Archiv für den Monat: Februar 2015

In seine mystische Heimat vertrieben

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

Diese Darstellung eines Bürstenbinders (heute im Bürstenbindermuseum Ramberg) ist während der Lehre bei Karl Kinsler (Karlstr. 7, Karlsruhe – die Werkstatt existiert nicht mehr) entstanden.

Der von Karl Kinsler unterzeichnete Lehrbrief datiert vom 27. Mai 1952, der Gesellenbrief der Handwerkskammer vom 31. Mai 1952. Als mein Vater danach am Karlsruher Hauptfriedhof eine eigene Werkstatt eröffnete, verbot man ihm deren Betrieb, da die kurze Zeit der unter alliierter Besatzung geltenden allgemeinen Gewerbefreiheit mittlerweile vorüber war, so dass jeder Handwerker, der ohne Meisterprüfung selbständig arbeitete, als Schwarzarbeiter galt. Noch 2007 stand in einem deutschen Wirtschaftsmagazin der Satz: „Nirgendwo wird es Handwerkern so schwer gemacht, selbstständig zu arbeiten, wie in Deutschland.“ („Das Kartell“ in: brand eins. Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 06/2007)

Für meinen Vater bedeutete diese Einschränkung seiner persönlichen Gewerbefreiheit allerdings ein unvorhergesehenes, schicksalhaftes Glück im (eigentlich vorhersehbaren) Unglück, war sie doch der Grund für seine Entscheidung, nach Oberammergau zu gehen, um an der dortigen Berufsfachschule den Meistertitel zu erwerben. Denn die Oberammergauer Zeit war, das hat er mir gegenüber einmal geäußert, die glücklichste Zeit seines Lebens. Nicht die Berge an sich, sondern eben gerade die Oberammergauer Berge habe er als heimatlich in einem geradezu mystischen Sinn erlebt.

Das Modell war das Original

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

Oberammergau, 6.5.1962: „Liebe Christl! Die Meisterprüfung habe ich gut mit drei ‚gut‘ überstanden. […] Am Donnerstag habe ich noch mit meinen Kameraden den Fichtenstamm geholt und in der Schule aufgestellt. Ich kann dir sagen, das ist ein Riese von einem Baum. Herr Huber ist ganz zufrieden, daß ich die Arbeit auch nach der Meisterprüfung ausführe. Ich muß jetzt noch sechs Wochen halbtags zu ihm, aber ich gehe sehr gerne zu ihm. Übrigens wegen Lothars stiller Freude [über einen mit Buntstiften geschriebenen Brief von ihm]; ich fuhr gestern Nachmittag mit meinen vier Kameraden, die auch die Prüfung bestanden hatten nach hier zurück und sah zu wie sie schreiend und lachend ihrer Freude Ausdruck gaben. Sie wollten mich auch „aufmuntern“ und ihr Benehmen war mir nicht zuwider, aber anstatt lauter wurde ich auch immer stiller, daß ich mich selbst darüber wunderte.“

Offenbar hatte die Prüfungskommissionen das Christopherus-Modell als Meisterstück akzeptiert, so dass die Ausführung des Brunnenstamms in der geplanten Höhe von knapp drei Metern im Hinblick auf die Prüfung nicht mehr erforderlich gewesen wäre, denn die hatte mein Vater ja bereits abgelegt und „gut mit drei ‚gut‘ überstanden“. Damit reiht sich der große Fichtenstamm (s. o.), der dreißig Jahre lang (1962-1992) vor der Werkstatt in Karlsruhe als Blickfang gedient hat, in die Schar der Pseudo-Meisterstücke ein, die mein Vater gewissermaßen in Serie produzierte, um potentiellen Kunden einen zusätzlichen Kaufanreiz zu bieten, während das eigentliche Meisterstück als vermeintliches „Modell“ relativ unbeachtet in irgendeiner Werkstattecke stand.

Der „wilde Hund“ für das Meisterstück

Im Brief vom 27. April 1962 geht es um den Stamm für das Meisterstück und um Prüfungsformalitäten. Offenbar war sein Vorschlag zunächst abgelehnt worden. Die Prüfungskommission war sich darin aber wohl nicht einig:

