätsel.

Schifahren

Oberammergau, 11.1.1959, an Ch. Rumold: „Am Samstagmittag gab Karl keine Ruhe und nahm mich mit auf das Schigelände. Ach, es ist mir übel ergangen und ich schimpfte im Stillen über mich, weil ich nicht alleine irgendwohin an einen ruhigen Platz gezogen bin und alleine in Ruhe übte. Auf der Schiabfahrt war trotz des stürmischen Windes und Schneetreibens alles voll Menschen, die normal fahren konnten und ich Anfänger purzelte von einem Sturz in den andern. Ich wurde zwei Stunden lang belacht und bin doch so empfindlich vor dem Verlachtwerden. Karl zeigte mir als: so mußt du’s machen und so und schwingen und stemmen. Aber es gelang halt nicht. / Nun, heute am Sonntag bin ich in der Frühe aufgestiegen, habe meine Bretter geschnappt und mir einen schönen Hügel gesucht. Nicht zu hoch und nicht zu nieder. Die Bahn habe ich mir selbst getreten und siehe, schon bei der ersten Abfahrt gelang mir das links und rechts Kurven recht gut. Es machte mir bald so Spaß, daß ich mir immer wieder sagen mußte, es wäre jetzt schön, wenn Du und Lothar auch dabei wärst und wir gemeinsam die Freude hätten. Zwei Stunden übte ich so eifrig, dann kamen aber immer mehr „Kanonen“ in die Gegend und ich räumte still und zufrieden das Feld. Morgen will ich es wieder so machen und vielleicht jeden Morgen, solang der Schnee liegt. / Nachher konnte ich noch gemütlich schnitzen und Radio hören, bis ich um halb sechs Uhr ins Kino ging. Ja und nachher werde ich noch an einem Kruzifix die Arme leimen und ins Bett gehen.“

Und als Bub wird sie ein Peter

Er wurde dann doch eine Barbara, geboren am 4. Januar 1959

Er wurde dann doch eine Christa Barbara, geboren am 4. Januar 1959

Oberammergau, 16.11.1958: „Christl, wir werden einen Weg finden, miteinander in München eine Wohnung zu bekommen. Ich möchte wirklich nur in diese Stadt. In Karlsruhe ist zu viel Trübes und hier ist es zwar sehr schön, aber der Gedanke, immer hier zu sein, ist mir nicht angenehm. Wenn ich schon daran denke, was München für ein Kulturzentrum ist und eben doch eine Stadt ist. Meine Freude am Wandern in den Bergen erschöpft sich auch nicht mit dem bloßen Genießen der Natur, sondern ich will das, was ich dabei sehe, auch ein bissel in bescheidenem wissenschaftlichen Maße auswerten. Diese Möglichkeiten gibt es alle in München. Na, für mich scheint die Stadt eben ideal, und Schatz, ich glaube, daß sie Dir auch gefallen wird. / […] / In der vergangenen Woche hatten wir in der Firma auch ein freudiges Ereignis, denn unserem Meister, dem Herrn Lang, wurde nach fünf Mädchen endlich der Kronprinz geboren. Daß da an zwei Tagen gefeiert wurde, kannst Du Dir denken. Mitgesoffen habe ich nicht, denn ich kann das einfach nicht, so gerne ich auch bei meinen Kameraden auf dem Gebiet keinen Außenseiter machen möchte. Nach der zweiten Flasche Bier und etwas Schnaps werde ich so müde, daß ich unweigerlich ins Bett muß. Sie nehmen es mir zum Glück nicht übel, denn irgendwie spürt man doch die individuelle Natur eines jeden Menschen und der eine ist eben so und der andere so. Aber ansteckend war die allgemeine Faulheit dann doch auf mich. / Mit Karl verstehe ich mich recht gut. Wir mußten unsre Farbdias schon dreimal mit einem Projektor vorführen. Die Bilder nehmen sich an der Leinwand aber auch sehr gut aus. Er sitzt am Vorführungsgerät und ich muß reden. Zum Lachen war es, wenn die schönen Blumen kamen, aber mir die einzelnen Namen noch nicht ganz intus sind. Da hilft natürlich meiner ‚lateinische Sprachkenntnis‘ gut, daß keiner der Anwesenden Lateinisch kann. Es sind aber auch zu viele Gräser und versteckte Blumen auf den großprojektierten Bildern zu erkennen. Ich bin mal gespannt, ob ich mit Karl den Plan verwirklichen kann, daß wir im nächsten Jahr eine große Sammlung von Alpenpflanzen in Bildern zusammen bekommen. / Heute ist trübes Wetter, das allerdings schon die ganze Woche anhält. Christl, Lieb, bist Du es sehr leidig? Es drückt sicher auf Dein Gemüt. Ach, noch vierzehn Tage, dann kannst Du wenigstens vom Geschäft wegbleiben. Und wenn es erst mal Dezember ist, wird es auch Weihnachten. Ich komme an Weihnachten zu Dir und Lothar. Und wie wir es dann bis zur Geburt unseres Kindes machen, werden wir sehen. Ich habe schon zweimal geträumt, daß es ein Mädel wird. Wir taufen sie Christa Barbara. Und als Bub wird sie ein Peter. Schatz, was denkst Du, wie sich Lothar freut, wenn wir in München am Sabbat oder Sonntag die vielen interessanten Museen besuchen können und eine kleine Schwester mitführen können. Und der Starnberger See ist auch nicht weit. Wenn es nur schon an der Zeit wäre. Dann ist ja in München auch noch eine große Gemeinde von uns. Also München wäre mir schon recht. / […] / Christl, nun habe ich noch eine Bitte. Schreibe doch mit der Maschine eine Rechnung an Schnappinger und bringe sie am Wochenende zu ihm. Das Geld geht an Dich. / a) Kleiner Normalkruzifixus DM 25,- / b) Kleiner Grünewald DM 40,- / c) 30er Grünewald DM 65,- / d) 40er Grünewald DM 95,- / e) 25er Würzburger DM 40,- / f) 40er Normalmodell DM 75,- / Christl, mein Lieb, nun laß Dich innigst grüßen und wenigstens in Gedanken küssen von Deinem / Berthold. / Viele Grüße an unseren Lothar, an Mutti und Siegfried!“

