Aus einem Brief an Ch. Rumold, Oberammergau, 12.11.1960: „Ich würde am liebsten nächstes Wochenende wieder zu dir und den Kindern fahren, aber das geht mit dem Geld natürlich nicht. Ich weiß selbst nicht, wie mir das immer passiert, daß ich jedesmal zwei Wochen brauche, bis ich wieder ins Gleichgewicht mit der Arbeit komme. Doch es wird auch wieder Weihnachten werden. […] Diese elende Meisterprüfung liegt mir im Magen, aber noch wichtiger ist mir, daß ich mich einmal aufraffe und das Leben hier mit dem Land abschütteln kann, das fällt mir noch schwerer als alles andere. Schatz, du solltest sehen was wir in der Werkstatt für eine gemütliche Ecke gebaut haben mit Hirschgeweih und rohen Stühlen und Tisch. Natürlich haben wir alles schon eingeweiht vorige Woche an einem nebeligen, verschneiten Tag, wo es zum arbeiten zu dunkel und zum Licht anzünden zu hell war. Ich werde von der Bande nur loskommen, wenn ich mich selbständig mit eigenem Geschäft machen kann. Nächste Woche kommt nocheinmal so ein Abend. Unser Toni hat einen Buben bekommen. Heute morgen um halb sieben. Als ich in die Werkstatt kam, saß er ganz zerschlagen da.“
Schlagwort-Archiv: die Briefe
„Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten.“
Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 24.11.1956: „Meine liebe Christl! Es ist Samstagabend und nur der Josef sitzt bei mir in der Werkstatt und schnitzt seine schönen Christuskörper. Heute habe ich um zwölf Uhr meine Eisen weggelegt und bin in mein Zimmer, um mal ein bissel zu schlafen. […] Ich hatte es nötig, denn es wird nahezu jeden Abend zwölf oder ein Uhr bis ich aus der Werkstatt komme. Ich fühle mich halt wirklich wohl und mein Hunger zu lernen ist unersättlich. Es macht mir viel Freude, an meinen Arbeiten zu sehen, wie sie von Stück zu Stück besser werden. Manchmal werde ich ja ungeduldig, wenn ich an einer bestimmten Körperstelle, z. B. gerade an den Rippen, einfach nicht unter einer Stunde fertig werde und die anderen schnitzen so schnell darüber hinweg. Allerdings kann man den Brustkasten dann auch ansehen, das entschädigt mich wieder. Um fünf Uhr werde ich müde und das Eisen legt keinen richtigen Schnitt mehr hin, dann gehe ich hinaus aus der Werkstatt und schnappe auf einem schönen Waldweg frische Luft und wenn ich etwas verzagt bin, weil es mir noch nicht schnell genug geht, so geben mir die Berge mit ihrem großen Anblick immer wieder neue Arbeitsfreude. Ich stehe noch immer auf 75 Mark in der Woche. Das ist aber brutto und ausbezahlt bekomme ich 66,66. In einer Woche komme ich bestimmt um einen Christus höher, daß ich dir sechzig Mark in der Woche schicken kann. […] Wir, d. h. gerade unser Geschäft braucht dringend neue Modelle. Wir waren noch vor einigen Jahren das führende Geschäft in Oberammergau, wurden aber von einem lebendigen Meisterbetrieb überholt. Der Andere bringt immer neue Gedanken ins Holz und wenn sie auch nicht besonders geistreich sind, so bieten sie doch der Kundschaft eine reiche Auswahl, für jede Gelegenheit das Passende zu schenken. Ich habe fest vor, mich hier zäh und fleißig hochzuarbeiten. Zum Glück verstehe ich mich bis jetzt mit allen Leuten sehr gut und will’s auch so weiter halten. […] Bei aller Vielzahl der Gedankengänge kommt immer wieder meine große Liebe zu dir und dem Buben und eine andere Liebe zu der Arbeit als Holzbildhauer durch. Ich weiß, daß beides unauslöschlich in mir lebt und hoffe, daß die Zeit auch Rat mit sich bringt.“
Purzelbäume zwischen Publikumsgeschmack und Lehrmeinung
Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 16.1.1962 „Im Geschäft bereiten wir uns wieder auf die Frankfurter Frühjahrsmesse vor. Dafür habe ich wieder viel Arbeit und Herr Lang spricht gerne mit mir über neue Formen in der modernen Art. Leider kann ich wirklich nicht aus eigenen Ideen allein Neues schaffen, aber wir suchen gemeinsam nach einigen guten Formen und sind uns dabei ziemlich einig. Anders sah es in der Schule aus. Herr Huber will ganz andere Formen. Eine entschieden geschlossene Bildhauerarbeit. Streng in den Gesetzen eines Baumes und gewonnenen Kunstgesetzen. Aber da setzt es bei mir genauso aus. Obwohl, das Letztere ist mir lieber, aber ohne Lehrergehalt und ohne Genius muß ich mich halt doch nach dem Kitschgeschmack beugen. […] Christl, so geht es halt purzelbaumschlagenderweise weiter.“
Im Relief verewigt: ab 1952 ein Paar
1952 war vermutlich das Jahr, in dem mein Vater und meine damals 17jährige Mutter (das Ch. B. im unten abgebildeten Relief steht für Christel Burst) sich ernsthaft ineinander verliebt haben. Jedenfalls muss am Fastnachtsdienstag 1952 eine wichtige Etappe auf dem Weg zur dauerhaften Zweisamkeit erreicht worden sein – woran sich mein Vater in einem Brief aus Aalen im darauffolgenden Jahr erinnert: „Weißt noch? Heut ist Rosenmontag und morgen Dienstag, Fastnachtsdienstag. Ach könnte ich um zwölf Uhr doch die Zeit ein Jahr zurückdrehen. Gell, die Fastnachtsküchle auf dem Tisch haben uns damals gar nicht besonderes interessiert. Dein Nahesein schaltete das alles aus. Ja und dann hattest du dich sogar noch erkältet auf der kalten Erde an unserem Abhang. Aber es war so schön nach dem langen Winter wieder den lieben Weg zu gehen. Den Kerl, der uns beim Runtergehen im Dorf belästigen wollte, wurden wir ja glücklich los.“ (Brief an Ch. Burst am 16.2.1953 aus Aalen)

Berthold Rumold: Reliefs (ehemals Türfüllungen an einem Wäscheschrank), je 95 x 41 cm
Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da – der Anfang in Oberammergau
Brief aus Oberammergau (Kleppergasse 10, bei Familie Strauß) vom 2.11.1956: „Meine liebe Christl! Sicherlich wartest du schon lange auf einen Brief von mir, aber es war diesmal ausnahmsweise keine Schreibfaulheit von mir, die mich nicht zum Schreiben kommen ließ. Ich muß vorerst noch schnitzen und nochmals schnitzen, um einigermaßen bei diesen routinierten Herrgottschnitzern mitzukommen. Aber ich komm jetzt schon auf 75 Mark in der Woche und hoffe in zwei bis drei Monaten wie die Andern meine hundert Mark verdienen zu können. Von der schönen Landschaft bekomme ich dabei vorerst noch nicht viel zu sehen, aber dafür um so mehr von seinen Bewohnern zu hören. Doch Liebe, vielleicht erzähle ich mal von Anfang an, wie es mir ging. Na, die Eisenbahnfahrt über München war regnerisch und trübe. In Murnau, der zweiten und letzten Umsteigestelle, fuhr ein Bus die Reisenden die letzten zwanzig Kilometer durch das tief verschneite Land bis Oberammergau. Ich hatte mal wieder Kopfschmerzen und steuerte mit meinen beiden Koffern gleich ins nächste Gasthaus. Übrigens hat mich ein leichtes dußliges Gefühl im Kopf bis heute noch nicht verlassen. – Ja ich nahm gleich ein Zimmer für eine Nacht, ging aber am Abend noch einige Meister besuchen. Arbeit war überall, nur kein Platz. Bis ich dann ins älteste und bekannteste Verlagshaus mit Werkstätten, dem ‚Lang selig Erben‘ kam, wo ich auch angenommen wurde. Ich glaube, es war der beste Griff den ich machen konnte, denn mittlerweile habe ich gesehen, daß jede anfallende Bildhauerarbeit in Holz bei uns ausgeführt wird. Das Geschäft hat fünf bis sechs große Werkstätten, in denen