Schlagwort-Archive: die Briefe

Kleider machen Leute und kosten Geld, das man womöglich nicht hat

Oberammergau, 26.8.1957, an Ch. Rumold: „Lieb, und jetzt habe ich Dir noch etwas zu beichten. Bei dem Schwarzhandel mit den Schnitzeisen hatte ich etwas Geld hereinbekommen und nichts Schlaueres zu tun gewußt, als mir beim Schneider den Wunsch meiner materiellen Wünsche zu erfüllen, nämlich einen schwarzen Anzug zu bestellen. Leider wird er erst in drei Wochen fertig. Ausgerechnet jetzt. Ja, das Geld hatte ich hereinbekommen, aber vom diesmaligen Zahltag mußte zum Pech noch das meiste herhalten. Christl, Lieb, bitte halte auch das noch aus, nächste Woche zum 1. schicke ich fünfzig Mark.“

Wilde Burschen hindern am Schreiben

Oberammergau, 24.6.1957, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Wenigstens einen Kartengruß aus meinem schreibmiseriablen Zustand. Und das Geld, das mir mit verschiedenen Ausgaben diesen Monat grad so unter den Fingern zerrann. Lieb, ich bin froh, daß Du gesund bist und Lothar. Ich wünsche Mutti gute Besserung. Hoffentlich wird der nächste Monat besser. Oft könnte ich verzweifeln, daß ich nicht fähig bin, ein ordentliches Familienleben zustande zu bringen. Da schreibe ich Briefe, die ich später gleich zerreiße. Tausend Grüße, Dein Berthold!“

Zwei Wochen zuvor, am 11.6.1957, war von seiner Schreibmiseriabilität noch nichts zu merken gewesen: „Meine liebe Christl! Wenn es doch ein ruhiges Zimmer gäbe … Kaum hab ich das jetzt in der Frühe um halb sechs Uhr geschrieben, da stolpert schon wieder unser Edmund herein und redet, wie’s die Bäuerlein eben gerne tun. Schatz, ich hab so heftig geschrieben, daß Du nicht kommen solltest, und dann sitzt man doch da und wartet und hofft. – Na, es gab wenigstens tatsächlich keine Geldausgaben. Im Augenblick ist es wirklich schlimm. Dauernd wechseln die Christusmodelle, mal ein Riemenschneider, dann ein normaler Oberammergauer, dann ein Würzburger. Das ist zwar interessant, aber als Stücklohnarbeit läßt es kein Geld zusammenbringen. Es ist bei uns jetzt auch so langsam über den Frühling hinausgegangen und die Wiesen duften und die Berge locken. Ich kaufte mir eine Wanderkarte, die mir am Sonntag schon guten Dienst geleistet hat. Ich möchte nicht in hochschnellenden Zügen so eine Bergtour beschreiben. Dazu müsstest Du hier sein und eine solche mitmachen. Da ist der Kofel doch ein kleines Felsle gegen das Wettersteingebirge. Ich fühle mich auch recht sicher am Berg und bei einiger Vorsicht wird auch nichts Unfallähnliches geschehen. Mein Lieb, für Dein schönes Päckchen und Euer beider lieben Gruß vielen, vielen Dank. Wenn nur die Bude nicht so voll von wilden Burschen gewesen wäre, ich hätte so gerne gleich geschrieben. Christl, mein Herz, bleib mir gut und gesund mit unserem Lothar. Gott behütet und vielmals gegrüßt und geküßt von
Deinem Berthold. Viele Grüße an Mutti und Siegfried!

