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Nichts als Arbeit, Zeichenschule, Kino und Passionsspiele

Oberammergau, 23.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Es ist wieder Freitag geworden. Diese Woche war für mich recht lebhaft. Aber was war’s eigentlich? Arbeit und Zeichenschule und Kino.“

Oberammergau, 26.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut. Ach, ich möchte als naus wo kein Loch ist so nervös macht mich das Alleinesein. […] Ich habe in der Schule das Zeichnen und Modellieren angefangen. Zuerst nur zwei Abendkurse mit unseren Lehrlingen. Das ging halt nicht lange so; ein bissel gelobt wurde ich von meinen Lehrern und schon meine ich, daß ich an zwei Tagen bei ihnen sein muß. Es macht mir aber auch mehr als nur Freude, daß mich die beiden Männer so packten.“

Oberammergau, 17.5.1960 (Postkarte), an Ch. Rumold: „Viele liebste Grüße für dich und unsere Kinder sende ich aus dem hiesigen Durcheinander. Das Geschäft steht mit dem ganzen Dorf auf dem Kopf, daß man nicht mehr weiß, was vorne und hinten ist.  Am Samstag habe ich mir das Passionsspiel angesehen. Es ist in seinem Aufbau der Inszenierung überraschend gut. Und sonst ist es halt nett, meine Kumpels herumhüpfen zu sehen.“

Große Kunst und kleiner Kaffeekampf mit Kohlesäureperlen

Oberammergau, 8.5.1960, an Ch. Rumold: „Christl, mein Schatz! […] Wenn ich samstags arbeite, ist mir im allgemeinen nicht recht wohl. [Offenbar fühlte er sich noch immer an die Regel der Adventisten gebunden, L. R.] Zum Glück hatte ich gestern einen guten Arbeitsgeist und dein Brief ließ mich auch am Nachmittag froh bleiben und mein Zeil erreichen. Morgen werde ich mit meinem Schnitzschullehrer nach Landshut fahren und ein Wandrelief einsetzen. Ich möchte mich damit ein bissel erkenntlich zeigen für die Zeit und Mühe, die er doch immer wieder für mich erübrigt hat. Mein Zeichenlehrer hat mich auch wieder geangelt. Ach, wenn ich doch einmal ein paar tausend Mark gewinnen würde, damit ich ein ganzes Jahr nur bei diesen Männern sein könnte. Es ist nicht schön, so hin und her gerissen zu werden zwischen absolutem Kunststudium und Souvenirschnitzereien. Das Schnitzen macht mir Freude, aber der Versuch zu einem Kunstwerk verlangt für sich so viel an Schubkraft und Empfindsamkeit, das glaubt man kaum. Es ist, als wenn ein Reiter von seinem täglichen Arbeitspferd ein Turnierpferd besteigt. In München in der Gauguin-Ausstellung war ich noch nicht. Mein Zeichenlehrer hat mir sogar davon abgeraten. Ich habe allerdings auch in verschiedenen Kunstbüchern eine negative Kritik über G. gelesen. Er war wie Utrillo ein genialer Individualist und hat unserem Jahrhundert eitwas von sich gesagt, aber er konnte nicht die bisherigen Sprachen zusammenfassen und um einen weiteren Baustein bereichern. Picasso brachte das fertig, deshalb ist er das Genie der Kunst in unserer Zeit. Das habe ich allerdings nicht gelesen. Die Übung in der Arbeit zeigt einem das von alleine. – […] In der kommenden Woche beginnt ja das große Rennen. Ich fürchte ein Fiasko. Wir haben jetzt einen supermodernen großen Geschäftsraum gebaut, aber keinen Vorrat an Schnitzereien. Die Arbeiter tun nicht mehr viel, wenn sie im Theater spielen und der Chef kniet wohl auf mir herum, aber ich kann ja nicht mehr als das Zeugs sausen lassen so viel ich zusammen kriege. Es bleibt immer nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. (Ein Glück, daß die Firma mich hat.) Aber ich wollte noch ein bissel auf deinen Brief eingehen. Ich sehe immer wieder meine beiden Kinder auf ihrem gemeinsamen Stuhl sitzen. Ach, wir sind doch glücklich, wenn wir zufrieden sind, und wenn der Kaffeekampf einen ganzen Sonntagmorgen dauern darf, ist ’s grad schön. Wie bald sind wir alle vier älter und da setzt sich jeder der beiden Spatzen viel zu früh in seinen eigenen Sessel. Christl, dein Erzählen über Lothars ausgesprochene Freude, weil du seinen Wunsch nicht vergessen hast, hat mich auch mit einem überraschten Erstaunen schmunzeln lassen. Aber ich bin sehr froh, wenn ich bei Lothar bin und wir, du und ich, ihm zwei sorgende Eltern sein können. Lothar beobachtet scharf, er sieht bald, was ein lebendiger Mensch zum Leben braucht. Ich glaube ich muß noch viel an mir erziehen, um einmal sein Herz zu gewinnen. Aber ich bin glücklich um solch einen Menschen. Nach deinem Brief habe ich mir gedacht: Unsere Barbara holt sich ganz einfach soviel Liebe wie sie braucht und wer könnte ihr widerstehen und Lothar wartet auf sie. […] Gestern Nachmittag hörte ich dem Radio zu. Zwischen angenehmen Melodien kamen immer so erzählte Lebensbeobachtungen. Übrigens fiel mir auf, daß sich die meisten Erzähler über sich selbst lustig machten. Es scheint große Mode zu sein, den Wilhelm Busch nachzuahmen. An der ersten Glossierung hatte ich noch Spaß. Ein ‚ahnungsloser‘ Ehemann freute sich auf die Urlaubsreise mit seiner Frau nach Spanien und träumte schon vom warmen Land, kühlem Wein, bis ihm seine Frau so nebenbei sagte: Spanien ist das Land, in dem du einmal Kavaliere sehen und studieren kannst. Nun, sie kamen in jenes Land und die Männer benahmen sich halt – normal. Bei jedem unangenehmen Zusammentreffen konnte der Ehemann jetzt fragen: ‚Sind das die Kavaliere?‘ – Am Ende der Geschichte gestand der Erzähler verschmitzt: ‚Ich hatte halt Glück.‘ – Ja, mir gefallen solche Kohlesäureperlen im Weinglas des Zusammenlebens zweier Menschen.“

