Archiv für den Monat: März 2015

Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da – der Anfang in Oberammergau

Brief aus Oberammergau (Kleppergasse 10, bei Familie Strauß) vom 2.11.1956: „Meine liebe Christl! Sicherlich wartest du schon lange auf einen Brief von mir, aber es war diesmal ausnahmsweise keine Schreibfaulheit von mir, die mich nicht zum Schreiben kommen ließ. Ich muß vorerst noch schnitzen und nochmals schnitzen, um einigermaßen bei diesen routinierten Herrgottschnitzern mitzukommen. Aber ich komm jetzt schon auf 75 Mark in der Woche und hoffe in zwei bis drei Monaten wie die Andern meine hundert Mark verdienen zu können. Von der schönen Landschaft bekomme ich dabei vorerst noch nicht viel zu sehen, aber dafür um so mehr von seinen Bewohnern zu hören. Doch Liebe, vielleicht erzähle ich mal von Anfang an, wie es mir ging. Na, die Eisenbahnfahrt über München war regnerisch und trübe. In Murnau, der zweiten und letzten Umsteigestelle, fuhr ein Bus die Reisenden die letzten zwanzig Kilometer durch das tief verschneite Land bis Oberammergau. Ich hatte mal wieder Kopfschmerzen und steuerte mit meinen beiden Koffern gleich ins nächste Gasthaus. Übrigens hat mich ein leichtes dußliges Gefühl im Kopf bis heute noch nicht verlassen. – Ja ich nahm gleich ein Zimmer für eine Nacht, ging aber am Abend noch einige Meister besuchen. Arbeit war überall, nur kein Platz. Bis ich dann ins älteste und bekannteste Verlagshaus mit Werkstätten, dem ‚Lang selig Erben‘ kam, wo ich auch angenommen wurde. Ich glaube, es war der beste Griff den ich machen konnte, denn mittlerweile habe ich gesehen, daß jede anfallende Bildhauerarbeit in Holz bei uns ausgeführt wird. Das Geschäft hat fünf bis sechs große Werkstätten, in denen die einen Christusfiguren, die anderen Madonnen, wieder andere Altäre oder auch schöne Grabmäler oder profane Schnitzereien, also alles das, was ich lernen oder zumindest näher kennenlernen möchte, ausführen. Und schnitzen können die Leut das ist zum Staunen. Ja und dann kam der Dienstag, an dessen Abend mir der Meister sagte, daß ich bleiben könne. Er gab mir auch eine Adresse wo ich schlafen könne und so zog ich gleich um. Meine Wirtin sieht so aus wie Frau Bauer in Bulach. In meinem Zimmer schläft noch ein junger Mann mit dem ich mich schon gut verstehe. Er ist aus dem Rheinland und auch Schnitzer, aber das Beste an ihm ist, daß er hier eine Braut hat, bei der er schlafen kann, wenn du zu mir kommen kannst. Meine Kollegen sind Leute in meinem Alter außer einem vierzig und einem sechzig Jahre alten Arbeiter. Es gibt viel Gaudi während der Arbeit, das Radio spielt dazu und manchmal ist [es] ein bissel zu arg. Aber das ist nicht schlimm. Wir sitzen alle beim Schnitzen, also geht es nicht wie in Karlsruhe, daß das Holz in die Hobelbank eingespannt wird, sondern man hält den Herrgott in der Hand und bearbeitet ihn mit dem Schnitzmesser und nur sparsam mit den Eisen. Das war natürlich für mich ganz neu und ist noch eine große Umstellung, aber viel bequemer. Ja ich habe gemerkt, daß es auch schneller und sauberer geht. Die ‚Buam‘ kommen und gehen, wann sie wollen und es wird schon neun, halb zehn Uhr am Abend bis der Letzte sein ‚Pfürdi‘ sagt. Sonntags oder feiertags, wie gestern, wird nach der Kirche schön weiter geschnitzelt bis zum Nachmittag. Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da und die Frauen manchmal auch dabei. Wenn da das Verhältnis untereinander nicht so freundschaftlich wäre und von jedem eine Gemütlichkeit ausstrahlen tät, nachher wär’s eine Plage. Aber so kann ich es gut aushalten. Ja mein Herz, so nimmt eine Sehnsucht nach dir und eine Freude an der Arbeit, halt, der Lothar ist auch noch da, meine Seele ein. Ich bin in Gedanken fast immer bei dir und dem Buben und bin glücklich, wenn ich dich wieder in den Arm nehmen darf und Lothar spazieren führen kann. Es ist jetzt Freitagabend, hoffentlich liegst du schon im Bett, es geht auf zwölf. Träum was schönes von uns und laß dich vielmals grüßen und küssen von deinem Berthold. Viele liebe Grüße und Küsse an Lothar. Viele Grüße an Mutti und Siegfried.“