Mal schön, mal stolprig

Oberammergau, 2.8.1957, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Ich bekam beim Lesen Deines lieben Briefes ein ganz schlechtes Gewissen, denn während Du voll Sehnsucht an mich schriebst, spazierte ich ganz ruhig mit drei Frauen auf den Pürschling. Es waren Feriengäste, die bei uns in der Werkstatt schön eingekauft hatten, und weil meine Kumpels dabei die besten Verdiener waren, konnte ich für sie zum Dank den Frauen die Gegend zeigen. Es war aber trotzdem ein schöner Nachmittag. […] Ja, der Hans kommt am Sonntag für acht oder 14 Tage her und ich hoffe nur, daß das schöne Wetter weiter so anhält, damit ihm nicht die Zeit lange wird. Ich lasse ihn mal ziemlich alleine die schöne Natur hier erleben. er soll mal empfinden wie die Ruhe im Alleinesein ist. Vielleicht tut es ihm gut, vielleicht ist es ihm aber auch nicht recht. Mal sehen. Ich freue mich wenn er da ist. Es ist halt manchmal doch einsam und bei aller Freude, die ich mit den Kumpels habe, konnte ich doch noch nicht so was wie eine Kameradschaft schließen, denn die Wirtschaft mit ihrem Gestank ist nicht mein Milieu, in dem ich mich am Abend wohlfühle. Und am Sonntag Kundinnen spazierenführen ist doch zu gefährlich. Christl, Lieb, eben hab‘ ich das Geschriebene durchgelesen und es ist mir nicht ganz recht, daß ich das Schaffen mit den Leuten in den Worten so übertrieben habe. Vorgestern hatten wir die ganze Bude voll mit Leuten, die einen echten Ludwigshafener Dialekt sprachen und als ich sagte, daß ich auch von dort her bin, war das Hallo natürlich groß und ich mußte ihnen alles genau erklären, was wir hier machen und das ganze Drum und Dran. Dann wollten viele eine Schnitzarbeit mitnehmen, was mich zu der Arbeit brachte, mit so nahezu zehn Leuten und Kumpels zu verhandeln, aber mehr als ein Trinkgeld kam dabei nicht heraus. Im Gegenteil, meine Kumpels schimpfen jetzt mit mir, weil meine Landsleute so Geizkragen sind. Da läßt sich mit den Amerikanern eher ein Geschäft machen. So vergehen die Tage, mal ein bissel schöner und mal stolprig.“

Der Herrgott ist eine Ammergauer Spezialität

Oberammergau, 14.12.1957, an Ch. Rumold: „Zum Schreiben kam ich vor lauter Arbeit nicht, es ging wirklich ‚rund‘ in dieser Woche. Ich kam auf 159,- Mark zum Verrechnen. Aber bei Dir scheint ja im Geschäft auch allerhand Arbeit anzukommen. Christl, ich habe fest mit dem Kopfe genickt bei Deinen Worten, es sei Dir heute unerklärlich, weshalb Du einen Handarbeitsberuf gelernt hast. Nun, daß Du nähen kannst, ist schon gut, aber gell, wenn man die Buchhalter und sonstigen Kopfarbeiter betrachtet, da schüttelt man über sich selbst den Kopf, denn wie hart tun wir uns, um hundert Mark in der Woche zu verdienen, und die brauchen sich nicht sonderlich anzustrengen und kriegen’s auch. Daß man doch mit dreizehn Jahren das nicht begriffen hatte. Nun, ich arbeite darauf hin, daß es einmal besser wird, und Du packst es ganz bestimmt. Jetzt packt mich aber der Schlaf. Ich sollte schon seit acht Uhr im Bette liegen. So lautet wenigstens mein Arbeitsprogramm, das ich seit vierzehn Tagen gut einhalten konnte und mich wirklich vorwärts brachte. Am Abend um acht im Bette und in der Frühe halb vier raus (das Aufstehen fällt mir nach acht Stunden Schlaf bestimmt nicht schwer), bis zum Nachmittag habe ich dann einen Herrgott fertig, schleife eine Stunde meine Eisen und kann von vier bis halb acht Uhr lernen. Es ist mir sehr wohl dabei.“