„Liebe Christl! gestern habe ich mit Herrn Huber und Herrn Lang den Stamm angeschaut. Herr Huber hat gleich einen Schrei losgelassen wie er den „wilden Hund“ ansichtig wurde. Aber es ist ein Baum nach meinem Herzen. […] Anschließend habe ich mit dem Holzbesitzer in Schwangau verhandelt. Er will für seine Wohnstube ein Kruzifix dafür. Das war für mich eine erfreuliche Gegenleistung, spart es mir doch gleich eine Menge Geld. Morgen hole ich mit einem Arbeitskollegen den Stamm. Ja, und die Prüfungskommission war auch da. Sie wußten nichts von der Ablehnung meines Antrags. Ausgerechnet der in Frage kommende Herr war nicht dabei. Sie haben sich dann groß überrascht gezeigt, daß diese Arbeit abgelehnt wurde. Eine Nachlieferung des Meisterstückst sagten sie nicht zu. Lieber soll ich das Modell mitnehmen und als Meisterstück vorlegen. Mir war das recht. Jetzt kaue ich halt fleißig das Theoretische durch und hoffe, daß ich einigermaßen durch komme.“

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Rückseite des Fotos: „Christopherusbrunnen, 2,80 m aus einem Stamm für Meisterprüfung“ (Bozetto)

 

Eine Karte aus Oberammergau

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Max Sommet: Oberammergau mit Passionstheater (Deutsche Heimkunst-Karte)

Man sieht auf dieser Gemälde-Karte nicht nur das Passionstheater, sondern vor allem auch die markante Form des Kofels, des Oberammergauer Hausbergs. Er schreibt: „Liebe Christl! Einen herzlichen Gruß an dich und die Kinder von deinem Berthold, Oag. 29.8.60“

Weihnachten 1956

brief_aEr schreibt am 22. Dezember 1956 aus Oberammergau über die Weihnachtsfeier der Firma Lang (bei der er als Schnitzer Arbeit gefunden hatte) am Abend zuvor:

„Es kamen nahezu fünfzig Leute zusammen. In der Abrechnung lagen zwanzig Mark Weihnachtszulage bei, da war natürlich gleich eine gute Stimmung unter uns. Am Abend zogen wir uns gut an und zottelten los in das festlich geschmückte Gasthaus, wo an den festlich geschmückten Tischen schon alles auf die bekannt gemütlich langsamen Herrgottschnitzer wartete. Es wurde zuerst gut gegessen, darauf der Baum ins Kerzenlicht gebracht und ein paar Weihnachtslieder gesungen. Jeder bekam eine Flasche Wein, Zigaretten und einen Gutschein zum freien Biertrinken für den Abend.“

Aus demselben Brief geht hervor, dass seine Frau (und meine Mutter) am Jahresende für vier Tage zu Besuch nach Oberammergau kommen sollte. Etwa mit mir fünfzehneinhalb Monate „altem“ Wurm im Gepäck?

Kruzifixus Langensteinbach

Berthold Rumold: Kruzifixus an einer Gedenkstätte in Langensteinbach bei Karlsruhe

Oberammergau, 29.5.1959 (an Christel Rumold): „Das mit dem Grünewaldkreuz in Bulach ist mir auch eine so unangenehme Sache. Wenn ich optimistisch gelaunt bin, gefällt es mir ganz gut, wie ich aber etwas objektiv kritisch die Arbeit betrachte, fürchte ich, mich eher zu blamieren damit als etwas dafür zu bekommen und am liebsten wäre es mir, ich hätte es gleich zusammensägen lassen, dann würde es mir nicht im Kopfe herum spuken.“

Oberammergau, 8.7.1959 (an Christel Rumold): „Tante Braun hat mir auch geschrieben wegen der Kreuze. Sie ist ja rührend besorgt um mich. Wenn sie an dem Kruzifix das Dach anbauen läßt, kann sie es meinetwegen in Langensteinbach aufstellen lassen. Wenn er den Leuten dort gefällt, soll es mir recht sein. Hier wäre es mir doch nicht ganz wohl gewesen dazu sind bei uns viel zu gute Fachkräfte.“

 

Bruder Maier will seine hundert Mark

Am 8. Dezember 1956, spät am Abend, schreibt er, dass es heute wieder spät sei, er aber wenigstens noch vielen Dank sagen wolle, für die beiden lieben Briefe und das schöne Paket. Er habe Arbeit für neunzig Mark angenommen, so dass er wenigstens fünfzig Mark für die Kasse schicken könne. Dann teilt er mit, dass er an Weihnachten nicht nach Hause kommen könne, weil er Schulden zurückzahlen müsse – „Bruder Maier will seine hundert Mark“ – und außerdem die Weihnachtsfeiertage brauche, um Modelle anzufertigen, deren Ausführung ihm eine Stange Geld bringen werde. Ich war damals fünfzehn Monate alt.

(„Bruder Maier“ gehörte zur christlichen Glaubensgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, der mein evangelischer Vater sich vor seiner Zeit in Oberammergau informell angeschlossen hatte.)