„Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Am 16. Februar 1953 (ein „Rosenmontag“) schreibt er aus Aalen (Brunnenstr. 80) an seine spätere Frau: „Ach Lieb, an Ostern gehen wir unbedingt wieder hinaus und wenn ich in Stuttgart bin, möchte ich Sabbats wieder mit dir dort oben [i. e. auf dem Turmberg in Karlsruhe-Durlach] sein. Weißt, wenn unter uns Karlsruhe so ausgebreitet liegt und ganz hinten rechts müßte der Dom zu Speyer aus der Ebene hervorlugen. Und warm ist es dann wieder. Und abends muß ich nicht nach Bulach [Stadtteil von Karlsruhe]. Ja das wird wahr. Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Mein Vater hatte über seinen Kontakt zur Karlsruher Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Arbeit in einer Aalener Ziegelei bekommen. Dass er seit Mai 1952 den Gesellenbrief im Holzbildhauer-Handwerk besaß, spielte dabei möglicherweise eine Rolle, denn einmal schreibt er: „Morgen gehe ich in die Fabrik und modelliere das Kinderrelief.“ Auch in Aalen bewegte er sich offenbar in den Kreisen der Adventisten, ging am Samstag („Sabbat“) in den Gottesdienst und las christliche Büchlein, so etwa eines von Theophil Spoerri: „Der Herr des Alltags“ (1932): „es ist eine der besten Schriften, die ich als Wegweiser zu Christus gelesen habe und hat mir neue Kraft und Hoffnung gegeben“, schreibt er in einem Brief aus Aalen am 16.5.1953.

Aus dem eingangs zitierten Brief geht hervor, dass meine Eltern im Februar (Fastnacht) 1952 gemeinsam (wahrscheinlich am Turmberg in Karlsruhe-Durlach) unterwegs gewesen sind. Meine Mutter (geboren am 31.12.1934) war da gerade erst siebzehn Jahre alt, die Beziehung (die man damals noch nicht so nannte) muss noch ganz frisch gewesen sein.  „Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir“, schrieb er ihr ein Jahr später. Es gibt dazu eine Parallelstelle in einem Brief vom Juni 1959 aus Oberammergau: „aber dieses Ziehen zur Familie ist ständig da“, heißt es dort. Die Verbindung (ab 1955 die Ehe) meiner Eltern war während der ersten zehn Jahre eine Beziehung mit räumlichem Abstand, das Getrenntleben eher der Normalfall als die Ausnahme. Er lebte und arbeitete mal hier mal da, sie blieb unverrückbar standortgebunden in Karlsruhe – und das bis an ihr Lebensende.

Das Christus-Kreuz in Karlsruhe-Neureut

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B. Rumold: Christus-Kreuz, ca. 4 m hoch, 1964

1964 erhielt der Karlsruher Stadtteil Neureut einen neuen Hauptfriedhof. An zentraler Stelle befindet sich ein Ehrenfeld (u. a. mit der Grabstätte des 1977 ermordeten ehem. Generalbundesanwalt Siegfried Buback), das von einem ca. 4 Meter hohen Holzkreuz überragt wird. Es handelt sich um eine stilisierte Christus-Darstellung, geschaffen von meinem Vater im Jahr der Neuanlage dieses Friedhofs (1964). Das Christus-Kreuz bzw. der Kreuz-Christus muss damals eine seiner ersten Arbeiten im öffentlichen Karlsruher Raum gewesen sein, da er die neue alte Karlsruher Werkstatt in der Haid-und-Neu-Straße 24 erst Anfang der 1960er Jahre nach Ablegung der Meisterprüfung (im Mai 1962) wieder eröffnen konnte. Es folgten viele weitere Arbeiten im öffentlichen Raum – in Holz, aber auch in Stein.

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Berthold Rumold: Christus-Kreuz, Holz, ca. 4 m hoch, Ehrenfeld auf dem Neureuter Hauptfriedhof, 1964

 

Berge, Schnee und Badehose

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Schwarz-Weiß-Foto ca. 6 x 5 cm

Brief aus Oberammergau vom 10.5.1959: „Meine liebe Christl! Es ist Sonntagmittag. Ein ganz sonniger Tag. Ich war schon in der Frühe um ½ 3 Uhr aufgestanden und mit Karl in die Berge gefahren. Wir hatten unsere Schis mitgenommen und wirklich auf dem Gipfel noch das Glück ein großes Schneefeld vorzufinden. Der Aufstieg […] war ja etwas anstrengend, aber es hatte sich gelohnt. Wir rutschten so vergnügt ein paar Stunden im Schnee herum mit Badehose und den Brettern und die Sonne knallte aus einem so tiefblauen Himmel also es war sehr schön. Allerdings schmerzen mich jetzt meine Schultern von dem Brettertragen.“

Porträt des Stadtgründers mit Hund

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B. Rumold neben seinem Porträt des Gründers der Stadt Carolsruhe mit Hund (Bundesgartenschau Karlsruhe 1967)

Die Legende will, dass die Gründung der Stadt Karlsruhe auf eine „traumatische“ Erfahrung des Markgrafen Carl Wilhelm von Baden-Durlach zurückgeht. Nach einer Jagd im Hardtwald soll ihm die Stadt (bzw. ein neues Schloss als deren perspektivischem Zentrum) zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Traum erschienen sein. Am 17. Juni 1715 ließ Carl Wilhelm dem Traum Taten folgen und legte den Grundstein für den Schlossturm. Der Rest ist de facto Stadtgeschichte, auch wenn sich Experten darüber streiten, ob diese Grundsteinlegung de jure als chronologischer Nullpunkt der Siedlungsgenese angenommen werden darf.

„Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen“

Blick auf Oberammergau

Blick auf Oberammergau

Auf der Rückseite dieser Karte vom 12.2.1962 (aus Oberammergau) heißt es: „Liebe Christl! Es ist schwer zu sagen wie es mir geht. Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen.“

Was das im Einzelnen hieß, stand schon in einem Brief vom 5.2.1962: „Bei mir ist zwar viel viel Arbeit aber fast alles in der Schule. Samstags ist ja in Garmisch der direkte Vorbereitungskurs, da brauche ich gerade den Sonntag um zum notwendigsten Geld für mich zu kommen. Zum Glück geht es mit den Entwürfen für die [Frankfurter] Messe am 1. März noch einigermaßen gut, aber alles im Geschäft drängt und unser angestellter Meister mit seinen konservativen Arbeiten schläft auch nicht und hat dazu alle Zeit. Na hoffentlich schlägt mein Zeugs gut ein. Ich könnte es brauchen. Was mir selbst am meisten bei dem modernen Stil gefällt ist die Ehrlichkeit gegen das gewachsene Stück Holz und das nur eingehen auf die Grundhaltung einer dargestellten Plastik. […] In Garmisch ist der Kurs sehr interessant. Die Lehrer sind noch sehr jung aber […] sehr intelligent. Die Meisterprüfung findet am 4. Mai in München statt. Hoffentlich komm ich durch.“

An Berthold Rumold, Oberammergau, Kleppergasse 10

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Brief an den Vater 1962

In der Zeit als mein Vater in Oberammergau lebte, verbrachten meine (damals Kleine) Schwester und ich mit der Oma jeden Sommer ein paar Wochen bei den Verwandten in Wälde in der Nähe von Freudenstadt. Dort gehörte es zu unseren festen Gewohnheiten, von der Brücke des Baches aus „Briefe an den Papa“ ins Wasser zu werfen. Dass der Heimbach in die Glatt, die Glatt in den Neckar, der Neckar in den Rhein und dieser in die Nordsee mündete und zuvor keiner der Bäche und Flüsse an Oberammergau vorbei floss, wussten wir nicht. Allenfalls ahnten wir es, aber dessen ungeachtet war es uns durchaus ernst mit unserem Dem-Vater-einen-Brief-schicken-Spiel. Der oben abgebildete Brief muss allerdings von einem anderen Ort aus und auf anderem Wege nach Oberammergau (und wieder zurück) gelangt sein.

„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“

Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“

Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“

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B. Rumold: Kämpfende Hirsche, Eiche, 30 x 13 x 21 cm (1962)

 

Schleiche ich in der Vergangenheit herum?

Am 21. März 1996 notiert der Künstler Hetum Gruber: „Das dringende Bedürfnis nach Geschichtslosigkeit.“ Und am 23. März 1996: „Es ist ziemlich ekelhaft, in der Vergangenheit herumzuschleichen.“ Diese Empfindung kann ich nachvollziehen. Natürlich kam mir, als ich das heute las, die Frage in den Sinn, ob ich hier in der Vergangenheit (meines Vaters und in meiner eigenen) „herumschleiche“. Zu Beginn meiner Vater-Brief-Lektüre vor gut einem Jahr war tatsächlich eine Empfindung im Spiel, die man als eine Art Ekel bezeichnen könnte. Mittlerweile ist dieser Ekel nicht nur der Neugierde gewichen, sondern auch der Freude am Rekonstruieren des Gewesenen. Rekonstruieren heißt in erster Linie neu erschaffen, und die in der Vorsilbe „Re“ enthaltene Behauptung, dass da etwas wiedererstellt werde, ist Illusion und bloße Metapher.

Zwischen Schule und Werkstatt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau vom 2. Oktober 1961. „Ich höre gerne von meiner Barbara. Von ihr träume ich am meisten. Im Beruf geht es mir noch gut. Ich sollte mich teilen können, damit ich in der Schule und in der Werkstatt sein könnte. Die Schule stetzt halt vor jeder Schnitzarbeit eine geistige Auseinandersetzung voraus und ist ungemein anregend. Die Werkstatt hat natürlich ein anderes Klima, aber mein Chef läßt mich ungehindert entwerfen und frei arbeiten. Hoffentlich geht das noch lange so weiter.“