Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 16.1.1962 „Im Geschäft bereiten wir uns wieder auf die Frankfurter Frühjahrsmesse vor. Dafür habe ich wieder viel Arbeit und Herr Lang spricht gerne mit mir über neue Formen in der modernen Art. Leider kann ich wirklich nicht aus eigenen Ideen allein Neues schaffen, aber wir suchen gemeinsam nach einigen guten Formen und sind uns dabei ziemlich einig. Anders sah es in der Schule aus. Herr Huber will ganz andere Formen. Eine entschieden geschlossene Bildhauerarbeit. Streng in den Gesetzen eines Baumes und gewonnenen Kunstgesetzen. Aber da setzt es bei mir genauso aus. Obwohl, das Letztere ist mir lieber, aber ohne Lehrergehalt und ohne Genius muß ich mich halt doch nach dem Kitschgeschmack beugen. […] Christl, so geht es halt purzelbaumschlagenderweise weiter.“
Schlagwort-Archiv: Oberammergau
Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da – der Anfang in Oberammergau
Brief aus Oberammergau (Kleppergasse 10, bei Familie Strauß) vom 2.11.1956: „Meine liebe Christl! Sicherlich wartest du schon lange auf einen Brief von mir, aber es war diesmal ausnahmsweise keine Schreibfaulheit von mir, die mich nicht zum Schreiben kommen ließ. Ich muß vorerst noch schnitzen und nochmals schnitzen, um einigermaßen bei diesen routinierten Herrgottschnitzern mitzukommen. Aber ich komm jetzt schon auf 75 Mark in der Woche und hoffe in zwei bis drei Monaten wie die Andern meine hundert Mark verdienen zu können. Von der schönen Landschaft bekomme ich dabei vorerst noch nicht viel zu sehen, aber dafür um so mehr von seinen Bewohnern zu hören. Doch Liebe, vielleicht erzähle ich mal von Anfang an, wie es mir ging. Na, die Eisenbahnfahrt über München war regnerisch und trübe. In Murnau, der zweiten und letzten Umsteigestelle, fuhr ein Bus die Reisenden die letzten zwanzig Kilometer durch das tief verschneite Land bis Oberammergau. Ich hatte mal wieder Kopfschmerzen und steuerte mit meinen beiden Koffern gleich ins nächste Gasthaus. Übrigens hat mich ein leichtes dußliges Gefühl im Kopf bis heute noch nicht verlassen. – Ja ich nahm gleich ein Zimmer für eine Nacht, ging aber am Abend noch einige Meister besuchen. Arbeit war überall, nur kein Platz. Bis ich dann ins älteste und bekannteste Verlagshaus mit Werkstätten, dem ‚Lang selig Erben‘ kam, wo ich auch angenommen wurde. Ich glaube, es war der beste Griff den ich machen konnte, denn mittlerweile habe ich gesehen, daß jede anfallende Bildhauerarbeit in Holz bei uns ausgeführt wird. Das Geschäft hat fünf bis sechs große Werkstätten, in denen die einen Christusfiguren, die anderen Madonnen, wieder andere Altäre oder auch schöne Grabmäler oder profane Schnitzereien, also alles das, was ich lernen oder zumindest näher kennenlernen möchte, ausführen. Und schnitzen können die Leut das ist zum Staunen. Ja und dann kam der Dienstag, an dessen Abend mir der Meister sagte, daß ich bleiben könne. Er gab mir auch eine Adresse wo ich schlafen könne und so zog ich gleich um. Meine Wirtin sieht so aus wie Frau Bauer in Bulach. In meinem Zimmer schläft noch ein junger Mann mit dem ich mich schon gut verstehe. Er ist aus dem Rheinland und auch Schnitzer, aber das Beste an ihm ist, daß er hier eine Braut hat, bei der er schlafen kann, wenn du zu mir kommen kannst. Meine Kollegen sind Leute in meinem Alter außer einem vierzig und einem sechzig Jahre alten Arbeiter. Es gibt viel Gaudi während der Arbeit, das Radio spielt dazu und manchmal ist [es] ein bissel zu arg. Aber das ist nicht schlimm. Wir sitzen alle beim Schnitzen, also geht es nicht wie in Karlsruhe, daß das Holz in die Hobelbank eingespannt wird, sondern man hält den Herrgott in der Hand und bearbeitet ihn mit dem Schnitzmesser und nur sparsam mit den Eisen. Das war natürlich für mich ganz neu und ist noch eine große Umstellung, aber viel bequemer. Ja ich habe gemerkt, daß es auch schneller und sauberer geht. Die ‚Buam‘ kommen und gehen, wann sie wollen und es wird schon neun, halb zehn Uhr am Abend bis der Letzte sein ‚Pfürdi‘ sagt. Sonntags oder feiertags, wie gestern, wird nach der Kirche schön weiter geschnitzelt bis zum Nachmittag. Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da und die Frauen manchmal auch dabei. Wenn da das Verhältnis untereinander nicht so freundschaftlich wäre und von jedem eine Gemütlichkeit ausstrahlen tät, nachher wär’s eine Plage. Aber so kann ich es gut aushalten. Ja mein Herz, so nimmt eine Sehnsucht nach dir und eine Freude an der Arbeit, halt, der Lothar ist auch noch da, meine Seele ein. Ich bin in Gedanken fast immer bei dir und dem Buben und bin glücklich, wenn ich dich wieder in den Arm nehmen darf und Lothar spazieren führen kann. Es ist jetzt Freitagabend, hoffentlich liegst du schon im Bett, es geht auf zwölf. Träum was schönes von uns und laß dich vielmals grüßen und küssen von deinem Berthold. Viele liebe Grüße und Küsse an Lothar. Viele Grüße an Mutti und Siegfried.“

