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Und als Bub wird sie ein Peter

Er wurde dann doch eine Barbara, geboren am 4. Januar 1959

Er wurde dann doch eine Christa Barbara, geboren am 4. Januar 1959

Oberammergau, 16.11.1958: „Christl, wir werden einen Weg finden, miteinander in München eine Wohnung zu bekommen. Ich möchte wirklich nur in diese Stadt. In Karlsruhe ist zu viel Trübes und hier ist es zwar sehr schön, aber der Gedanke, immer hier zu sein, ist mir nicht angenehm. Wenn ich schon daran denke, was München für ein Kulturzentrum ist und eben doch eine Stadt ist. Meine Freude am Wandern in den Bergen erschöpft sich auch nicht mit dem bloßen Genießen der Natur, sondern ich will das, was ich dabei sehe, auch ein bissel in bescheidenem wissenschaftlichen Maße auswerten. Diese Möglichkeiten gibt es alle in München. Na, für mich scheint die Stadt eben ideal, und Schatz, ich glaube, daß sie Dir auch gefallen wird. / […] / In der vergangenen Woche hatten wir in der Firma auch ein freudiges Ereignis, denn unserem Meister, dem Herrn Lang, wurde nach fünf Mädchen endlich der Kronprinz geboren. Daß da an zwei Tagen gefeiert wurde, kannst Du Dir denken. Mitgesoffen habe ich nicht, denn ich kann das einfach nicht, so gerne ich auch bei meinen Kameraden auf dem Gebiet keinen Außenseiter machen möchte. Nach der zweiten Flasche Bier und etwas Schnaps werde ich so müde, daß ich unweigerlich ins Bett muß. Sie nehmen es mir zum Glück nicht übel, denn irgendwie spürt man doch die individuelle Natur eines jeden Menschen und der eine ist eben so und der andere so. Aber ansteckend war die allgemeine Faulheit dann doch auf mich. / Mit Karl verstehe ich mich recht gut. Wir mußten unsre Farbdias schon dreimal mit einem Projektor vorführen. Die Bilder nehmen sich an der Leinwand aber auch sehr gut aus. Er sitzt am Vorführungsgerät und ich muß reden. Zum Lachen war es, wenn die schönen Blumen kamen, aber mir die einzelnen Namen noch nicht ganz intus sind. Da hilft natürlich meiner ‚lateinische Sprachkenntnis‘ gut, daß keiner der Anwesenden Lateinisch kann. Es sind aber auch zu viele Gräser und versteckte Blumen auf den großprojektierten Bildern zu erkennen. Ich bin mal gespannt, ob ich mit Karl den Plan verwirklichen kann, daß wir im nächsten Jahr eine große Sammlung von Alpenpflanzen in Bildern zusammen bekommen. / Heute ist trübes Wetter, das allerdings schon die ganze Woche anhält. Christl, Lieb, bist Du es sehr leidig? Es drückt sicher auf Dein Gemüt. Ach, noch vierzehn Tage, dann kannst Du wenigstens vom Geschäft wegbleiben. Und wenn es erst mal Dezember ist, wird es auch Weihnachten. Ich komme an Weihnachten zu Dir und Lothar. Und wie wir es dann bis zur Geburt unseres Kindes machen, werden wir sehen. Ich habe schon zweimal geträumt, daß es ein Mädel wird. Wir taufen sie Christa Barbara. Und als Bub wird sie ein Peter. Schatz, was denkst Du, wie sich Lothar freut, wenn wir in München am Sabbat oder Sonntag die vielen interessanten Museen besuchen können und eine kleine Schwester mitführen können. Und der Starnberger See ist auch nicht weit. Wenn es nur schon an der Zeit wäre. Dann ist ja in München auch noch eine große Gemeinde von uns. Also München wäre mir schon recht. / […] / Christl, nun habe ich noch eine Bitte. Schreibe doch mit der Maschine eine Rechnung an Schnappinger und bringe sie am Wochenende zu ihm. Das Geld geht an Dich. / a) Kleiner Normalkruzifixus DM 25,- / b) Kleiner Grünewald DM 40,- / c) 30er Grünewald DM 65,- / d) 40er Grünewald DM 95,- / e) 25er Würzburger DM 40,- / f) 40er Normalmodell DM 75,- / Christl, mein Lieb, nun laß Dich innigst grüßen und wenigstens in Gedanken küssen von Deinem / Berthold. / Viele Grüße an unseren Lothar, an Mutti und Siegfried!“