mitgiesskanne1957

„halt, der Lothar ist ja auch noch da“ (etwa ein halbes Jahr später, im Sommer 1957)

 

Eine Tonskizze des Heiligen Georg

Brief an Ch. Rumold vom 25.4.1959 aus Oberammergau : „Es ist Samstagabend. Es war ein schöner Tag heute. Gestern hatte ich mir eingebildet, heute einen ganzen vierziger Kruzifixus zu schnitzen. Aber weiter als bis zur Krone und zu den Haaren bin ich nicht gekommen, weil meine Kameraden weg mußten ins Gasthaus. Da sollte die Wochenschau kommen, um ihre [wegen der Passionsspiele] bärtigen Gesichter zu fotografieren. Nun, als die Bude leer war, ging ich zuerst einmal zum Frisör und dann holte ich mein Modellierbesteck heraus und die Tonskizze, an der ich schon manchmal unzufrieden einen Skt. Georg entwerfen wollte, ist mir mit einem Male gut gelungen und machte mich auch für den restlichen Tag zufrieden. Am 1. Mai habe ich ja drei Tage Zeit für die Holzausführung.“

In den Bergen

Brief aus Oberammergau vom 27.10.1958: „Ich war aber gestern bei dem schönen Wetter mit Karl unterwegs am Berg. Es war ja wunderschön, denn unter uns lag ein Nebelmeer weit ins Land hinaus.“

indenbergen_1

Kein „film still“ aus einem deutschen Heimatfilm, sondern Berthold Rumold (rechts) und Karl in den Oberammergauer Bergen.

Betrachtungen bei einer Zigarette in Lauchheim 1953

Aus einem Brief an Ch. Burst aus Lauchheim am 1.9.1953: „Langsam ging ich in ein Geschäft kaufte mir eine Zigarette und spazierte einen sogenannten Stationenweg zu einer Wallfahrtskirche vor die Stadt. Ein seltsames Gefühl ist das, wenn man mit der Zigarette in der Hand die Leiden unseres Heilandes von Pilatus aus verfolgt, bis zur Grablegung. Ich bekam das erste Mal vor einem Bild, und sogar noch vor ganz gewöhnlich ja nahezu kitschigen Ausführungen, einen Schauer und ein Miterleben der Leiden unseres Herrn. Als er zum ersten Mal hinfiel, der Augenblick der Kreuznagelung, der für mich immer der schrecklichste Gedanke war, denn mit dem Einschlagen der Nägel in das Fleisch Gottes wurde der Tod des Lebens Wirklichkeit. Es ist für mein Empfinden schlimmer als das grausige Hängen am aufgestellten Kreuze. Endlich wurde er abgenommen und behutsam ins Grab gelegt. – Und ich ging weiter, setzte mich unter einen Lindenbaum und schaute, versonnen meine Zigarette weiterrauchend, auf das Lauchheim.“

(Siehe dazu auch diesen Beitrag: Später Kreuzweg als visueller Schlussakkord.)

