Archiv für den Monat: Mai 2015

Stille im Wechsel mit Poltern und Gaudimachen

Oberammergau, 17.11.1956, an Ch. Rumold: „Es macht mir die Arbeit viel Freude. Ich komme jetzt auch so nach und nach in die Schnitzweise der anderen Schnitzer hinein. Nur geht es mir noch viel zu langsam. Mit unserem Vorarbeiter, dem schon genannten jungen Mann, verstehe ich mich auch gut. Gestern saßen wir noch bis spät in die Nacht über einer Arbeit, wobei ich mit Freuden sehr viel lerne. Die anderen Kumpels bleiben alle mehr oder weniger derb wie es halt so ihre Art ist. Sie gehen gerne ins Wirtshaus. Sonntags bestimmt und unter der Woche mindestens einmal. Am nächsten Tag sitze ich dann mit Herrn Pankratz und unserem siebzigjährigen Opa in wohltuender Stille alleine in der Werkstatt. Dann holen wir auch im Radio die Musik oder Sendung, welche uns gefällt. Aber am folgenden Tag, wenn alle wieder da sind ist das Poltern und Gaudimachen dann um so größer. Es ist halt was arges wenn man so empfindlich ist. Das Wetter war bei uns in der letzten Zeit auch nicht gerade schön. Im Dorf ist der Schnee geschmolzen und der Nebel hängt oft den ganzen Tag zwischen den Bergen und kann nicht abziehen. Werden aber die Berge frei, dann sieht man wie in einer bestimmten Höhe der Wald weiß wird, wo also die Kältegrenze liegt. Ich hab einmal in einem Ganghoferbuch davon gelesen, daß das Frühjahr genau am Berg gezeichnet war. Das heißt, oben auf den Gipfeln lag Schnee. Etwas tiefer wurde der Wald schwarz bis unten am Bauernhof die Blumen blühten. Ach ja, du hast nach dem Hof von meiner Großmutter gefragt. Nein, ich war noch nicht dort. Uffing heißt das Dorf. Na, mal sehen, vielleicht wenn der Winter vorbei ist, schau ich mal hin.“

Der vaterlose Vater des vaterlosen Sohnes macht sich Gedanken über Vaterlosigkeit

Oberammergau, 10.11.1956: „Meine liebe Christl! Für deine beiden lieben Briefe und das süße Päckchen, sage ich dir von Herzen Dank. Christl, ich mache mir natürlich auch meine Gedanken über meinen Weg und bin zwar sehr unruhig, aber manchmal doch sehr zufriedenglücklich. Meine Arbeit macht gute Fortschritte. Neben mir sitzt ein Bildhauer von 40 Jahren. Er ist der Beste hier in der Werkstatt und einer der ersten Herrgottschnitzer im Ammergau. Dabei ist er ruhig und bescheiden. Ich halte mich gerne an ihn und er zeigt mir genauso gerne, wie er schnitzt. Lieb, das macht mich glücklich. Heute hatte ich mir vom Nachmittag auch einmal die Zeit genommen und einen Berg bestiegen. Es ist der ‚Kofel‚, der auf der letzten Ansichtskarte mit unserer Werkstatt im Hintergrund zu sehen ist. Er ist zwar nur ein Ausläufergipfel in der Hohen Bergkette der Alpen, aber man bekommt einen leichten Vorgeschmack von der Schönheit des Bergbezwingens. So ein Rundblick – ich wollte fast nicht mehr herunter.  Ja bei dieser Besteigung war ich auch glücklich. Es ist aber nicht das Gefühl vom Ferienglück, nein, es sitzt tiefer. Meine Lernbegierde ist unendlich und hier findet sie reichlich Nahrung. So geht es mir doch viel besser als auf dem Bau oder in der Fabrik. – Übrigens, wir sind in Oberammergau ungefähr 300 Schnitzer. Junge Männer wo du hin und naus schaust. Mit dem Arbeitseifer ist es bei ihnen nicht immer so gut bestellt wie in der ersten Woche, als ich herkam. Der Grund ihres Fleißes war damals, daß sie in der vorhergegangenen Kirchweihwoche dermaßen oft blau gemacht haben, daß sie es dann nachholen mußten und deshalb bis lange in die Nacht noch schnitzten. – Ich habe mich gefreut, daß du mir auch von Lothar etwas erzählt hast. Ich glaube, daß ich ihm fehle, jedenfalls denke ich selbst ja nur zu oft schmerzlich an eine vaterarme Kindheit.“