Der „Klepper“ wird in den Gemeinderat gewählt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau, 28.3.1960: „Es war so ein schöner Tag, daß ich jetzt am späten Abend, wo alles aus der Bude ist, doch noch gerne ein bissel an dich schreiben möchte. Viel gearbeitet wurde ja heute am Montag nicht. Es war viel zu viel Aufregung im Dorf und ein fantastisch schöner blauer Himmel. Schon als ich aufwachte und laut Radiosendung mit schlechtem Wetter rechnete, aber einen blauen Himmel sah, war ich froh. Im Geschäft war dann wenig Betrieb, weil gestern Wahltag war für den Bürgermeister und den Gemeinderat. Unser Josef (Pankratz) und der Chef, Herr Lang, hatten kandidiert. Aber weil noch keine Ergebnisse heraus waren, stand alles diskutierend beieinander auf der Straße und genoß teilweise das schöne Wetter und teilweise die steigenden Chancen von Herrn Lang. Die Spannung lag darin, daß unser schärfster Geschäftskonkurrent bei der Gegenpartei aufgestellt war. Und endlich war es soweit. Unser Gegner, der bisher im Gemeinderat saß, mußte heraus und unser ‚Klepper‘ [Spitzname für Herrn Lang] hatte genug Stimmen, um hinein zu kommen. Da unternahmen wir natürlich gleich einen Firmenausflug ins Grüne. […] Josef kam bei der Wahl nicht durch. Er hatte nicht allzuviel Stimmen bekommen. Ein bissel bin ich schadenfroh, weil er so gerne den Feldwebel spielt.“

Purzelbäume zwischen Publikumsgeschmack und Lehrmeinung

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 16.1.1962 „Im Geschäft bereiten wir uns wieder auf die Frankfurter Frühjahrsmesse vor. Dafür habe ich wieder viel Arbeit und Herr Lang spricht gerne mit mir über neue Formen in der modernen Art. Leider kann ich wirklich nicht aus eigenen Ideen allein Neues schaffen, aber wir suchen gemeinsam nach einigen guten Formen und sind uns dabei ziemlich einig. Anders sah es in der Schule aus. Herr Huber will ganz andere Formen. Eine entschieden geschlossene Bildhauerarbeit. Streng in den Gesetzen eines Baumes und gewonnenen Kunstgesetzen. Aber da setzt es bei mir genauso aus. Obwohl, das Letztere ist mir lieber, aber ohne Lehrergehalt und ohne Genius muß ich mich halt doch nach dem Kitschgeschmack beugen. […] Christl, so geht es halt purzelbaumschlagenderweise weiter.“

„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“

Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“

Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“

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B. Rumold: Kämpfende Hirsche, Eiche, 30 x 13 x 21 cm (1962)

 

Zwischen Schule und Werkstatt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau vom 2. Oktober 1961. „Ich höre gerne von meiner Barbara. Von ihr träume ich am meisten. Im Beruf geht es mir noch gut. Ich sollte mich teilen können, damit ich in der Schule und in der Werkstatt sein könnte. Die Schule stetzt halt vor jeder Schnitzarbeit eine geistige Auseinandersetzung voraus und ist ungemein anregend. Die Werkstatt hat natürlich ein anderes Klima, aber mein Chef läßt mich ungehindert entwerfen und frei arbeiten. Hoffentlich geht das noch lange so weiter.“