Eine Lektion Kunstgeschichte

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Von links nach rechts: Barbara, Lothar und Christel Rumold, Sommer 1961

Oberammergau, 11.9.1960, an Ch. Rumold: „Es geht mir soweit recht gut, die Frankfurter Messe hat wieder eine Menge Aufträge eingebracht. Allerdings meine moderne Kreuzigungsgruppe ging nicht los. Ich habe wegen meines Abwanderungswunsches auf die Schule, mit meinem Chef gesprochen. Er hat da einen anderen Vorschlag, nämlich, daß ich zu einem unserer besten Heimarbeiter in die Werkstatt soll. Der haut unsere guten großen Figuren aus und unter dessen Augen könnte ich dann für die Firma die großen Sachen schnitzen. Aber der gute Mann war bisher immer alleine und so freundlich er auch auf der Straße ist, ich weiß nicht, ob ihm das recht ist, daß so ein junger Streber zumal neben ihm arbeitet. Er ist 65 Jahre alt. Wenn er nicht will, wäre es mir insofern recht, als daß er zwar gut, aber doch im Jahrhundertwendestil arbeitet. Wogegen die Schule halt vielseitiger ausbildet. Na, ich lasse es mal kommen. Auf jeden Fall mache ich die Christusschnitzerei nicht länger weiter. Das Kameradschaftliche Schlamperleben [in der Werkstatt, L. R.] behagt mir auch nicht mehr ganz. In meinem Lexikon moderner Kunst las ich von Suzanne Valadon: „Sie wurde 1865 in Bessines geboren und starb 1938 in Paris. Das sehr schöne, wie vom Teufel besessene und nicht gerade verschämte Mädchen war eine Zeitlang die Königin der Bälle auf dem Montmartre und Gast in vielen Ateliers. Renoir liebte ihre perlmuttene Haut, Lautrec ihr Gesichtchen, auf dem er im Widerspruch zu ihrer Jugend so etwas wie Traurigkeit entdeckte. Mit 18 Jahren brachte sie ihren unehelichen Sohn Maurice zur Welt, den ein mitleidiger Spanier namens Utrillo adoptierte. Sie hat von sich gesagt, sie habe fieberhaft gearbeitet, nicht um schöne Zeichnungen für die Wand zu schaffen, sondern um einen Augenblick des lebendigen Lebens in seiner ganzen Intensität zu erhaschen. Während ihre Zeichnungen fast ausschließlich Aktdarstellungen waren, für die sie aber nicht sehr oft graziöse Modelle, sondern vielmehr ihr Dienstmädchen nahm, weitete sie in der Malerei den Bereich ihrer Sujets aus und malte nun oft auch Landschaften und Stilleben. In ihren Bildern findet sich dieselbe Ausdruckskraft und dieselbe Schärfe wie in ihren Zeichnungen. Sie hat von Zeit zu Zeit großartige Werke geschaffen. Solche gelangen ihr vor allem, wenn sie ihre Vorliebe für rohe Farben und allzu lebhafte Kontraste zu zügeln verstand.“ – Auweh, Schatz, das war jetzt viel Kunstgeschichte. Hoffentlich gewinnen wir einmal in einer Quizsendung tausend Mark dafür.“