Zu einer Poetik des Briefes und vom Bruddeln und Ausländergucken

Oberammergau, 7.7.1957, an Ch. Rumold: „Schatz, bis Du den Brief erhältst, ist es Dienstag und deshalb sollte ich ihn vielleicht im Dienstagmorgen-Geiste schreiben, aber es ist halt jetzt Sonntag – lies ihn bitte in einer ruhigen Nachmittagsstunde nochmal. Die Sonne scheint so friedlich in unsere Werkstatt. Ich habe heute länger geschlafen, wollte Dir dann gleich schreiben, habe aber gesehen, daß Dich der Brief morgen doch nicht mehr erreicht und dann halt ein bissel geschnitzt oder geputzt an der Lampe, meiner Sonntagsschnitzlerei. Das Radioprogramm war recht schön. Das Kaffeetrinken hab ich dann auf elf Uhr verlegt, das ist so günstig, weil, wenn ich bis halb zwölf gemütlich kaue und trinke, eben gleich das Mittagessen einbezogen werden kann. Als ich wieder alles verstaut hatte, kam einer meiner Kumpels, der Anderl, um ein bissel zum bruddeln. Er ist einer der wenigen Menschen, mit denen ich gerne so ein bissel bruddle. Es gefällt ihm dann die Radiosendung nicht, die ich geholt habe, und wenn ich auch noch die Uhr aufgezogen habe, so daß er’s nicht mürrisch machen kann, stellt er sich hinter mich und wackelt von einem Bein auf das andere. Bis ich ganz urbayrisch schimpfe, so ‚am Oa…‘ – nein, ich schreib’s besser nicht. Ich ging danach ein wenig mit ihm auf die Straße, da stehen vor unserem Haus unter einer Linde zwei Bänke und wenn ich da eine Weile bei ihm sitze, mit seiner Sonnenbrille auf der Nase, sind wir eigentlich beide zufrieden. Und der Verkehr fließt an einem vorbei, also ich kann Dir sagen, man weiß nicht wohin zuerst mit den Augen. Die Omnibusse voll winkender Menschen, die älteren Ausländerinnen in farbenschreiendster Aufmachung. Energisch aussehende Männer mit schönen Frauen. Alles lacht, schwitzt und so weiter.“

"Oberammergau - Dorfplatz mit Kofel": rechts im Bild vermutlich die beiden (in Rot gestrichenen) Bänke, von denen im Brief die Rede ist.

„Oberammergau – Dorfplatz mit Kofel“ (Mitte der 1950er Jahre): rechts im Bild vermutlich die beiden (in Rot gestrichenen) Bänke unter einer Linde, von denen im Brief die Rede ist.

Filialleiter bei Dettlinger?

Im Laufe der sechs Jahre (1956-1962) in Oberammergau überlegte mein Vater immer wieder (mehr oder weniger ernsthaft), ob es nicht eine Karlsruher Alternative gäbe, das heißt: ob er nicht auch in einer Werkstatt in Karlsruhe als Geselle arbeiten könnte, um die für die Ablegung der Meisterprüfung nachzuweisenden Gesellenjahre zusammen zu bekommen. Die Möglichkeit einer derartigen Möglichkeit zeichnete sich im November 1957, also am Ende seines ersten Jahres im Ammergau, ab. Bei „Herrn Dettlinger […] (dem Alten)“ handelt es sich vermutlich um den Sohn des Freiburger Holzschnitzers Joseph Dettlinger (1865-1937) und damit um den Vater des 2008 in Freiburg verstorbenen Josef Dettlinger. Bei Wikipedia wird dieser Josef (1930-2008) als Sohn von Joseph (1865-1937) bezeichnet, dabei war der jüngere Josef wahrscheinlich der Enkel des älteren Joseph und der Sohn des „Herrn Dettlinger“, mit dem mein Vater sich getroffen hat.

