Archiv der Kategorie: Die Briefe

Ein Gesplitter von Grau, Schwarz, Rot und Grün – und eine unvergessliche Bergtour

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„Christl, das Kleid hat mir gefallen, könnte das schön sein? Meine großformigen Modelle haben auf der [Frankfurter] Messe doch großen Anklang gefunden.“

Oberammergau, 8.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Vielen herzlichen Dank für deinen lieben Brief. Ach Schatz, wenn ich ein Bild malen müßte von der augenblicklichen Zeit hier, gäbe es ein Gesplitter von Grau, Schwarz, Rot und viel, viel Grün. Ich habe in der Schnitzschule angefangen Zeichen- und Modellierkurse zu nehmen als Vorarbeit für die Meisterprüfung und sah, daß ich noch viel lernen muß. Und bin eifrig beim Lernen. Und bin doch mit einem Male so müde, so unendlich müde vom Alleinsein. Wenn mich mein Chef vorige Woche nicht zurück gehalten hätte, wäre ich nach Hause zu dir gefahren und hätte bei Kinsler Arbeit gesucht. Aber von geschäftlicher Schau aus wäre es wirklich nicht richtig, jetzt aufzugeben, wo es um die entscheidende Strecke bis zur Meisterprüfung geht. Sicher ist es im Augenblick eine heftige Krise und in vierzehn Tagen geht es wieder besser weiter. […] Vor drei Wochen hatte ich ja ein sehr schönes Wochenende. Es war ein so schönes Wetter am Samstag, daß ich mich kurz vor Mittag entschloß, alles zusammen zu packen und auf die Zugspitze zu steigen. Den Karl fragte ich anstandshalber, ob er mit komme, aber es war mir recht, alleine zu gehen. Alleine laufe ich nämlich so, wie es mir gefällt, mal schnell, mal langsam und auf der Zugspitze ist man bei schönem Wetter nicht alleine. So kam es auch, daß ich am Abend in der vollgepfropften Zugspitzhütte saß unter mehr oder weniger guten Bergsteigern, die mich auch bald einluden, einen wunderschönen, aber schwierigen Grat zu begehen. Sie hatten Seile dabei, es konnte da nicht allzuviel passieren. Ach, es war schön unter diesen Leuten zu sein. Es waren Studenten und Ingenieure aus Augsburg. Die Nacht auf der Hütte vergesse ich so schnell nicht. Wir schliefen auf und unter den Tischen und Bänken und mit wehen Gliedern und ein bissel Angst zogen wir schon vor Tage los. Zwölf Stunden lang waren wir zu siebt ein Herz und eine Seele. Wir lachten, schimpften und fürchteten uns miteinander und waren doch glücklich. Wäre jemand aus der Werkstatt dabei gewesen, ich hätte nicht so frei und froh sein können. Vor acht Tagen wollte ich den Weg mit Karl noch einmal gehen. Zum Glück überfiel uns auf der Zugspitze schlechtes Wetter, daß wir wieder zurück ins Tal mußten. Es ist nämlich ein blödsinniger Rivalenkampf unter Werkstattkameraden, den ich gar nicht mag.“

Hund, Katze, Maus? – Bärle!

Brief an Lothar Rumold aus Oberammergau am 30.11.1957

Brief an Lothar Rumold aus Oberammergau am 30.11.1957

Von mir – ich war damals 26 Monate alt – wurde „unser Butzi“ – Wau hin, Gebell her – ohne weiteres als Bärle identifiziert. Das konnte mein Vater, der von seinen Lehrern gelobte Zeichner, nicht auf sich sitzen lassen, weshalb er postwendend ein hundeähnlicheres Porträt des Butzi nachreichte und dazu schrieb: „Der Papa freut sich, daß du gesund und brav bist. Du hast gesagt, daß der Hund vom letzten Brief ein Bärle sei. Nun frag ich dich: Ist das ein Hund oder nicht?“ Aus heutiger Sicht würde ich sagen: beide Hunde sind deutlich als solche zu erkennen, wobei mir der erste Butzi mit seinen freundlichen Knopfaugen und seinen kurzen Beinchen viel besser gefällt als der schäferhundartige vom 6.12. mit seinem indignierten Blick und der zwischen den Zähnen heraushängenden Zunge.

Man sieht, warum ich in Butzi mein Bärle von damals wiedererkannte. Damals hatte das Bärle aber noch mehr Haare als auf dieser Aufnahme von heute. Ich auch.

Man sieht, warum ich in Butzi umstandslos mein Bärle wiedererkannte. Damals hatte es allerdings noch mehr Haare als auf diesem aktuellen Foto. Ich auch.