Und dann fuhr er doch erst am 23. Dezember

Oberammergau, [Montag] 14.12.1959: „Christl, Schatz. Ich fahre am Samstag [19.12.] um zwölf Uhr hier weg und denke bis abends bei dir zu sein. Es gäbe ja Gründe, noch einige Tage hier zu bleiben, um zu arbeiten, aber ich möchte nicht in letzter Stunde vor Weihnachten so gehetzt bei dir ankommen und dann will ich halt auch so bald als möglich wieder bei dir und den Kindern sein. Ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich könnte ja am Samstag in der Frühe fahren, aber die Frühzüge sind mir unsympathisch.“

Oberammergau, 18.12.1959: „Ich arbeite und wurschtle und habe in drei Tagen vielleicht dreihundert Mark zusammen geschunden, aber die scheinen mir im Augenblick von so fragwürdigem Wert, so notwendig wir sie auch brauchen. Es tut mir weh, daß ich dich in diesen Hexenkessel meines Lebens hinein gezogen habe – und erst unsere Kinder. Nur zu oft fürchte ich mich davor, mit diesen freudeleeren Händen und enttäuschungsvollen Armen bei euch zu sein. – Das klang jetzt schon ‚geschwollen‘, aber dieses Fürchten ist ein großes Geschwür in mir. Bei Nacht ist es fast immer da und am Tage nicht selten. Ein Handeln in Furcht bringt auch kein Glück. Christl, ich fahre am Mittwoch [23.12.] in der Frühe hier weg und bin mittags in Karlsruhe. Sei mit den Kindern herzlich gegrüßt und geküßt – dein Berthold.“

Der „Klepper“ wird in den Gemeinderat gewählt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 28.3.1960: „Es war so ein schöner Tag, daß ich jetzt am späten Abend, wo alles aus der Bude ist, doch noch gerne ein bissel an dich schreiben möchte. Viel gearbeitet wurde ja heute am Montag nicht. Es war viel zu viel Aufregung im Dorf und ein fantastisch schöner blauer Himmel. Schon als ich aufwachte und laut Radiosendung mit schlechtem Wetter rechnete, aber einen blauen Himmel sah, war ich froh. Im Geschäft war dann wenig Betrieb, weil gestern Wahltag war für den Bürgermeister und den Gemeinderat. Unser Josef (Pankratz) und der Chef, Herr Lang, hatten kandidiert. Aber weil noch keine Ergebnisse heraus waren, stand alles diskutierend beieinander auf der Straße und genoß teilweise das schöne Wetter und teilweise die steigenden Chancen von Herrn Lang. Die Spannung lag darin, daß unser schärfster Geschäftskonkurrent bei der Gegenpartei aufgestellt war. Und endlich war es soweit. Unser Gegner, der bisher im Gemeinderat saß, mußte heraus und unser ‚Klepper‘ [Spitzname für Herrn Lang] hatte genug Stimmen, um hinein zu kommen. Da unternahmen wir natürlich gleich einen Firmenausflug ins Grüne. […] Josef kam bei der Wahl nicht durch. Er hatte nicht allzuviel Stimmen bekommen. Ein bissel bin ich schadenfroh, weil er so gerne den Feldwebel spielt.“

Die gute böse Frau wird achtzig

Aus einem Brief an Ch. Rumold vom 16.5.1959 aus Oberammergau: „Heute Abend nehme ich meine Wirtin mit ins Kino. Die gute böse Frau wurde dieser Tage achtzig Jahre. Das ganze Dorf hat sie beschenkt und sie ist glücklich, weil doch jeder ihre scharfe Zunge fürchtet und ihr trotzdem eine mehr oder weniger große Geburtstagsfreude gemacht hat. Der Film heißt: Die Zehn Gebote. Es wird ein so theatralisches Gespiele sein wie die Passion.“

Die Spatzen flattern auf dem Dorfe oder: in Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt

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Die Spatzen (Barbara und Lothar R.) auf dem Dorf (Wälde bei Freudenstadt), Sommer 1960.