Oberammergau, 2.11.1957, an Ch. Rumold: „Eben habe ich mich von Herrn Dettlinger verabschiedet (dem Alten). Er hatte mit Kinsler durch die Gewerbepolizei Schwierigkeiten bekommen, aber wie er sagte, ginge der Schuß des H. Kinslers auf diesen zurück. Es kam mir das Geringkämpfel der beiden etwas abgeschmackt vor, aber ich mache mir Gedanken über einen Vorschlag von ihm. Er will bei der Brauerei Höpfner ein Stück Land pachten und einen Geschäftszweig errichten und ich soll bei ihm die Filiale übernehmen, wenn alles soweit kommt. Ich könne ja dann bei ihm meine Meisterprüfung machen. Ich habe mir nun bis jetzt gedacht: Absagen tu ich mal nicht. – Wir können ja miteinander an Weihnachten in Ruhe darüber reden zu Hause, Du und ich. – Ja einen kleinen Auftrag soll ich ihm noch machen, einen Christus, den er gesehen hat und dann hat er mir noch ein gutes Mittagessen bezahlt. Ich wäre halt doch glücklich, wenn ich bei Dir und unserem Buben sein könnte. In Karlsruhe ist ja auch eine Lehrerakademie. Das Lernen und Arbeiten macht mir im Augenblick viel Freude.“

Doch schon eine Woche später, am 11.11.1957, sieht er keinen innerehelichen Gesprächsbedarf mehr (jähe Entschlüsse waren bei ihm eher die Regel als die Ausnahme), denn er schreibt: „Mit Herrn Dettlinger werde ich kaum ein Geschäft eingehen, denn ich habe mich nach einigem Überlegen doch dazu entschieden, meinen Weg so weiterzugehen, wie ich es mir vorgenommen habe.“

Nichts Genaues wusste man nicht

In einem Ammergauer Lied heißt es: „Heut kommt der Hans zu mir, / Freut sich die Lies‘ / Ob er aber über Oberammergau, / Oder aber über Unterammergau, / Oder aber überhaupt net kommt, / Des is‘ net g’wiss.“ Ob, und wenn ja: wann mein Vater wieder einmal für ein paar Tage nach Karlsruhe kommen würde, war in der Ammergauer Zeit niemals net g’wies, wie man in Bayern in doppelter Verneinung sagen würde. Und wenn er kam, war wiederum net g’wiss, ob er auch wirklich da sein würde. Seine Pläne für Ostern 1957 sind in dieser Hinsicht aufschlussreich. Am 14.4.1957, am Sonntag vor Ostern, schreibt er aus Oberammergau an seine Frau: „Also ich habe mir folgendes Programm festgelegt. Freitagmittag komm ich mit dem letztmals genannten Zug bei dir an. Samstag haben wir ganz für uns. Am Sonntag muß ich das Kreuz beschriften und Ölen. Montagmittags fahre ich nach Ludwigshafen [dort lebte die Mutter] und Dienstag bin ich wieder bei dir. Ich habe vor am Mittwoch wieder hierher zu fahren, damit ich noch mindestens zwei Christus schnitzen kann und den bezahlten Karfreitag und Montag kassieren kann.“