„halt, der Lothar ist ja auch noch da“ (etwa ein halbes Jahr später, im Sommer 1957)
Eine Tonskizze des Heiligen Georg
Brief an Ch. Rumold vom 25.4.1959 aus Oberammergau : „Es ist Samstagabend. Es war ein schöner Tag heute. Gestern hatte ich mir eingebildet, heute einen ganzen vierziger Kruzifixus zu schnitzen. Aber weiter als bis zur Krone und zu den Haaren bin ich nicht gekommen, weil meine Kameraden weg mußten ins Gasthaus. Da sollte die Wochenschau kommen, um ihre [wegen der Passionsspiele] bärtigen Gesichter zu fotografieren. Nun, als die Bude leer war, ging ich zuerst einmal zum Frisör und dann holte ich mein Modellierbesteck heraus und die Tonskizze, an der ich schon manchmal unzufrieden einen Skt. Georg entwerfen wollte, ist mir mit einem Male gut gelungen und machte mich auch für den restlichen Tag zufrieden. Am 1. Mai habe ich ja drei Tage Zeit für die Holzausführung.“
Ansichtskarte aus Oberammergau 1960

Ansichtskarte vom 1.2.1960: Straße in Oberammergau, rechts ein Haus der Familie Lang, unten vermutlich ein Ladengeschäft mit Schnitzereien.
Fastnacht in Oberammergau
Die Masken hatten sie sich selbst geschnitzt, die sieben Holzschnitzer in Oberammergau, unter ihnen Berthold Rumold. Dass die Aufnahme in einer Schnitzwerkstatt (der Fa. Lang) entstanden ist, lassen die rechts im Bild sichtbaren Schnitzeisen vermuten. Wann das Foto gemacht wurde, ist nicht mehr genau feststellbar, doch dürfte es sich hier um die in einem Brief vom 12.11.1960 erwähnte „gemütliche Ecke“ handeln – „mit Hirschgeweih und rohen Stühlen und Tisch“.