Brief aus Oberammergau am 25.8.1960: „Liebe Christl! Vielen Dank für deinen Brief vom Freitag und Montag. Schatz, ich freue mich für dich, wenn du einmal ein paar Tage für dich selbst hast und unsere Spatzen auf dem Dorf herumflattern.“ Das Dorf war damals eines wie es heute nur noch im Buche steht oder zum Beispiel in Rumänien besichtigt werden kann: mit einer notdürftig asphaltierten, so gut wie nicht befahrenen Hauptstraße, mit Hühnern und Hasen hinterm Haus, Gänsen am Bach und einem Plumpsklo ohne Wasserspülung eine halbe Treppe tiefer bzw. höher.

Weiter heißt es im selben Brief: „Christl, es wäre natürlich möglich, daß ich komme und wir mit Siegfried nach Wälde fahren. Aber ich sträube mich bei dem Gedanken, daß wir nur wenig Geld in der Tasche haben. Das peinliche Gefühl dabei habe ich nur zu oft erlebt. Christl, Schatz, bitte mache einmal für dich in Karlsruhe Urlaub, gönne dir am Abend einen Spaziergang ins Café und schlafe am Morgen ein bissel länger. Ich bin ja auch hier von Herzen zufrieden, wenn ich an einem Nachmittag bei schönem Wetter an einem Bache liegen kann. Ein bissel lesen und dann die Berge anschauen und mal ins Wasser – so bin ich glücklich. Jetzt haben wir ja endlich das ersehnte Sommerwetter und alles ist gleich viel besser gelaunt. Am Nachmittag sitzen wir [i. e. die Holzschnitzer der Fa. Lang] da gerne für eine Stunde vor einem der Hotels unter dem Sonnenschirm und lassen uns bedienen als ob wir in Urlaub wären. Ich habe aber auch jetzt so einen netten Kameraden. Er ist unser ‚Aushauer‘ und macht nur die großen Sachen. Er war jetzt vierzehn Tage krank, so daß ich seine Aufträge ausführen konnte. Aber ich kann halt doch nicht das, was er kann, und so muß ich wieder zu meinen Herrgöttlen zurück. Bis ich diese Wahrheit einmal verdaut habe, wird es mich noch manchmal würgen. Es ist halt eine Talentsache, das Bildhauern. Der Toni (das ist der Aushauer) sitzt die meiste Zeit herum und liest einen Roman um den andern. Um die Kunst schert er sich einen Dreck, aber wenn man ihm eine Zeichnung gibt und einen Brocken Holz, dann haut er drauflos und stellt einem die besten Figuren danach hin. Er hat’s halt in sich. Christl, ich möchte hier bleiben und meiner Arbeit nachgehen und zwischendurch mal ein bissel bummeln. In Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt mit ihren Leuten und ihrem Luxus, den wir uns ja doch nicht leisten können, aber immer vor die Nase gehalten kriegen. Wenn ich alleine bin denke ich gar nicht an das Zeugs und bin so zufrieden.“

Die Berge strahlten in glitzerndem Schnee

Kunstkarte aus Oberammergau am 10.11.1960: „Mein lieber Lothar! Ich möchte dir einen lieben Gruß beilegen. Auf der Bildseite ist Maria mit dem Jesuskind zu sehen. Warum der Josef den Stock hoch hält, weiß ich nicht. Sicher gibt er acht, daß niemand dem Kindlein und seiner Mama etwas tut. Lothar, wie geht es dir und Barbara? Schade, daß du bei dem schönen Wetter nicht hier sein kannst. Unsere Berge strahlen in glitzerndem Schnee bei dem schönen Wetter. Leider geht’s halt nicht immer wie man will. Jetzt sende ich dir, Barbara, Mama, Oma und O. Siegfried viele liebe Grüße – dein Papa.“

Gerard David (1460-1523): Die Heilige Familie bei der Rast auf der Flucht nach Ägypten

Gerard David (1460-1523): Die Heilige Familie bei der Rast auf der Flucht nach Ägypten

Wenn es nicht die Grenze zum Blasphemischen berühren würde, könnte einem in den Sinn kommen, dass die von Gerard David so schön ins Bild gesetzte Szene auf gewisse Grundzüge der damaligen Situation der Familie Rumold verweist: Mutter und Kind(er) in sphärisch geschlossener Zwei- bzw. Dreisamkeit, während der nominelle Vater durch Abwesenheit glänzt und in einiger Entfernung unverständliche Dinge treibt.