Im Konzert: Schubert, Bartok, Beethoven

Oberammergau, 16.3.1958, an Ch. Rumold: „Und denk nur, was ich mir am Freitagabend erlaubt habe. In Garmisch war ich im Konzert der Münchner Philharmoniker. Nun, das wäre an und für sich nicht so schlimm, aber ich hatte mir den besten Platz genommen für acht Mark. – Es war wunderschön. Mit Franz Schuberts Unvollendeter, es waren zwei Sätze, wurde der Abend eingeleitet und der Meister verstand es mit der reifen Romantik einem die Alltagsgedanken auszuziehen und gab ein kostbares Gefühl der Freude dafür. Es war aber auch eine Augen- und Ohrenweide, vom Balkon Mitte in der zweiten Reihe hatte ich einen Blick über den ganzen Saal und das Orchester. Die vielen Geigen und Kontrabaßgeigen und Flöten und Fagotte, die Hörner und Posaunen, die Harfe und ganz hinten vier Pauken um einen kleinen Mann gestellt. Den zweiten Teil füllte ein modernes Tonstück, eine Komposition von Bartok, aus. Das Stück wurde von einem Solisten mit Violine beherrscht und war von überraschend guten Gedanken modern auf klassischer Grundlage aufgebaut. Nun verstehe ich ja nicht viel von Musik, aber ich war doch ein bissel verzaubert. Ja und dann kam Beethovens Achte. Ich war nahe daran, enttäuscht zu sein. Ja es war Beethoven, meisterlich. Aber zu leicht, fast mozartartig. Er konnte das Moderne für mein Empfinden nicht übertrumpfen. Ich hatte auf das Packende des Bartoks nun ein Finale von Beethoven erwartet – aber es kam ein starker Mozart, ja, Mozart hat mich in ‚Don Giovanni‘ viel mächtiger gepackt. Doch ich erlaube mir da nicht zu viel Kritik. Es war doch ein sehr schöner Abend. Christl, mein Lieb, wärst du doch bei mir gesessen. Ich hatte den schwarzen Anzug an und das gute Hemd. Alles war sehr gut gekleidet. Aber die Musik hat mir doch eine Tür aufgetan und mich in eine wirklich schöne Welt sehen und hören lassen, von der ich nur zu gerne noch mehr hören möchte. Ich wurde von meinem Zahnarzt hingebracht und wir fuhren dann auch wieder gemeinsam zurück. In einem neuen Opel Olympia, wirklich prima fuhr der Wagen. Wir sausten nur so durch das tief verschneite Land. Ja, Schnee haben wir jetzt in Massen und alles hat ihn satt. Doch sicher ist bis Ostern der Frühling da.“

Skizze zu einer Körper-Biografie

oldshatterhand

Berthold Rumold mit ca. 30 Jahren in den Ammergauer Bergen

Mein Vater war ein gutaussehnder Mann. Als Junge erkannte ich in ihm Old Shatterhand alias Lex Barker wieder. Was war dagegen schon der Alain-Delon-Vater meines besten Freundes, zumal jener diesen regelmäßig schlug. Ein gutaussehnder Mann mit einem leichten Buckel, den ich schon als Siebenjähriger wahrnahm, da mir auffiel, dass mein Vater bei Tisch keineswegs so vorbildlich gerade saß, wie man es von mir verlangte. Kein Hühne, aber groß, blond und blauäugig genug – von Frauen durchaus umschwärmt bis in seine Fünfziger hinein. Bildhauer wird man nicht zuletzt aus körperlichen Gründen: aus erotischer Liebe zum Plastischen und weil man sich gerne muskulär verausgabt. Noch die angeborene Rückgratverkrümmung schien zu seiner Holzbildhauerei zu passen, da beim Schnitzen nicht selten eine leicht gekrümmte Haltung einzunehmen ist. Ludwig Marcuse sieht im Körper „den großen Vergessenen, der uns herumschleppt“ (Philosophie des Un-Glücks). Nun, bis in seine dreißiger Jahre hinein war mein Vater durchaus nicht somavergessen: er kletterte in den Bergen rund um Oberammergau, fuhr Ski und liebte es, an einem Bach in der Sonne zu liegen; hatte er die Möglichkeit dazu, schwamm er im Rhein. Und das, was er in einem Brief einmal „das gewisse Etwas“ genannt hat, kam zwar (mindestens) bis 1962 mehr als nur etwas zu kurz, dies aber nur aus Mangel an Gelegenheit und nicht aus Mangel an Interesse.