Ein freudscher Verschreiber?

Oberammergau, 31.10.1959, an Ch. Rumold: „Es ist jetzt Samstagabend. Mit meiner Arbeit bin ich nicht so weit gekommen wie ich wollte, aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil, es erzeugt eine leichte Spannung, die mir oft am nächsten Tage beim Arbeiten hilft. Wahrscheinlich gehe ich sogar noch ins Kino heute, obwohl das immer so eine Sache ist mit dem ‚Mal was anderes sehen‘. Ist es nämlich ein schlechter Film, sage ich hinterher, daß ich diese Zeit besser mit etwas Nützlichem hätte verbringen können und wäre es das Schlafen im Bette gewesen. Ist es aber ein guter Film, dann paßt es mir noch weniger, weil ich ihn ohne dich sehen mußte. Den Film ‚Und der Rest ist Schweigen‘ habe ich mir angesehen. Er gefiel mit sehr gut. Ganz groß war eine kleine Szene darin. Als der junge Mann seinem Freund, dem Ballettmeister, die Idee seines Ballettes erklärt hatte, ging er doch auf das Mädchen, das im Sessel zuhörte, zu und setzte oder legte oder schmiegte sich an ihre Füße. Diese wenigen Bewegungen waren doch vollkommenster Ausdruckstanz. Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte. Er erweckte in mir immer wieder den Eindruck, daß er selbst sein Handeln gestaltet. Ein Film, den ich acht Tage später sah, zeigte das erst richtig. Er hieß: ‚Besuch aus dem Jenseits‘. Ein grausamer Titel für einen großen Film. Da hatte auch ein junger Mann einen Mord aufzuklären. Er sagte in seiner Rolle nicht einmal etwas von einem Zwang, der ihn trieb, aber er spielte das zwingend heraus.“

Freudianer hätten an diesem Brief ihre ödipale Freude. In dem Satz „Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte“ hatte es zunächst „ausführen“ statt „aufklären“ geheißen.

Nichts als Arbeit, Zeichenschule, Kino und Passionsspiele

Oberammergau, 23.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Es ist wieder Freitag geworden. Diese Woche war für mich recht lebhaft. Aber was war’s eigentlich? Arbeit und Zeichenschule und Kino.“

Oberammergau, 26.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut. Ach, ich möchte als naus wo kein Loch ist so nervös macht mich das Alleinesein. […] Ich habe in der Schule das Zeichnen und Modellieren angefangen. Zuerst nur zwei Abendkurse mit unseren Lehrlingen. Das ging halt nicht lange so; ein bissel gelobt wurde ich von meinen Lehrern und schon meine ich, daß ich an zwei Tagen bei ihnen sein muß. Es macht mir aber auch mehr als nur Freude, daß mich die beiden Männer so packten.“

Oberammergau, 17.5.1960 (Postkarte), an Ch. Rumold: „Viele liebste Grüße für dich und unsere Kinder sende ich aus dem hiesigen Durcheinander. Das Geschäft steht mit dem ganzen Dorf auf dem Kopf, daß man nicht mehr weiß, was vorne und hinten ist.  Am Samstag habe ich mir das Passionsspiel angesehen. Es ist in seinem Aufbau der Inszenierung überraschend gut. Und sonst ist es halt nett, meine Kumpels herumhüpfen zu sehen.“