Zur Moral der Briefpublikation

Sollte das einmal privat Gewesene für immer privat bleiben? Wird die intime Sphäre im Nachhinein verletzt, wenn Mitteilungen between you and me and the bedpost Jahrzehnte später publik werden? Wer darf in solchen Fragen in welchem Umfang entscheiden, wer darf es sich unter welchen Umständen herausnehmen, über indviduelle Entscheidungen zu urteilen? Eine Ethikkommission würde vielleicht sagen, dies sei ein delikates moralisches Problemgeflecht. Und nach längerer Beratung zu dem Schluss kommen, dass manches dafür und manches dagegen spreche. Und womöglich würde sie von übergeordneten gesellschaftlichen Interessen faseln, die feststellbar sein müssen, damit gegen das Gebot des grundsätzlich ewigen Schutzes der Privatsphäre verstoßen werden darf. Oder so ähnlich oder auch ganz anders.

Abgesehen davon, dass ich es für moralisch fragwürdig halte, die Moral einer Geschichte zu einer Angelegenheit für Experten zu erklären und sich ihrer mit Hilfe von Ethikkommissionen zu entledigen, wüsste ich derzeit nicht, von wem ich mir sagen lassen könnte, sollte oder wollte, ob ich die Briefe meines Vaters in voller Länge oder vielleicht wenigstens in Auszügen gewissermaßen ungefragt veröffentlichen darf oder nicht. Von Friedrich Nietzsche würde ich eine andere Auskunft bekommen als von Hans Küng, mit der Entscheidung für den Entscheider ist in der Sache also schon vorentschieden worden. Das heißt, ich komme so oder so, implizit oder explizit, um eine eigene Meinung nicht herum.

Der Letzte Wille eines Menschen ist ein noch zu Lebzeiten be(ur)kundeter. Glaubt man nicht an die Authentizität oder Verbindlichkeit der Resultate von spiritistischen Befragungen, dann gibt es jenseits davon keinen weiteren oder allerletzten, posthum geäußerten Willen. Bleibt die irreal-spekulative Frage, ob er es gewollt hätte, beziehungsweise (und das macht die Sache noch komplizierter) ob sie, die Eltern, es gewollt hätten. Denn meine Mutter hätte dann wohl auch ein Wörtchen mitzureden, um nicht zu reden von nicht wenigen anderen, längst verstorbenen Personen, über die in den Briefen dies und das mitgeteilt wird. Einmal mehr zeigt sich: das Nachdenken über ein Problem führt, je gründlicher es geschieht, nicht zu einer Lösung, sondern zur Vervielfachung der offenen Fragen.

Ich weiß nicht, ob er es gewollt, ob sie es gewollt hätte. Eher nicht, würde ich sagen. Oder vielleicht doch? Wer weiß. Hätte, könnte, wollte, würde: hätte ich mich durch solches Nach-Fragen im Konjunktiv irritieren lassen, wäre dieser Patrolog nicht begonnen worden. Und das fände ich schade, dessen bin ich mir ohne Zweifel sicher. Mehr noch: aus diesem Schade-Finden ergibt sich für mich die moralische Pflicht, mit der Veröffentlichung der Briefe und der Bilddokumente fortzufahren. Wäre ich pathetisch veranlagt (und tatsächlich ist mir eine gewisse Neigung zum skeptisch gebrochenen Pathos nicht fremd), würde ich sagen: ich bin es meinen Eltern, aber insbesondere meinem Vater schuldig, seine Briefe hier (und später vielleicht noch an anderem Ort und in anderer Form) zu publizieren. Denn es zeigt sich in ihnen, wer er war. Und das ist sehenswert. Und schließlich und vielleicht vor allem: wie es sich zeigt, ist in hohem Maße lesenswert. Diese Briefe sind komisch, sie sind traurig, mitunter ärgerlich und oft unterhaltsam, auch informativ, auch poetisch; sie regen zum Nachdenken und zum Sich-Aufregen, zum Mit-Leiden und zum Abstandnehmen an. Sie sind ein Beitrag zur Sozialgeschichte, zur Geschichte der Kunst und des Kunsthandwerks und nicht zuletzt zur Geschichte der Filmrezeption. Kurz: diese Briefe sind Literatur ohne Wenn und Aber. Es wäre ein Fehler, sie unter Verschluss zu halten und es wäre ein absurdes moralistisches Missverstehen von Moral, sie aus „ethischen Gründen“ nicht zu veröffentlichen.

