Die Spatzen flattern auf dem Dorfe oder: in Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt

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Die Spatzen (Barbara und Lothar R.) auf dem Dorf (Wälde bei Freudenstadt), Sommer 1960.

Brief aus Oberammergau am 25.8.1960: „Liebe Christl! Vielen Dank für deinen Brief vom Freitag und Montag. Schatz, ich freue mich für dich, wenn du einmal ein paar Tage für dich selbst hast und unsere Spatzen auf dem Dorf herumflattern.“ Das Dorf war damals eines wie es heute nur noch im Buche steht oder zum Beispiel in Rumänien besichtigt werden kann: mit einer notdürftig asphaltierten, so gut wie nicht befahrenen Hauptstraße, mit Hühnern und Hasen hinterm Haus, Gänsen am Bach und einem Plumpsklo ohne Wasserspülung eine halbe Treppe tiefer bzw. höher.

Weiter heißt es im selben Brief: „Christl, es wäre natürlich möglich, daß ich komme und wir mit Siegfried nach Wälde fahren. Aber ich sträube mich bei dem Gedanken, daß wir nur wenig Geld in der Tasche haben. Das peinliche Gefühl dabei habe ich nur zu oft erlebt. Christl, Schatz, bitte mache einmal für dich in Karlsruhe Urlaub, gönne dir am Abend einen Spaziergang ins Café und schlafe am Morgen ein bissel länger. Ich bin ja auch hier von Herzen zufrieden, wenn ich an einem Nachmittag bei schönem Wetter an einem Bache liegen kann. Ein bissel lesen und dann die Berge anschauen und mal ins Wasser – so bin ich glücklich. Jetzt haben wir ja endlich das ersehnte Sommerwetter und alles ist gleich viel besser gelaunt. Am Nachmittag sitzen wir [i. e. die Holzschnitzer der Fa. Lang] da gerne für eine Stunde vor einem der Hotels unter dem Sonnenschirm und lassen uns bedienen als ob wir in Urlaub wären. Ich habe aber auch jetzt so einen netten Kameraden. Er ist unser ‚Aushauer‘ und macht nur die großen Sachen. Er war jetzt vierzehn Tage krank, so daß ich seine Aufträge ausführen konnte. Aber ich kann halt doch nicht das, was er kann, und so muß ich wieder zu meinen Herrgöttlen zurück. Bis ich diese Wahrheit einmal verdaut habe, wird es mich noch manchmal würgen. Es ist halt eine Talentsache, das Bildhauern. Der Toni (das ist der Aushauer) sitzt die meiste Zeit herum und liest einen Roman um den andern. Um die Kunst schert er sich einen Dreck, aber wenn man ihm eine Zeichnung gibt und einen Brocken Holz, dann haut er drauflos und stellt einem die besten Figuren danach hin. Er hat’s halt in sich. Christl, ich möchte hier bleiben und meiner Arbeit nachgehen und zwischendurch mal ein bissel bummeln. In Karlsruhe verwirrt mich die ganze Stadt mit ihren Leuten und ihrem Luxus, den wir uns ja doch nicht leisten können, aber immer vor die Nase gehalten kriegen. Wenn ich alleine bin denke ich gar nicht an das Zeugs und bin so zufrieden.“