Mein Vater hatte 1953 erst eine Zeitlang in Aalen in einer Ziegelei gearbeitet und war dann ins benachbarte Lauchheim gezogen, um dort in einer nicht näher bezeichneten Werkstatt zu arbeiten, obwohl er in der Fabrik besser bezahlt worden wäre. Einer der Gründe für den Wechsel lag wohl in dem von ihm so genannten „Sabbatkampf“ mit den Adventisten, in deren Kreisen er verkehrte. Damals war der Samstag (für Nicht-Adventisten) noch ein beinahe normaler Arbeitstag, doch für die Advent-Gemeinde rührte der Verstoß gegen das Gebot der Sabbat-Ruhe an die Grundlagen ihres Selbstverständnisses. Denn als „Siebenten-Tags-Adventisten“ hatten sie sich gerade das Dringen auf die Beachtung des samstäglichen Arbeitsverbots zu ihrer ureigenen Aufgabe gemacht.

Vor der Rückkehr nach Karlsruhe

Im September 1962 laufen die Vorbereitungen der Rückkehr meines Vaters nach Karlsruhe auf Hochtouren, „bei mir ist halt tatsächlich ein Wirbel, daß ich alles richtig vorbereite“, schreibt er in einem Brief am 10.9.1962. Der Christopherus-Brunnen, der als Meisterstück geplant war, soll nun als Blickfang (nicht nur Christus-, sondern auch Werbeträger) vor seiner neuen alten Werkstatt in Karlsruhe aufgestellt werden. Doch zuvor muss der Stamm fertig werden: „Am Vormittag war ich in der Schule. Herr Huber hat sich Zeit genommen und hilft mir an dem Christopherus. Da bin ich natürlich mal wieder im siebten Himmel, wenn der Mann bei mir ist. Die Figur wird wunderbar. Jetzt muß ich für mein Geschäft nur noch sehen, daß mir ein anderer Bildhauer zwei Kreuze [gemeint sind Grab-Kreuze] auf Kommission gibt, dann habe ich fürs erste das wichtigste beieinander.“ Auch von den Oberammergauer Bergen muss nun Abschied genommen werden: „Diesen Sonntag war ich auf einem unserer Berge. Mit der Zugspitz‘ wird es nichts in der Werkstatt. Es gibt einen bayerischen Spruch: der Bayer kennt die Kirche von außen das Wirtshaus von innen und die Berge von unten.“

Eine andere Art von abstraktem Expressionismus

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

B. Rumold: Holzgrabmal mit Christus, 1960er Jahre

Hier eines von mehreren hundert Holzgrabmalen, die mein Vater in den 30 Jahren zwischen 1962 und 1992 geschaffen hat. Wenn er einen persönlichen „Stil“ hatte, dann war es wohl dieser an der nebenstehenden Darstellung eines gewissermaßen halb gekreuzigten, halb schon auferstandenen Christus erkennbare, leicht abstrakte Expressionismus. Christus-Bilder ziehen sich leitmotivisch durch sein ganzes Werk. Immer wieder ist es natürlich der Gekreuzigte, dann aber auch das Jesus-Kind (etwa im Christopherus-Brunnen) oder der Auferstandene mit und ohne Fahne. Auch seine Entscheidung, ausgerechnet im Passionsspielort Oberammergau sechs Jahre seines Lebens zu verbringen, ist unter diesem Aspekt rätselhaft schlüssig. (Und er verließ das Dorf der Leiden Jesu im Christus-Alter von 32 Jahren!) Als er im Februar 1992 unerwartet starb, arbeitete mein Vater gerade am Entwurf eines Kreuzwegs für die Kirche Sankt-Martin in Karlsruhe-Rintheim, für die er bereits einen überlebensgroßen Christus am Kreuz geschaffen hatte. Der Grund für diese Christophilie (sofern man überhaupt nach Gründen dafür suchen will) mag einerseites in einer partiellen Identifikation mit dem Leidens- und Schmerzensmann zu finden sein. Andererseits wird man wohl auch in der Gegenrichtung fündig, da er gelegentlich Vorbehalte gegenüber dem selbsternannten „Gottessohn“ äußerte – auch diese Skepsis war offenbar ein starkes Motiv für seine erst mit dem eigenen Tod endende Auseinandersetzung mit dem „Thema“ Jesus Christus. (Dazu auch: Brief vom 1.9.1953 aus Lauchheim.)