Weltaufgang Januar 1959 – und alles Land liegt in tiefstem Schnee

Die paplose Familie 1959, die große und die neue kleine Christl und Lothar, der liebe Bub.

Die papalose Familie 1959: die große und die neue kleine Christl (spätere Barbara) und Lothar, der „liebe Bub“.

Oberammergau, 9.1.1959, an Ch. Rumold:
„Über meine Tochter wurde natürlich [unter den Kumpels] gelacht und geredet, aber alle haben sich gefreut, ganz nebenbei muß ich natürlich für ein Faß Bier herhalten, aber das geht jedem so von uns, der in diese glückliche Lage kommt. Gell, meine Schrift ist schlecht, aber ich bin jetzt ein bissel müde in der Hand. Vielleicht ist auch die klimatische Umstellung daran schuld. Es schneite den ganzen Tag was der Himmel hergab und alles Land liegt in tiefstem Schnee. Christl, Lieb, ich möchte dich ja schon die ganze Zeit danach fragen, aber ein Satz nach dem anderen sprudelte mir aus der Feder: Herz, wie geht es dir? Hoffentlich bist du gesund und unsere kleine Christl auch.“

Das Café im Haus der Kunst!

Oberammergau, 23.8.1959: „Meine liebe Christl! Nach deinen letzten Briefworten kam es mir vor, als hätte mein letzter Brief den Eindruck erweckt, daß ich hier nur so umher flirte. Ich bin ja kein Vorbild an sittlicher Reinheit, aber beim Tanzen war ich diesen Sommer nur einmal und da hatte ich von der verzierten Frohtuerei der Rheinländer bald genug, und die sechs Mark für den Sauerampfer von Wein liegen mir heute noch im Magen. Nein, wie ich mir das Tanzen vorstelle, so sehe ich es nur ab und zu im Kino und dann denkt oder träumt man sich manchmal hinein: So müßte es schön sein. […] Gestern war ich in München und habe eine Ausstellung von einem Bildhauer besucht, der mir schon lange in seiner Art gefällt. Es ist der Barlach. Ja und weil ich mal wieder in der Stadt war und so schönes Wetter war und alles war so gut gekleidet, habe ich natürlich auch viel Geld ausgegeben im Gartencafé vom ‚Haus der Kunst‘. So ein schönes Café ähnlich wie das in Karlsruhe im Stadtgarten und die tadellos angezogenen Leute, also ich schwärme heute noch von der Atmosphäre die dort herrschte.“

Lieber keine Karriere und kein zweites Kind oder: Das Schlimmste wäre, wenn es besser würde

Oberammergau, 21.6.1958: „Meine liebe Christl! Es ist Samstagabend und eigentlich wollte ich ins Kino, denn das Regenwetter nimmt mir die Lust zum Arbeiten, obwohl ich dringend zwei Kruzifixe fertig schnitzen sollte. Na, vielleicht habe ich morgen mehr Arbeitsgeist. Es ging in dieser Woche etwas turbulent zu hier in meinem Verhältnis zum Geschäft und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ich nächste Woche vorn im Laden Schnitzler und Verkäufer. Aber ich warte doch noch etwas ab, denn diese Stellung ist bei uns nichts so Normales wie sonst in einem Geschäft, es ist hier schon eine Schlüsselstellung. Mein Grünewaldrelief hat mich einen fühlbaren Sprung aufwärts gebracht im Betrieb. Zuerst wollte ich es ja nicht nach hier verkaufen, aber mein Chef bekam es zu sehen und war ganz begeistert davon. […] Sicher warst du bei meinem letzten Brief enttäuscht. Es ist schon eine Misere der augenblickliche Zustand unserer Ehe und wenn ich sehe, daß ich mich so langsam aber sicher im Geschäft hocharbeite, kann ich dir noch nicht einmal Hoffnung machen, so schnell von hier weg zu gehen. An Frau Goebel habe ich die hundert Mark wieder geschickt. Mit der hab ich mir’s verdorben, schrieb sie mir doch in einem Brief, daß eine Meisterstellung in ihrem Betrieb nur in Verbindung mit der Heirat einer ihrer Töchter frei würde. Na, ich hab dann etwas zu zynisch geantwortet, aber ich hatte mir halt wieder mal zu viel Hoffnungen gemacht.“

