Hände hoch, ich bringe Ihnen einundsiebzig Mark!

Mein Vater schickte meiner Mutter während der sechs Jahre (1956-1962), in denen er in Oberammergau bei Lang selig Erben als Schnitzer arbeitete, wöchentlich Geldbeträge zwischen vierzig und hundert Mark. In der Regel steckte er wohl die Scheine einfach mit in den Briefumschlag, gelegentlich tragen die Briefe am unteren Rand Vermerke wie „anb. 70,- DM“. Ein sicherer, wenn auch mit zusätzlichen Kosten verbundener Weg des Geldtransfers wäre die Zustellung per Geldbriefträger gewesen. Bis 1987 trugen diese „Geldboten der deutschen Bundespost“ (so die offizielle Bezeichnung) Pistolen bei sich, um im Fall der Fälle die Rente oder Postanweisung gegen etwaige Wegelagerer verteidigen zu können. Geldbriefträger gab es immerhin bis April 2002, nach 1987 waren sie allerdings nur noch mit Mobiltelefonen bewaffnet.

Oberammergau, 23.3.1957, an Ch. Rumold: „Unser Bub steht oft genug deutlich vor mir, der kleine Spatz. Wirf ihm bitte die eine Mark über den siebzig in seine Kasse. Ich habe das Geld diesmal einbezahlt, bin aber nicht ganz zufrieden, weil dieser Weg fünfzig Pfennige kostet, mit denen ich gerne etwas anderes angefangen hätte. Ich glaube, das nächste Geld schicke ich wieder im Brief. Heute am Samstag hatte ich einen richtigen Arbeitseifer, ganz im Gegensatz zum letzten. Es macht mir auch jetzt immer mehr Spaß, weil die Arbeit immer leichter von der Hand geht. Lieb, sag doch Herrn Geier, daß ich ihm eine geschnitzte Schachfigurenserie besorgen kann. Ich selbst könne sie leider nicht schnitzen, da ich dringend anderen Aufträgen nachkommen müsse. Die Preise liegen bei dreihundert Mark ohne Brett. Es sind das recht nett geschnitzte Figuren, aber eben auch teuer. Billiger sind sie in der Ausführung nirgendwo, denn das Zeug geht weg wie warme Semmeln. Es sind auch immerhin 32 Einzelfiguren.
Sonst bin ich wirklich zufrieden. Meine Kumpels werden mir immer lieber und die Arbeit leichter. Jetzt ist bei uns die große Zeit des ‚Hornsuchens‘. Horn sind Geweihe der Hirsche. Die werfen jetzt im März ab und die Kerle sind dahinter her, als wären sie aus Gold, dabei flacken sie bald in irgendeiner Zimmerecke, um zu verstauben. Aber es ist nicht erlaubt, diese Apparate zu behalten und so bieten sie eine anreizende Gelegenheit, den Jägern zu beweisen, daß sie Schlafmützen seien: bis die aufsehen ham mia Buam schon längst die Horn dahoam. Ja, und dann weiß ich jetzt auch, daß am 24. März die ersten Schwalben kommen und die Frösche schon da sind. Es gefällt mir ganz gut, wie die Kumpels das Jahr kennen und zu jeder Zeit ihre besonderen Ereignisse haben.“