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„Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen“

Blick auf Oberammergau

Blick auf Oberammergau

Auf der Rückseite dieser Karte vom 12.2.1962 (aus Oberammergau) heißt es: „Liebe Christl! Es ist schwer zu sagen wie es mir geht. Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen.“

Was das im Einzelnen hieß, stand schon in einem Brief vom 5.2.1962: „Bei mir ist zwar viel viel Arbeit aber fast alles in der Schule. Samstags ist ja in Garmisch der direkte Vorbereitungskurs, da brauche ich gerade den Sonntag um zum notwendigsten Geld für mich zu kommen. Zum Glück geht es mit den Entwürfen für die [Frankfurter] Messe am 1. März noch einigermaßen gut, aber alles im Geschäft drängt und unser angestellter Meister mit seinen konservativen Arbeiten schläft auch nicht und hat dazu alle Zeit. Na hoffentlich schlägt mein Zeugs gut ein. Ich könnte es brauchen. Was mir selbst am meisten bei dem modernen Stil gefällt ist die Ehrlichkeit gegen das gewachsene Stück Holz und das nur eingehen auf die Grundhaltung einer dargestellten Plastik. […] In Garmisch ist der Kurs sehr interessant. Die Lehrer sind noch sehr jung aber […] sehr intelligent. Die Meisterprüfung findet am 4. Mai in München statt. Hoffentlich komm ich durch.“

„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“

Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“

Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“

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B. Rumold: Kämpfende Hirsche, Eiche, 30 x 13 x 21 cm (1962)

 

Zwischen Schule und Werkstatt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau vom 2. Oktober 1961. „Ich höre gerne von meiner Barbara. Von ihr träume ich am meisten. Im Beruf geht es mir noch gut. Ich sollte mich teilen können, damit ich in der Schule und in der Werkstatt sein könnte. Die Schule stetzt halt vor jeder Schnitzarbeit eine geistige Auseinandersetzung voraus und ist ungemein anregend. Die Werkstatt hat natürlich ein anderes Klima, aber mein Chef läßt mich ungehindert entwerfen und frei arbeiten. Hoffentlich geht das noch lange so weiter.“

Mit Gruß von Florian Lang

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„[…] das ‚Signum‘ hat unser Florian als Gruß an dich geschrieben.“

Brief vom 5.6.1961: „Liebe Christl! Entschuldige bitte, daß ich so lange nichts von mir hören ließ aber ich war in der vergangenen Woche noch immer unschlüssig ob ich auf die Schnitzschule gehen solle, oder ohne sie den Anlauf auf die Meisterprüfung wagen könnte. Nun bin ich heute doch gegangen und nach der Unterhaltung mit dem Direktor finde ich das „Problem“ aus der Werkstatt zu gehen fast lächerlich, denn es hat mir gleich wieder in der Umgebung der Schule gefallen. Es stellte sich auch heraus, daß auf unserer Schule in Zukunft direkte Meistervorbereitungskurse abgehalten werden. Der erste beginnt am 15. September und geht bis vor die Prüfung im Frühjahr. Ich beginne also im September mit der Schule und bleibe noch so lange in der Werkstatt. […] Christl, das ‚Signum‘ [siehe Abb.] hat unser Florian [Lang] als Gruß an dich geschrieben.“

Dazu der Brief vom 18.9.1961.

Schulbeginn

Aus einem Brief an Ch. Rumold am 18.9.1961: „Jetzt bin ich schon acht Tage auf der Schule [für Holzbildhauerei, Oberammergau] und was den Beruf anbetrifft recht zufrieden. Der Lehrer führt mich sicher in der Arbeit und die saubere Atmosphäre bei ihm tut mir gut. […] Augenblicklich kann ich noch in der Firma [Lang sel. Erben] leicht Geld verdienen durch Entwürfe. Die Frankfurter Messe war erfolgreich mit meinen ‚Madonnen‘. Der Chef zahlt die Entwürfe jetzt auch wesentlich höher.“

In seine mystische Heimat vertrieben

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

Diese Darstellung eines Bürstenbinders (heute im Bürstenbindermuseum Ramberg) ist während der Lehre bei Karl Kinsler (Karlstr. 7, Karlsruhe – die Werkstatt existiert nicht mehr) entstanden.