Zehn Tage später hatte meinen Vater die Nachricht erreicht, dass ein zweites Kind, meine Schwester Barbara, unterwegs war. Wie er in einem Brief vom 1.7.1958 schreibt, habe er zuerst an Abtreibung gedacht, daran, „etwas mit einem Arzt zu unternehmen“. Sein Bruder Günter (er schreibt konsequent „Günther“) verfüge gewiss über entsprechende Kontakte. Hatte es im oben auszugsweise wiedergegebene Brief vom 21.6. noch geheißen, er könne sich nun „langsam aber sicher im Geschäft hocharbeiten“, sieht er sich keine zwei Wochen später nicht dazu in der Lage „ein Kind und eine Frau zu ernähren […] und da soll nun gar noch ein Kind dazu kommen.“ Und weiter: „Wenn ich wenigstens einen anderen Beruf hätte. Von hier kann und will ich vor den nächsten zwei Jahren nicht weg. Ich beginne gerade, mich einzuarbeiten und will nicht wieder davonlaufen. Aber Christl, ich möchte auch nicht, daß du nach hier kommst. Ich kenne deine Abneigung gegen das Dorfleben nur zu gut und nichts wäre mir schrecklicher, als deine Unzufriedenheit neben mir.“ Mit anderen Worten: obwohl er im Begriff war, die ersten Stufen der Karriereleiter in einer (auch durch sein Zutun) prosperierenden Firma zu erklimmen, wäre es ihm lieber, das zweite Kind käme nicht zur Welt und auf keinen Fall will er, dass seine Frau und sein(e) Kind(er) zu ihm ins dörfliche Oberammergau (das damals durchaus etwas Weltläufiges gehabt haben muss) ziehen.

Eine Einladung nach Brüssel

Oberammergau, 17.3.1959, an Ch. Rumold: „Also ich wurde vorige Woche eingeladen, nach Brüssel zu kommen über Ostern. Nicht von einem Mädchen, nein, von zwei Mädchen und einem Mann. Es war ein Ehepaar (50 Jahre) mit der Mutter von fünfundsiebzig bei uns in der Werkstatt. Ich habe sie herumgeführt und ihnen noch ein bissel Oberammergau gezeigt, und als sie am Ende sagten, ich solle doch auch mal zu ihnen nach Belgien kommen, wußte ich natürlich nichts Schlaueres zu sagen als, es wäre schön, aber dazu habe ich gar kein Geld. Nun die Leute fuhren wieder weg und am Samstag kam ein Brief mit fünfzig Mark und ich solle doch kommen, sie haben ja ein Haus, in dem ich wohnen kann, und ein Auto, mit dem sie mir gerne mal Belgien und Brüssel zeigen wollten. Ja, Lieb, und so sehr ich mich auch vor dir schäme, ich würde trotzdem mal gerne hinfahren. […] So ein hagerer englischer Typ sind sie und sprechen auch Englisch. Also sehr freundlich und sorglos, wie es halt Leute sein können, denen es an Geld nicht fehlt.“

Meine Mutter lebte mit meinem knapp dreijährigen Ich und meiner zweieinhalb Monate alten Schester damals noch mit ihrer Mutter und ihrem Bruder zusammen in einer viel zu kleinen Wohnung in Karlsruhe-Rintheim im Haus ihrer Großeltern väterlicherseites. Erst ein halbes Jahr später zog sie mit uns Kindern in eine eigene Dachgeschoss-Wohnung am Rande der Karlsruher Oststadt. Offenbar reagierte sie auf die ex- bzw. egozentrischen Urlaubspläne meines Vaters weder gekränkt noch sonstwie irritiert, sondern nur (scheinbar oder tatsächlich) besorgt, wie aus dem gut gelaunten Brief meines Vater vom 21.3.1959 hervorgeht.