Was am schwersten fällt oder: An die Bande gebunden

Aus einem Brief an Ch. Rumold, Oberammergau, 12.11.1960: „Ich würde am liebsten nächstes Wochenende wieder zu dir und den Kindern fahren, aber das geht mit dem Geld natürlich nicht. Ich weiß selbst nicht, wie mir das immer passiert, daß ich jedesmal zwei Wochen brauche, bis ich wieder ins Gleichgewicht mit der Arbeit komme. Doch es wird auch wieder Weihnachten werden. […]  Diese elende Meisterprüfung liegt mir im Magen, aber noch wichtiger ist mir, daß ich mich einmal aufraffe und das Leben hier mit dem Land abschütteln kann, das fällt mir noch schwerer als alles andere. Schatz, du solltest sehen was wir in der Werkstatt für eine gemütliche Ecke gebaut haben mit Hirschgeweih und rohen Stühlen und Tisch. Natürlich haben wir alles schon eingeweiht vorige Woche an einem nebeligen, verschneiten Tag, wo es zum arbeiten zu dunkel und zum Licht anzünden zu hell war. Ich werde von der Bande nur loskommen, wenn ich mich selbständig mit eigenem Geschäft machen kann. Nächste Woche kommt nocheinmal so ein Abend. Unser Toni hat einen Buben bekommen. Heute morgen um halb sieben. Als ich in die Werkstatt kam, saß er ganz zerschlagen da.“

„Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten.“

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 24.11.1956: „Meine liebe Christl! Es ist Samstagabend und nur der Josef sitzt bei mir in der Werkstatt und schnitzt seine schönen Christuskörper. Heute habe ich um zwölf Uhr meine Eisen weggelegt und bin in mein Zimmer, um mal ein bissel zu schlafen. […] Ich hatte es nötig, denn es wird nahezu jeden Abend zwölf oder ein Uhr bis ich aus der Werkstatt komme. Ich fühle mich halt wirklich wohl und mein Hunger zu lernen ist unersättlich. Es macht mir viel Freude, an meinen Arbeiten zu sehen, wie sie von Stück zu Stück besser werden. Manchmal werde ich ja ungeduldig, wenn ich an einer bestimmten Körperstelle, z. B. gerade an den Rippen, einfach nicht unter einer Stunde fertig werde und die anderen schnitzen so schnell darüber hinweg. Allerdings kann man den Brustkasten dann auch ansehen, das entschädigt mich wieder. Um fünf Uhr werde ich müde und das Eisen legt keinen richtigen Schnitt mehr hin, dann gehe ich hinaus aus der Werkstatt und schnappe auf einem schönen Waldweg frische Luft und wenn ich etwas verzagt bin, weil es mir noch nicht schnell genug geht, so geben mir die Berge mit ihrem großen Anblick immer wieder neue Arbeitsfreude. Ich stehe noch immer auf 75 Mark in der Woche. Das ist aber brutto und ausbezahlt bekomme ich 66,66. In einer Woche komme ich bestimmt um einen Christus höher, daß ich dir sechzig Mark in der Woche schicken kann. […] Wir, d. h. gerade unser Geschäft braucht dringend neue Modelle. Wir waren noch vor einigen Jahren das führende Geschäft in Oberammergau, wurden aber von einem lebendigen Meisterbetrieb überholt. Der Andere bringt immer neue Gedanken ins Holz und wenn sie auch nicht besonders geistreich sind, so bieten sie doch der Kundschaft eine reiche Auswahl, für jede Gelegenheit das Passende zu schenken. Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten. Zum Glück verstehe ich mich bis jetzt mit allen Leuten sehr gut und will’s auch so weiter halten. […] Bei aller Vielzahl der Gedankengänge kommt immer wieder meine große Liebe zu dir und dem Buben und eine andere Liebe zu der Arbeit als Holzbildhauer durch. Ich weiß, daß beides unauslöschlich in mir lebt und hoffe, daß die Zeit auch Rat mit sich bringt.“