Die Hochzeit zu Kanaan (2)

„Die Hochzeit zu Kana ist eine Wundererzählung aus der Bibel, die davon berichtet, wie Jesus von Nazaret als Gast einer Hochzeitsfeier Wasser in Wein verwandelt.“ (Wikipedia) Breite (Länge) das Reliefs ca. 2 Meter (Werkstatt-Foto).

Berthold Rumold: "Die Hochzeit zu Kanaan", Linde, ca. 1989

Berthold Rumold: „Die Hochzeit zu Kanaan“, Linde, ca. 1989, katholischer Pfarrsaal Pfinztal-Wöschbach (Foto: Thomas Trzebitzky)

Eine Anmerkung zur Ethik des Films

Oberammergau, 1.11.1958, an Ch. Rumold: „Ich hätte noch gerne erzählt von gesehenen Filmen, zum Beispiel ‚und nichts als die Wahrheit‘ und anderen. Der O. W. Fischer hat für mich so großartig ehrlich dargestellt. Es war sehr schön, weil so vieles nur angedeutet wurde und somit von dem Autoren das Grundrecht des Menschen, seine intimen individuellen Handlungen aus der Persönlichkeit vor der Masse (auch der Masse Kinobesucher) nicht breitzutreten, bewahrt wurde. Wie zart und schön wurde doch die Liebe der Frau zu ihrem Mann, des Vaters zu seiner Tochter (wie gentlemanmäßig half doch der Vater der Tochter aus der Antwortenmüssen-Verlegenheit vor dem Bräutigam nach ihrer Rückkehr aus Frankfurt), des Freundes zum Freund und der Liebe der Schwester zum Angeklagten gezeigt.“

Der Sonnengesang des Franz von Assisi

„Der Sonnengesang ist ein Gebet, das Franz von Assisi im 13. Jahrhundert verfasste. Es preist die Schönheit der Schöpfung und dankt Gott dafür.“ (Wikipedia)

Berthold Rumold: "Sonnengesang des Heiligen Franziskus", katholisches Gemeindehaus in Pfinzal Berghausen, ca. 1985

Berthold Rumold: „Sonnengesang des Heiligen Franziskus“, Eiche, ca. 1988, katholisches Gemeindehaus in Pfinztal-Berghausen (Foto: Thomas Trzebitzky)

Berthold Rumold: "Sonnengesang", Detail, Foto: Thomas Trzebitzky

Berthold Rumold: „Sonnengesang“, Detail (Foto: Thomas Trzebitzky)

Krieg und Frieden und Chorgesang

Oberammergau, 19.10.1958, an Ch. Rumold: „Trotz all der Arbeit war ich vorgestern im Kino. ‚Krieg und Frieden‚. Der große Film ist ein ähnlicher Gedankengang wie unser Buch ‚Die Versöhnung‘. Die Männerrollen gefielen mir sehr gut, wenn auch der Hauptdarsteller [Henry Fonda], die Dichterperson in seiner ruhigen Sicherheit, die durch Aussprüche, er sei unsicher, nur noch untermauert wurden, fast an Überheblichkeit grenzte. Aber ich halte es für möglich, daß die Gestalt im Buche wesentlich von der Vorstellung des Filmregiseurs abweicht. Wenn allerdings amerikanische Filmsternchen [Audrey Hepburn!] an europäische Frauenrollen mit Schicksalen wie bei einer Königin Luise herangehen, geht es meistens schief. Aber im Augenblick, da man das Kino verläßt, ist man gut beeindruckt. Mir ging es mal so. Und gestern Abend war ich in einem Chorkonzert unseres Jugendchors. Sehr gut gefiel mir das Lied: ‚Ein neu Gebot‘, Motette von Bütger. Dann Lieder mit Vertonungen von Friedrich Zipp, Carl Orff, Bela Bartok und der ‚Feuerreiter‘ von Hugo Distler. Schatz, kennst Du einige Namen davon? Ach, ich wollte Dich heute nicht mit Namen beschweren.“