die einen Christusfiguren, die anderen Madonnen, wieder andere Altäre oder auch schöne Grabmäler oder profane Schnitzereien, also alles das, was ich lernen oder zumindest näher kennenlernen möchte, ausführen. Und schnitzen können die Leut das ist zum Staunen. Ja und dann kam der Dienstag, an dessen Abend mir der Meister sagte, daß ich bleiben könne. Er gab mir auch eine Adresse wo ich schlafen könne und so zog ich gleich um. Meine Wirtin sieht so aus wie Frau Bauer in Bulach. In meinem Zimmer schläft noch ein junger Mann mit dem ich mich schon gut verstehe. Er ist aus dem Rheinland und auch Schnitzer, aber das Beste an ihm ist, daß er hier eine Braut hat, bei der er schlafen kann, wenn du zu mir kommen kannst. Meine Kollegen sind Leute in meinem Alter außer einem vierzig und einem sechzig Jahre alten Arbeiter. Es gibt viel Gaudi während der Arbeit, das Radio spielt dazu und manchmal ist [es] ein bissel zu arg. Aber das ist nicht schlimm. Wir sitzen alle beim Schnitzen, also geht es nicht wie in Karlsruhe, daß das Holz in die Hobelbank eingespannt wird, sondern man hält den Herrgott in der Hand und bearbeitet ihn mit dem Schnitzmesser und nur sparsam mit den Eisen. Das war natürlich für mich ganz neu und ist noch eine große Umstellung, aber viel bequemer. Ja ich habe gemerkt, daß es auch schneller und sauberer geht. Die ‚Buam‘ kommen und gehen, wann sie wollen und es wird schon neun, halb zehn Uhr am Abend bis der Letzte sein ‚Pfürdi‘ sagt. Sonntags oder feiertags, wie gestern, wird nach der Kirche schön weiter geschnitzelt bis zum Nachmittag. Und wenn sie nicht schnitzen, sitzen sie so da und die Frauen manchmal auch dabei. Wenn da das Verhältnis untereinander nicht so freundschaftlich wäre und von jedem eine Gemütlichkeit ausstrahlen tät, nachher wär’s eine Plage. Aber so kann ich es gut aushalten. Ja mein Herz, so nimmt eine Sehnsucht nach dir und eine Freude an der Arbeit, halt, der Lothar ist auch noch da, meine Seele ein. Ich bin in Gedanken fast immer bei dir und dem Buben und bin glücklich, wenn ich dich wieder in den Arm nehmen darf und Lothar spazieren führen kann. Es ist jetzt Freitagabend, hoffentlich liegst du schon im Bett, es geht auf zwölf. Träum was schönes von uns und laß dich vielmals grüßen und küssen von deinem Berthold. Viele liebe Grüße und Küsse an Lothar. Viele Grüße an Mutti und Siegfried.“

„halt, der Lothar ist ja auch noch da“ (etwa ein halbes Jahr später, im Sommer 1957)
Eine Tonskizze des Heiligen Georg
Brief an Ch. Rumold vom 25.4.1959 aus Oberammergau : „Es ist Samstagabend. Es war ein schöner Tag heute. Gestern hatte ich mir eingebildet, heute einen ganzen vierziger Kruzifixus zu schnitzen. Aber weiter als bis zur Krone und zu den Haaren bin ich nicht gekommen, weil meine Kameraden weg mußten ins Gasthaus. Da sollte die Wochenschau kommen, um ihre [wegen der Passionsspiele] bärtigen Gesichter zu fotografieren. Nun, als die Bude leer war, ging ich zuerst einmal zum Frisör und dann holte ich mein Modellierbesteck heraus und die Tonskizze, an der ich schon manchmal unzufrieden einen Skt. Georg entwerfen wollte, ist mir mit einem Male gut gelungen und machte mich auch für den restlichen Tag zufrieden. Am 1. Mai habe ich ja drei Tage Zeit für die Holzausführung.“
In den Bergen
Brief aus Oberammergau vom 27.10.1958: „Ich war aber gestern bei dem schönen Wetter mit Karl unterwegs am Berg. Es war ja wunderschön, denn unter uns lag ein Nebelmeer weit ins Land hinaus.“

Kein „film still“ aus einem deutschen Heimatfilm, sondern Berthold Rumold (rechts) und Karl in den Oberammergauer Bergen.