Große Kunst und kleiner Kaffeekampf mit Kohlesäureperlen

Oberammergau, 8.5.1960, an Ch. Rumold: „Christl, mein Schatz! […] Wenn ich samstags arbeite, ist mir im allgemeinen nicht recht wohl. [Offenbar fühlte er sich noch immer an die Regel der Adventisten gebunden, L. R.] Zum Glück hatte ich gestern einen guten Arbeitsgeist und dein Brief ließ mich auch am Nachmittag froh bleiben und mein Zeil erreichen. Morgen werde ich mit meinem Schnitzschullehrer nach Landshut fahren und ein Wandrelief einsetzen. Ich möchte mich damit ein bissel erkenntlich zeigen für die Zeit und Mühe, die er doch immer wieder für mich erübrigt hat. Mein Zeichenlehrer hat mich auch wieder geangelt. Ach, wenn ich doch einmal ein paar tausend Mark gewinnen würde, damit ich ein ganzes Jahr nur bei diesen Männern sein könnte. Es ist nicht schön, so hin und her gerissen zu werden zwischen absolutem Kunststudium und Souvenirschnitzereien. Das Schnitzen macht mir Freude, aber der Versuch zu einem Kunstwerk verlangt für sich so viel an Schubkraft und Empfindsamkeit, das glaubt man kaum. Es ist, als wenn ein Reiter von seinem täglichen Arbeitspferd ein Turnierpferd besteigt. In München in der Gauguin-Ausstellung war ich noch nicht. Mein Zeichenlehrer hat mir sogar davon abgeraten. Ich habe allerdings auch in verschiedenen Kunstbüchern eine negative Kritik über G. gelesen. Er war wie Utrillo ein genialer Individualist und hat unserem Jahrhundert eitwas von sich gesagt, aber er konnte nicht die bisherigen Sprachen zusammenfassen und um einen weiteren Baustein bereichern. Picasso brachte das fertig, deshalb ist er das Genie der Kunst in unserer Zeit. Das habe ich allerdings nicht gelesen. Die Übung in der Arbeit zeigt einem das von alleine. – […] In der kommenden Woche beginnt ja das große Rennen. Ich fürchte ein Fiasko. Wir haben jetzt einen supermodernen großen Geschäftsraum gebaut, aber keinen Vorrat an Schnitzereien. Die Arbeiter tun nicht mehr viel, wenn sie im Theater spielen und der Chef kniet wohl auf mir herum, aber ich kann ja nicht mehr als das Zeugs sausen lassen so viel ich zusammen kriege. Es bleibt immer nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. (Ein Glück, daß die Firma mich hat.) Aber ich wollte noch ein bissel auf deinen Brief eingehen. Ich sehe immer wieder meine beiden Kinder auf ihrem gemeinsamen Stuhl sitzen. Ach, wir sind doch glücklich, wenn wir zufrieden sind, und wenn der Kaffeekampf einen ganzen Sonntagmorgen dauern darf, ist ’s grad schön. Wie bald sind wir alle vier älter und da setzt sich jeder der beiden Spatzen viel zu früh in seinen eigenen Sessel. Christl, dein Erzählen über Lothars ausgesprochene Freude, weil du seinen Wunsch nicht vergessen hast, hat mich auch mit einem überraschten Erstaunen schmunzeln lassen. Aber ich bin sehr froh, wenn ich bei Lothar bin und wir, du und ich, ihm zwei sorgende Eltern sein können. Lothar beobachtet scharf, er sieht bald, was ein lebendiger Mensch zum Leben braucht. Ich glaube ich muß noch viel an mir erziehen, um einmal sein Herz zu gewinnen. Aber ich bin glücklich um solch einen Menschen. Nach deinem Brief habe ich mir gedacht: Unsere Barbara holt sich ganz einfach soviel Liebe wie sie braucht und wer könnte ihr widerstehen und Lothar wartet auf sie. […] Gestern Nachmittag hörte ich dem Radio zu. Zwischen angenehmen Melodien kamen immer so erzählte Lebensbeobachtungen. Übrigens fiel mir auf, daß sich die meisten Erzähler über sich selbst lustig machten. Es scheint große Mode zu sein, den Wilhelm Busch nachzuahmen. An der ersten Glossierung hatte ich noch Spaß. Ein ‚ahnungsloser‘ Ehemann freute sich auf die Urlaubsreise mit seiner Frau nach Spanien und träumte schon vom warmen Land, kühlem Wein, bis ihm seine Frau so nebenbei sagte: Spanien ist das Land, in dem du einmal Kavaliere sehen und studieren kannst. Nun, sie kamen in jenes Land und die Männer benahmen sich halt – normal. Bei jedem unangenehmen Zusammentreffen konnte der Ehemann jetzt fragen: ‚Sind das die Kavaliere?‘ – Am Ende der Geschichte gestand der Erzähler verschmitzt: ‚Ich hatte halt Glück.‘ – Ja, mir gefallen solche Kohlesäureperlen im Weinglas des Zusammenlebens zweier Menschen.“

Eine Lektion Kunstgeschichte

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Von links nach rechts: Barbara, Lothar und Christel Rumold, Sommer 1961