Der von Karl Kinsler unterzeichnete Lehrbrief datiert vom 27. Mai 1952, der Gesellenbrief der Handwerkskammer vom 31. Mai 1952. Als mein Vater danach am Karlsruher Hauptfriedhof eine eigene Werkstatt eröffnete, verbot man ihm deren Betrieb, da die kurze Zeit der unter alliierter Besatzung geltenden allgemeinen Gewerbefreiheit mittlerweile vorüber war, so dass jeder Handwerker, der ohne Meisterprüfung selbständig arbeitete, als Schwarzarbeiter galt. Noch 2007 stand in einem deutschen Wirtschaftsmagazin der Satz: „Nirgendwo wird es Handwerkern so schwer gemacht, selbstständig zu arbeiten, wie in Deutschland.“ („Das Kartell“ in: brand eins. Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 06/2007)

Für meinen Vater bedeutete diese Einschränkung seiner persönlichen Gewerbefreiheit allerdings ein unvorhergesehenes, schicksalhaftes Glück im (eigentlich vorhersehbaren) Unglück, war sie doch der Grund für seine Entscheidung, nach Oberammergau zu gehen, um an der dortigen Berufsfachschule den Meistertitel zu erwerben. Denn die Oberammergauer Zeit war, das hat er mir gegenüber einmal geäußert, die glücklichste Zeit seines Lebens. Nicht die Berge an sich, sondern eben gerade die Oberammergauer Berge habe er als heimatlich in einem geradezu mystischen Sinn erlebt.

Das Modell war das Original

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

Oberammergau, 6.5.1962: „Liebe Christl! Die Meisterprüfung habe ich gut mit drei ‚gut‘ überstanden. […] Am Donnerstag habe ich noch mit meinen Kameraden den Fichtenstamm geholt und in der Schule aufgestellt. Ich kann dir sagen, das ist ein Riese von einem Baum. Herr Huber ist ganz zufrieden, daß ich die Arbeit auch nach der Meisterprüfung ausführe. Ich muß jetzt noch sechs Wochen halbtags zu ihm, aber ich gehe sehr gerne zu ihm. Übrigens wegen Lothars stiller Freude [über einen mit Buntstiften geschriebenen Brief von ihm]; ich fuhr gestern Nachmittag mit meinen vier Kameraden, die auch die Prüfung bestanden hatten nach hier zurück und sah zu wie sie schreiend und lachend ihrer Freude Ausdruck gaben. Sie wollten mich auch „aufmuntern“ und ihr Benehmen war mir nicht zuwider, aber anstatt lauter wurde ich auch immer stiller, daß ich mich selbst darüber wunderte.“

Offenbar hatte die Prüfungskommissionen das Christopherus-Modell als Meisterstück akzeptiert, so dass die Ausführung des Brunnenstamms in der geplanten Höhe von knapp drei Metern im Hinblick auf die Prüfung nicht mehr erforderlich gewesen wäre, denn die hatte mein Vater ja bereits abgelegt und „gut mit drei ‚gut‘ überstanden“. Damit reiht sich der große Fichtenstamm (s. o.), der dreißig Jahre lang (1962-1992) vor der Werkstatt in Karlsruhe als Blickfang gedient hat, in die Schar der Pseudo-Meisterstücke ein, die mein Vater gewissermaßen in Serie produzierte, um potentiellen Kunden einen zusätzlichen Kaufanreiz zu bieten, während das eigentliche Meisterstück als vermeintliches „Modell“ relativ unbeachtet in irgendeiner Werkstattecke stand.

Der „wilde Hund“ für das Meisterstück

Im Brief vom 27. April 1962 geht es um den Stamm für das Meisterstück und um Prüfungsformalitäten. Offenbar war sein Vorschlag zunächst abgelehnt worden. Die Prüfungskommission war sich darin aber wohl nicht einig:

„Liebe Christl! gestern habe ich mit Herrn Huber und Herrn Lang den Stamm angeschaut. Herr Huber hat gleich einen Schrei losgelassen wie er den „wilden Hund“ ansichtig wurde. Aber es ist ein Baum nach meinem Herzen. […] Anschließend habe ich mit dem Holzbesitzer in Schwangau verhandelt. Er will für seine Wohnstube ein Kruzifix dafür. Das war für mich eine erfreuliche Gegenleistung, spart es mir doch gleich eine Menge Geld. Morgen hole ich mit einem Arbeitskollegen den Stamm. Ja, und die Prüfungskommission war auch da. Sie wußten nichts von der Ablehnung meines Antrags. Ausgerechnet der in Frage kommende Herr war nicht dabei. Sie haben sich dann groß überrascht gezeigt, daß diese Arbeit abgelehnt wurde. Eine Nachlieferung des Meisterstückst sagten sie nicht zu. Lieber soll ich das Modell mitnehmen und als Meisterstück vorlegen. Mir war das recht. Jetzt kaue ich halt fleißig das Theoretische durch und hoffe, daß ich einigermaßen durch komme.“

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Rückseite des Fotos: „Christopherusbrunnen, 2,80 m aus einem Stamm für Meisterprüfung“ (Bozetto)