Fastnacht in Oberammergau
Berge, Schnee und Badehose

Schwarz-Weiß-Foto ca. 6 x 5 cm
Brief aus Oberammergau vom 10.5.1959: „Meine liebe Christl! Es ist Sonntagmittag. Ein ganz sonniger Tag. Ich war schon in der Frühe um ½ 3 Uhr aufgestanden und mit Karl in die Berge gefahren. Wir hatten unsere Schis mitgenommen und wirklich auf dem Gipfel noch das Glück ein großes Schneefeld vorzufinden. Der Aufstieg […] war ja etwas anstrengend, aber es hatte sich gelohnt. Wir rutschten so vergnügt ein paar Stunden im Schnee herum mit Badehose und den Brettern und die Sonne knallte aus einem so tiefblauen Himmel also es war sehr schön. Allerdings schmerzen mich jetzt meine Schultern von dem Brettertragen.“
„Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen“

Blick auf Oberammergau
Auf der Rückseite dieser Karte vom 12.2.1962 (aus Oberammergau) heißt es: „Liebe Christl! Es ist schwer zu sagen wie es mir geht. Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen.“
Was das im Einzelnen hieß, stand schon in einem Brief vom 5.2.1962: „Bei mir ist zwar viel viel Arbeit aber fast alles in der Schule. Samstags ist ja in Garmisch der direkte Vorbereitungskurs, da brauche ich gerade den Sonntag um zum notwendigsten Geld für mich zu kommen. Zum Glück geht es mit den Entwürfen für die [Frankfurter] Messe am 1. März noch einigermaßen gut, aber alles im Geschäft drängt und unser angestellter Meister mit seinen konservativen Arbeiten schläft auch nicht und hat dazu alle Zeit. Na hoffentlich schlägt mein Zeugs gut ein. Ich könnte es brauchen. Was mir selbst am meisten bei dem modernen Stil gefällt ist die Ehrlichkeit gegen das gewachsene Stück Holz und das nur eingehen auf die Grundhaltung einer dargestellten Plastik. […] In Garmisch ist der Kurs sehr interessant. Die Lehrer sind noch sehr jung aber […] sehr intelligent. Die Meisterprüfung findet am 4. Mai in München statt. Hoffentlich komm ich durch.“
„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“
Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“
Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“
Mit Gruß von Florian Lang

„[…] das ‚Signum‘ hat unser Florian als Gruß an dich geschrieben.“
Brief vom 5.6.1961: „Liebe Christl! Entschuldige bitte, daß ich so lange nichts von mir hören ließ aber ich war in der vergangenen Woche noch immer unschlüssig ob ich auf die Schnitzschule gehen solle, oder ohne sie den Anlauf auf die Meisterprüfung wagen könnte. Nun bin ich heute doch gegangen und nach der Unterhaltung mit dem Direktor finde ich das „Problem“ aus der Werkstatt zu gehen fast lächerlich, denn es hat mir gleich wieder in der Umgebung der Schule gefallen. Es stellte sich auch heraus, daß auf unserer Schule in Zukunft direkte Meistervorbereitungskurse abgehalten werden. Der erste beginnt am 15. September und geht bis vor die Prüfung im Frühjahr. Ich beginne also im September mit der Schule und bleibe noch so lange in der Werkstatt. […] Christl, das ‚Signum‘ [siehe Abb.] hat unser Florian [Lang] als Gruß an dich geschrieben.“
Dazu der Brief vom 18.9.1961.
Schulbeginn
Aus einem Brief an Ch. Rumold am 18.9.1961: „Jetzt bin ich schon acht Tage auf der Schule [für Holzbildhauerei, Oberammergau] und was den Beruf anbetrifft recht zufrieden. Der Lehrer führt mich sicher in der Arbeit und die saubere Atmosphäre bei ihm tut mir gut. […] Augenblicklich kann ich noch in der Firma [Lang sel. Erben] leicht Geld verdienen durch Entwürfe. Die Frankfurter Messe war erfolgreich mit meinen ‚Madonnen‘. Der Chef zahlt die Entwürfe jetzt auch wesentlich höher.“
