Ein freudscher Verschreiber?

Oberammergau, 31.10.1959, an Ch. Rumold: „Es ist jetzt Samstagabend. Mit meiner Arbeit bin ich nicht so weit gekommen wie ich wollte, aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil, es erzeugt eine leichte Spannung, die mir oft am nächsten Tage beim Arbeiten hilft. Wahrscheinlich gehe ich sogar noch ins Kino heute, obwohl das immer so eine Sache ist mit dem ‚Mal was anderes sehen‘. Ist es nämlich ein schlechter Film, sage ich hinterher, daß ich diese Zeit besser mit etwas Nützlichem hätte verbringen können und wäre es das Schlafen im Bette gewesen. Ist es aber ein guter Film, dann paßt es mir noch weniger, weil ich ihn ohne dich sehen mußte. Den Film ‚Und der Rest ist Schweigen‘ habe ich mir angesehen. Er gefiel mit sehr gut. Ganz groß war eine kleine Szene darin. Als der junge Mann seinem Freund, dem Ballettmeister, die Idee seines Ballettes erklärt hatte, ging er doch auf das Mädchen, das im Sessel zuhörte, zu und setzte oder legte oder schmiegte sich an ihre Füße. Diese wenigen Bewegungen waren doch vollkommenster Ausdruckstanz. Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte. Er erweckte in mir immer wieder den Eindruck, daß er selbst sein Handeln gestaltet. Ein Film, den ich acht Tage später sah, zeigte das erst richtig. Er hieß: ‚Besuch aus dem Jenseits‘. Ein grausamer Titel für einen großen Film. Da hatte auch ein junger Mann einen Mord aufzuklären. Er sagte in seiner Rolle nicht einmal etwas von einem Zwang, der ihn trieb, aber er spielte das zwingend heraus.“

Freudianer hätten an diesem Brief ihre ödipale Freude. In dem Satz „Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte“ hatte es zunächst „ausführen“ statt „aufklären“ geheißen.