Oberammergau, 11.9.1960, an Ch. Rumold: „Es geht mir soweit recht gut, die Frankfurter Messe hat wieder eine Menge Aufträge eingebracht. Allerdings meine moderne Kreuzigungsgruppe ging nicht los. Ich habe wegen meines Abwanderungswunsches auf die Schule, mit meinem Chef gesprochen. Er hat da einen anderen Vorschlag, nämlich, daß ich zu einem unserer besten Heimarbeiter in die Werkstatt soll. Der haut unsere guten großen Figuren aus und unter dessen Augen könnte ich dann für die Firma die großen Sachen schnitzen. Aber der gute Mann war bisher immer alleine und so freundlich er auch auf der Straße ist, ich weiß nicht, ob ihm das recht ist, daß so ein junger Streber zumal neben ihm arbeitet. Er ist 65 Jahre alt. Wenn er nicht will, wäre es mir insofern recht, als daß er zwar gut, aber doch im Jahrhundertwendestil arbeitet. Wogegen die Schule halt vielseitiger ausbildet. Na, ich lasse es mal kommen. Auf jeden Fall mache ich die Christusschnitzerei nicht länger weiter. Das Kameradschaftliche Schlamperleben [in der Werkstatt, L. R.] behagt mir auch nicht mehr ganz. In meinem Lexikon moderner Kunst las ich von Suzanne Valadon: „Sie wurde 1865 in Bessines geboren und starb 1938 in Paris. Das sehr schöne, wie vom Teufel besessene und nicht gerade verschämte Mädchen war eine Zeitlang die Königin der Bälle auf dem Montmartre und Gast in vielen Ateliers. Renoir liebte ihre perlmuttene Haut, Lautrec ihr Gesichtchen, auf dem er im Widerspruch zu ihrer Jugend so etwas wie Traurigkeit entdeckte. Mit 18 Jahren brachte sie ihren unehelichen Sohn Maurice zur Welt, den ein mitleidiger Spanier namens Utrillo adoptierte. Sie hat von sich gesagt, sie habe fieberhaft gearbeitet, nicht um schöne Zeichnungen für die Wand zu schaffen, sondern um einen Augenblick des lebendigen Lebens in seiner ganzen Intensität zu erhaschen. Während ihre Zeichnungen fast ausschließlich Aktdarstellungen waren, für die sie aber nicht sehr oft graziöse Modelle, sondern vielmehr ihr Dienstmädchen nahm, weitete sie in der Malerei den Bereich ihrer Sujets aus und malte nun oft auch Landschaften und Stilleben. In ihren Bildern findet sich dieselbe Ausdruckskraft und dieselbe Schärfe wie in ihren Zeichnungen. Sie hat von Zeit zu Zeit großartige Werke geschaffen. Solche gelangen ihr vor allem, wenn sie ihre Vorliebe für rohe Farben und allzu lebhafte Kontraste zu zügeln verstand.“ – Auweh, Schatz, das war jetzt viel Kunstgeschichte. Hoffentlich gewinnen wir einmal in einer Quizsendung tausend Mark dafür.“

Und dann fuhr er doch erst am 23. Dezember

Oberammergau, [Montag] 14.12.1959: „Christl, Schatz. Ich fahre am Samstag [19.12.] um zwölf Uhr hier weg und denke bis abends bei dir zu sein. Es gäbe ja Gründe, noch einige Tage hier zu bleiben, um zu arbeiten, aber ich möchte nicht in letzter Stunde vor Weihnachten so gehetzt bei dir ankommen und dann will ich halt auch so bald als möglich wieder bei dir und den Kindern sein. Ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich könnte ja am Samstag in der Frühe fahren, aber die Frühzüge sind mir unsympathisch.“

Oberammergau, 18.12.1959: „Ich arbeite und wurschtle und habe in drei Tagen vielleicht dreihundert Mark zusammen geschunden, aber die scheinen mir im Augenblick von so fragwürdigem Wert, so notwendig wir sie auch brauchen. Es tut mir weh, daß ich dich in diesen Hexenkessel meines Lebens hinein gezogen habe – und erst unsere Kinder. Nur zu oft fürchte ich mich davor, mit diesen freudeleeren Händen und enttäuschungsvollen Armen bei euch zu sein. – Das klang jetzt schon ‚geschwollen‘, aber dieses Fürchten ist ein großes Geschwür in mir. Bei Nacht ist es fast immer da und am Tage nicht selten. Ein Handeln in Furcht bringt auch kein Glück. Christl, ich fahre am Mittwoch [23.12.] in der Frühe hier weg und bin mittags in Karlsruhe. Sei mit den Kindern herzlich gegrüßt und geküßt – dein Berthold.“

Ein typischer Samstag

Oberammergau, 20.2.1960: „Meine liebe Christl! Es ist mal wieder Wochenende. Im Radio spielt heute ein Wunschkonzert vom österreichischen Rundfunk. Unser Anderl schnitzt hinter mir herum, ein bissel mißgelaunt, weil auch er die stillen Tage fürchtet. Mit seinen 34 Jahren springen ihm die Mädels doch nicht mehr so nach wie er es will, aber ich glaube, er selbst will auch nicht mehr die Flirterei und zum Heiraten kommen ihm immer mehr Bedenken je älter er wird. Außerdem ist er magenkrank. – Ja so ist es wieder ein typischer Samstag. Mein Heimweh fehlt auch nicht.“

Hü oder hott? München oder …?