Oberammergau, 25. Mai 1957
„Sonst ist es hier regnerisch mit zeitweiligen Aufheiterungen. Die Berge hängen ganz zu von Wolken und drückend legt sich das auf das Gemüt und den Kopf. Und doch bin ich als ganz zufrieden, wenn Joseph neben mir schnitzt am Abend und das Radio spielt.“
Vor der Rückkehr nach Karlsruhe
Im September 1962 laufen die Vorbereitungen der Rückkehr meines Vaters nach Karlsruhe auf Hochtouren, „bei mir ist halt tatsächlich ein Wirbel, daß ich alles richtig vorbereite“, schreibt er in einem Brief am 10.9.1962. Der Christopherus-Brunnen, der als Meisterstück geplant war, soll nun als Blickfang (nicht nur Christus-, sondern auch Werbeträger) vor seiner neuen alten Werkstatt in Karlsruhe aufgestellt werden. Doch zuvor muss der Stamm fertig werden: „Am Vormittag war ich in der Schule. Herr Huber hat sich Zeit genommen und hilft mir an dem Christopherus. Da bin ich natürlich mal wieder im siebten Himmel, wenn der Mann bei mir ist. Die Figur wird wunderbar. Jetzt muß ich für mein Geschäft nur noch sehen, daß mir ein anderer Bildhauer zwei Kreuze [gemeint sind Grab-Kreuze] auf Kommission gibt, dann habe ich fürs erste das wichtigste beieinander.“ Auch von den Oberammergauer Bergen muss nun Abschied genommen werden: „Diesen Sonntag war ich auf einem unserer Berge. Mit der Zugspitz‘ wird es nichts in der Werkstatt. Es gibt einen bayerischen Spruch: der Bayer kennt die Kirche von außen das Wirtshaus von innen und die Berge von unten.“
„Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“
Am 16. Februar 1953 (ein „Rosenmontag“) schreibt er aus Aalen (Brunnenstr. 80) an seine spätere Frau: „Ach Lieb, an Ostern gehen wir unbedingt wieder hinaus und wenn ich in Stuttgart bin, möchte ich Sabbats wieder mit dir dort oben [i. e. auf dem Turmberg in Karlsruhe-Durlach] sein. Weißt, wenn unter uns Karlsruhe so ausgebreitet liegt und ganz hinten rechts müßte der Dom zu Speyer aus der Ebene hervorlugen. Und warm ist es dann wieder. Und abends muß ich nicht nach Bulach [Stadtteil von Karlsruhe]. Ja das wird wahr. Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“
Mein Vater hatte über seinen Kontakt zur Karlsruher Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Arbeit in einer Aalener Ziegelei bekommen. Dass er seit Mai 1952 den Gesellenbrief im Holzbildhauer-Handwerk besaß, spielte dabei möglicherweise eine Rolle, denn einmal schreibt er: „Morgen gehe ich in die Fabrik und modelliere das Kinderrelief.“ Auch in Aalen bewegte er sich offenbar in den Kreisen der Adventisten, ging am Samstag („Sabbat“) in den Gottesdienst und las christliche Büchlein, so etwa eines von Theophil Spoerri: „Der Herr des Alltags“ (1932): „es ist eine der besten Schriften, die ich als Wegweiser zu Christus gelesen habe und hat mir neue Kraft und Hoffnung gegeben“, schreibt er in einem Brief aus Aalen am 16.5.1953.
Aus dem eingangs zitierten Brief geht hervor, dass meine Eltern im Februar (Fastnacht) 1952 gemeinsam (wahrscheinlich am Turmberg in Karlsruhe-Durlach) unterwegs gewesen sind. Meine Mutter (geboren am 31.12.1934) war da gerade erst siebzehn Jahre alt, die Beziehung (die man damals noch nicht so nannte) muss noch ganz frisch gewesen sein. „Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir“, schrieb er ihr ein Jahr später. Es gibt dazu eine Parallelstelle in einem Brief vom Juni 1959 aus Oberammergau: „aber dieses Ziehen zur Familie ist ständig da“, heißt es dort. Die Verbindung (ab 1955 die Ehe) meiner Eltern war während der ersten zehn Jahre eine Beziehung mit räumlichem Abstand, das Getrenntleben eher der Normalfall als die Ausnahme. Er lebte und arbeitete mal hier mal da, sie blieb unverrückbar standortgebunden in Karlsruhe – und das bis an ihr Lebensende.