Das Belgien, das Meer und Brüssel

Oberammergau, 21.3.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Es ist heute ein wunderschöner Frühlingstag und er macht mich ganz und gar optimistisch. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen, denn was soll mir bei den Leuten schon Übles geschehen, ich bin doch kein Kind mehr. Natürlich hatte ich vor allem die Herzen der beiden Frauen im Flug eingenommen, aber Schatz, ich bin viel zu abgöttisch in dich verliebt, als daß so zwei ältere Damen einen größeren Einfluß auf mich ausüben könnten. Aber Christl, Lieb, laß mich doch bitte mal das Belgien und das Meer und Brüssel sehen. Ich bin ja so neugierig darauf. Wohl ist mir nur nicht, daß du mit den beiden Kindern alleine zu Hause sitzen mußt. Ich schreibe dir wenigstens jeden Tag, was ich erlebt habe. Sonst ist diese Woche mit Arbeit ausgefüllt. Letzten Sonntag habe ich eine Schitour unternommen auf einen idealen Schneeberg. Wahrscheinlich war es heuer die letzte Möglichkeit, die Bretter zu benutzen, denn seit einigen Tagen knallt die Sonne so fest auf das Land, daß der restliche Schnee nur so dahin schmilzt. Hoffentlich bleibt das Wetter über Ostern.“

Chorraum der Christkönig-Kirche in Pfinztal-Berghausen

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Chorraum der katholischen Kirche Christkönig in Pfinztal-Berghausen, Relieftafeln: Berthold Rumold (unter Mitarbeit von Lothar Rumold und Wolfgang Gehrold), je 2,30 x 2,50 m, 1990

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Unter Moses‘ Führung durchqueren die Israeliten das Rote Meer.

Die Grundidee bei diesen fünf Relieftafeln aus dem Jahr 1990 war, Altes und Neues Testament sinnfällig miteinander zu verbinden: das Alpha (die Schöpfung der Welt) mit dem Omega (das Neue Jerusalem), den Auszug (des erwählten Volkes) aus Ägypten mit dem Einzug (Jesu) in Jerusalem.

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Jesu Einzug in Jerusalem.

Die zurückhaltende Strenge und kühle Schlichtheit der ab 1964 erbauten Betonkirche steht in deutlichem Kontrast zum warmen Ton des Lindenholzes und den expressiven Turbulenzen der dargestellten Inhalte.

Für meinen Vater und mich war die Entstehungszeit dieser Reliefs eine Zeit des permanenten Konflikts, wobei unsere Auseinandersetzungen schon mit meinem offziellen Eintritt in die Werkstatt 1989 begonnen hatten und bis zum Tode meines Vater Anfang 1992 andauerten. Weder im Hinblick auf die Geschäftsführung noch in künstlerischen Fragen waren wir uns einig. So fand ich die für die Berghausener Tafeln im voraus vereinbarte Summe skandalös niedrig und den ästhetischen Gestus der Reliefs für den Ort unpassend. Natürlich hatte ich recht, natürlich hatte ich nicht recht.

Das Radio ein- oder abschalten mit ihr

Oberammergau, 21.9.1959, an Ch. Rumold: „Ach, Christl, ich bin so nervös seit ich weiß, daß wir eine eigene Wohnung haben und ich hier sitze. Ich habe dir gestern zwar zwei Briefe geschrieben. Der erste war zu traurig und über dem zweiten bin ich eingschlafen. Ich wäre so gerne bei dir in der Wohnung und hätte gerne einmal einen richtigen Feierabend, so eine liebe Bummelei auf der Couch und höchstens das Radio ein- oder abschalten mit dir. Ach, Christl, ich habe dich so lieb und möchte es dir so gerne schön machen und bin auch so furchtbar eifersüchtig. Christl, in der letzten Zeit geht mir immer drängender meine Vorbereitung zur Meisterprüfung durch den Kopf. Wenn ich mit der Prüfung eine Lehrerstelle erreichen könnte, möchte ich die Konjunktur im Passionsjahr ausnutzen und mich auf der Schnitzschule richtig ausbilden lassen und nach Feierabend leicht verkäufliche gut bezahlte Modelle schnitzen. Sollte mir die Prüfung allerdings keine Tore zur Schule öffnen, dann bleibe ich vorläufig in der Firma. Schatz, bitte schreibe das Beiblatt mit der Schreibmaschine. Ich will doch einmal Gewißheit haben. In der Arbeit geht es jetzt gut. Meine modernen Formen finden bei den Filialleitern freudige Abnahme und der Chef drängt auf neue Sachen. Aber ich suche jetzt lieber den besten Weg für mich.“

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Ansichtskarte vom 28.9.1959: „Christl, mein Schatz! Vielen Dank für deinen lieben Brief. Ich hatte zwar eine gutbezahlte Woche, bekomme aber erst diesen Freitag das ganze Geld. Schatz, es geht mir so durchwachsen. Sei mit den Kindern auf das Liebste gegrüßt und geküßt, dein Berthold.“