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Ohne Marke sieht man den Stempel besser.

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 6.2.1961: „Liebe Christl! Ich möchte dir wenigstens eine Kleinigkeit an Geld schicken. Wenn mir meine Kameraden am Donnerstag (der heißt hier der ‚Unsinnige‘ und es geht dementsprechend zu) keinen Strich durch die Rechnung machen, werde ich endlich meine lokalen Schulden los. Sind die Kinder wieder gesund? Ich hoffe sehr darum. – Sonst habe ich noch gute Arbeit und gehe gerne zum Schifahren. Heute ist allerdings das Wetter so mild, fast wie ein Fastnachtswetter. Ja, wenn ich mal vom Wetter anfange, ist es mit dem Erzählen nicht mehr weit her. Christl, ich sende dir und den Kindern meine herzlichsten Grüße. Dein Berthold.“

Anfang 1961, nach mehr als vier Jahren Oberammergau, hatte mein Vater vor, sich in München auf die Meisterprüfung vorzubereiten, um dann noch im selben Jahr die Prüfung abzulegen. Am 31.1.1961 schreibt er: „Christl, in München war ich nicht, ich habe telefoniert, weil ich halt doch die Zeit und das Geld scheute. Ich konnte die Meisterschule erreichen. Sie hat Sommer und Wintersemester. Ein Sommersemester kostet 70,- ein Wintersemester 130,- Mark. Die Ausbildung ist weitgehend individuell. Nun, ich will im diesjährigen Sommersemester am 15. April beginnen.“ Doch schon vier Wochen später diese Nachricht: „Liebe Christl! Ich war vergangene Woche in München. Die Meisterschule war wirklich, wie du schon vorausgesehen hast, eine Ent-Täuschung. Ich wüßte nicht wie ich sowas bewältigen sollte.“ Daraufhin kam es zwischen den Eheleuten offenbar zum Eklat, denn eine knappe Woche später schreibt er kurz und (scheinbar) entschlossen: „Liebe Christl! Ich bitte dich um Verzeihung! Nimm sofort die Laufmaschen wieder an. Ich gehe am 1. April nach München auf die Meisterschule und versuche, ob ich im Herbst die Prüfung bestehe. Berthold!“

Warum es mit München dann doch nichts wurde, ist den Briefen nicht zu entnehmen. Tatsächlich war die Situation äußerst schwierig. In München die Meisterschule besuchen und in Oberammergau Geld verdienen – wie sollte das vonstatten gehen?! Doch der Juni brachte die Lösung in Form eines Kurses vor Ort. Am 5.6. schreibt er: „Es stellte sich auch heraus, daß auf unserer [Oberammergauer] Schule in Zukunft direkte Meistervorbereitungskurse abgehalten werden. Der erste beginnt am 15. September und geht bis vor die Prüfung im Frühjahr. Ich beginne also im September mit der Schule und bleibe noch so lange in der Werkstatt.“

Der „Klepper“ wird in den Gemeinderat gewählt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 28.3.1960: „Es war so ein schöner Tag, daß ich jetzt am späten Abend, wo alles aus der Bude ist, doch noch gerne ein bissel an dich schreiben möchte. Viel gearbeitet wurde ja heute am Montag nicht. Es war viel zu viel Aufregung im Dorf und ein fantastisch schöner blauer Himmel. Schon als ich aufwachte und laut Radiosendung mit schlechtem Wetter rechnete, aber einen blauen Himmel sah, war ich froh. Im Geschäft war dann wenig Betrieb, weil gestern Wahltag war für den Bürgermeister und den Gemeinderat. Unser Josef (Pankratz) und der Chef, Herr Lang, hatten kandidiert. Aber weil noch keine Ergebnisse heraus waren, stand alles diskutierend beieinander auf der Straße und genoß teilweise das schöne Wetter und teilweise die steigenden Chancen von Herrn Lang. Die Spannung lag darin, daß unser schärfster Geschäftskonkurrent bei der Gegenpartei aufgestellt war. Und endlich war es soweit. Unser Gegner, der bisher im Gemeinderat saß, mußte heraus und unser ‚Klepper‘ [Spitzname für Herrn Lang] hatte genug Stimmen, um hinein zu kommen. Da unternahmen wir natürlich gleich einen Firmenausflug ins Grüne. […] Josef kam bei der Wahl nicht durch. Er hatte nicht allzuviel Stimmen bekommen. Ein bissel bin ich schadenfroh, weil er so gerne den Feldwebel spielt.“