Fastnacht in Oberammergau

Die Masken hatten sie sich selbst geschnitzt, die sieben Holzschnitzer in Oberammergau, unter ihnen Berthold Rumold. Dass die Aufnahme in einer Schnitzwerkstatt (der Fa. Lang) entstanden ist, lassen die rechts im Bild sichtbaren Schnitzeisen vermuten. Wann das Foto gemacht wurde, ist nicht mehr genau feststellbar, doch dürfte es sich hier um die in einem Brief vom 12.11.1960 erwähnte „gemütliche Ecke“ handeln – „mit Hirschgeweih und rohen Stühlen und Tisch“.

fastnachtsmaskenbild_a

Fastnacht in Oberammergau

 

„Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Am 16. Februar 1953 (ein „Rosenmontag“) schreibt er aus Aalen (Brunnenstr. 80) an seine spätere Frau: „Ach Lieb, an Ostern gehen wir unbedingt wieder hinaus und wenn ich in Stuttgart bin, möchte ich Sabbats wieder mit dir dort oben [i. e. auf dem Turmberg in Karlsruhe-Durlach] sein. Weißt, wenn unter uns Karlsruhe so ausgebreitet liegt und ganz hinten rechts müßte der Dom zu Speyer aus der Ebene hervorlugen. Und warm ist es dann wieder. Und abends muß ich nicht nach Bulach [Stadtteil von Karlsruhe]. Ja das wird wahr. Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Mein Vater hatte über seinen Kontakt zur Karlsruher Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Arbeit in einer Aalener Ziegelei bekommen. Dass er seit Mai 1952 den Gesellenbrief im Holzbildhauer-Handwerk besaß, spielte dabei möglicherweise eine Rolle, denn einmal schreibt er: „Morgen gehe ich in die Fabrik und modelliere das Kinderrelief.“ Auch in Aalen bewegte er sich offenbar in den Kreisen der Adventisten, ging am Samstag („Sabbat“) in den Gottesdienst und las christliche Büchlein, so etwa eines von Theophil Spoerri: „Der Herr des Alltags“ (1932): „es ist eine der besten Schriften, die ich als Wegweiser zu Christus gelesen habe und hat mir neue Kraft und Hoffnung gegeben“, schreibt er in einem Brief aus Aalen am 16.5.1953.

Aus dem eingangs zitierten Brief geht hervor, dass meine Eltern im Februar (Fastnacht) 1952 gemeinsam (wahrscheinlich am Turmberg in Karlsruhe-Durlach) unterwegs gewesen sind. Meine Mutter (geboren am 31.12.1934) war da gerade erst siebzehn Jahre alt, die Beziehung (die man damals noch nicht so nannte) muss noch ganz frisch gewesen sein.  „Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir“, schrieb er ihr ein Jahr später. Es gibt dazu eine Parallelstelle in einem Brief vom Juni 1959 aus Oberammergau: „aber dieses Ziehen zur Familie ist ständig da“, heißt es dort. Die Verbindung (ab 1955 die Ehe) meiner Eltern war während der ersten zehn Jahre eine Beziehung mit räumlichem Abstand, das Getrenntleben eher der Normalfall als die Ausnahme. Er lebte und arbeitete mal hier mal da, sie blieb unverrückbar standortgebunden in Karlsruhe – und das bis an ihr Lebensende.