opa_bertl_mama_aenne_a

Von links nach rechts: Berthold Rumold, Georg Rumold (der eine Großvater) oder Friedrich Ott (der andere Großvater), Klara Rumold (die Mutter), Änne Rumold (eine Schwester); 1934 im Gartenhaus, Sieglindenstr. 9, Ludwigshafen

Was macht einer, der gerne klettert und im Schnee herumrutscht, wenn ihn das selbst gewählte Schicksal nach Karlsruhe zurück verschlägt? Aus den Bergtouren alleine oder mit einem Kumpel wurden Spaziergänge mit der Familie, Rad- und Wandertouren mit der Tochter. Ansonsten war der Körper Bestandteil des Arbeitsprozesses und ging, als deren unabdingbare Voraussetzung, ein in die Holz- und Steinbildwerke, die er schuf. Den Werken tat das gut, den Knochen, Muskeln, Sehnen und Venen nicht nur. Der krumme Rücken wurde immer krummer. War es auch ein körperliches Sich-am-Ende-Fühlen, das meinen Vater schließlich veranlasste, einem Bekannten gegenüber zu äußern, er habe mit dem Leben abgeschlossen? Oder war es am Ende noch einmal jenes von weither kommende, existenzielle Es-geht-nicht-Mehr, das er mir vererbt zu haben glaubte, wie er im Brief vom 8.2.1958 schrieb: „Ist unser [damals zweieinhalb Jahre alter] Lothar wieder gesund? Es ist mir sehr nachgegangen, daß er sagte, es ginge nicht mehr. Das ist ein Stück Wesen von seinem Papa.“

Das Nicken der Götter

kapfenburg_a

Lauchheim, 21.7.1953: „Meine liebe Mutti! Meine liebe Christl! Aus dem Gewühl der Arbeit möchte ich euch schnell ein paar liebe Worte senden, die euch sagen sollen, daß selbst ein Brief von zehn Seiten nicht ausreichen würde, um die Freude über eure Liebe, mit der ihr mich umgebt, dankbar auszudrücken. Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen bleibe ich euer Berthold.“

Die Gegend östlich von Stuttgart bis Schwäbisch Gmünd, und darüber hinaus bis zur bayerischen Grenze „links“ von Nördlingen, war mir bis vor fünfzehn Jahren gänzlich unbekannt. Dann stieß ich, Zufall oder nicht, auf die Rumold-Realschule in Rumolds-, heute Rommelshausen, Gemeinde Kernen, und inszenierte dort eine kleine Kunstschau. Damit hatte ich, ohne es zu wissen, den ersten Schritt Richtung Lauchheim getan, wo mein Vater 1953 eine Zeitlang gelebt hat, kurz nachdem er 1952 meine Mutter kennengelernt hatte. Ein paar Jahre später brachte mich ein Holzgrabmal-Auftrag nach Plüdershausen. Da war ich Lauchheim wieder ein gutes Stück näher gekommen. 2007 fuhr ich mit meiner Frau zu einem Konzert ihres Ensembles Con Sprezzatura auf der Lauchheimer Kapfenburg (siehe Ansichtskarte). Noch immer hatte ich keine Ahnung, dass mein Vater hier einmal ansässig gewesen war. Das erfuhr ich erst, als ich nach dem Tod meiner Mutter die Briefe las, die er ihr aus Lauchheim und aus dem nahe gelegenen Aalen geschrieben hatte. In Schechingen, westlich von Aalen, hatte ich ein halbes Jahr zuvor ein bei mir in Auftrag gegebenes Grabmal aufgestellt. Was irritiert: nie zuvor war ich in diese Gegend gekommen und jedesmal führte mich dann der Weg nach oder in Richtung Aalen und Lauchheim, wo der Vater unwahrscheinlicher Weise vor fünfzig Jahren eine Zeitlang gelebt hatte. Die Götter nicken numinos. Aber was wollen sie uns mit ihren Winken bedeuten? Oder winken sie einfach nur so, wie um zu sagen: wir sehen euch, seht ihr uns auch?