Schulbeginn

Aus einem Brief an Ch. Rumold am 18.9.1961: „Jetzt bin ich schon acht Tage auf der Schule [für Holzbildhauerei, Oberammergau] und was den Beruf anbetrifft recht zufrieden. Der Lehrer führt mich sicher in der Arbeit und die saubere Atmosphäre bei ihm tut mir gut. […] Augenblicklich kann ich noch in der Firma [Lang sel. Erben] leicht Geld verdienen durch Entwürfe. Die Frankfurter Messe war erfolgreich mit meinen ‚Madonnen‘. Der Chef zahlt die Entwürfe jetzt auch wesentlich höher.“

Das Modell war das Original

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

B. Rumold: Heiliger Christopherus mit Jesuskind, Meisterstück 1962

Oberammergau, 6.5.1962: „Liebe Christl! Die Meisterprüfung habe ich gut mit drei ‚gut‘ überstanden. […] Am Donnerstag habe ich noch mit meinen Kameraden den Fichtenstamm geholt und in der Schule aufgestellt. Ich kann dir sagen, das ist ein Riese von einem Baum. Herr Huber ist ganz zufrieden, daß ich die Arbeit auch nach der Meisterprüfung ausführe. Ich muß jetzt noch sechs Wochen halbtags zu ihm, aber ich gehe sehr gerne zu ihm. Übrigens wegen Lothars stiller Freude [über einen mit Buntstiften geschriebenen Brief von ihm]; ich fuhr gestern Nachmittag mit meinen vier Kameraden, die auch die Prüfung bestanden hatten nach hier zurück und sah zu wie sie schreiend und lachend ihrer Freude Ausdruck gaben. Sie wollten mich auch „aufmuntern“ und ihr Benehmen war mir nicht zuwider, aber anstatt lauter wurde ich auch immer stiller, daß ich mich selbst darüber wunderte.“

Offenbar hatte die Prüfungskommissionen das Christopherus-Modell als Meisterstück akzeptiert, so dass die Ausführung des Brunnenstamms in der geplanten Höhe von knapp drei Metern im Hinblick auf die Prüfung nicht mehr erforderlich gewesen wäre, denn die hatte mein Vater ja bereits abgelegt und „gut mit drei ‚gut‘ überstanden“. Damit reiht sich der große Fichtenstamm (s. o.), der dreißig Jahre lang (1962-1992) vor der Werkstatt in Karlsruhe als Blickfang gedient hat, in die Schar der Pseudo-Meisterstücke ein, die mein Vater gewissermaßen in Serie produzierte, um potentiellen Kunden einen zusätzlichen Kaufanreiz zu bieten, während das eigentliche Meisterstück als vermeintliches „Modell“ relativ unbeachtet in irgendeiner Werkstattecke stand.

Der „wilde Hund“ für das Meisterstück

Im Brief vom 27. April 1962 geht es um den Stamm für das Meisterstück und um Prüfungsformalitäten. Offenbar war sein Vorschlag zunächst abgelehnt worden. Die Prüfungskommission war sich darin aber wohl nicht einig:

„Liebe Christl! gestern habe ich mit Herrn Huber und Herrn Lang den Stamm angeschaut. Herr Huber hat gleich einen Schrei losgelassen wie er den „wilden Hund“ ansichtig wurde. Aber es ist ein Baum nach meinem Herzen. […] Anschließend habe ich mit dem Holzbesitzer in Schwangau verhandelt. Er will für seine Wohnstube ein Kruzifix dafür. Das war für mich eine erfreuliche Gegenleistung, spart es mir doch gleich eine Menge Geld. Morgen hole ich mit einem Arbeitskollegen den Stamm. Ja, und die Prüfungskommission war auch da. Sie wußten nichts von der Ablehnung meines Antrags. Ausgerechnet der in Frage kommende Herr war nicht dabei. Sie haben sich dann groß überrascht gezeigt, daß diese Arbeit abgelehnt wurde. Eine Nachlieferung des Meisterstückst sagten sie nicht zu. Lieber soll ich das Modell mitnehmen und als Meisterstück vorlegen. Mir war das recht. Jetzt kaue ich halt fleißig das Theoretische durch und hoffe, daß ich einigermaßen durch komme.“

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Rückseite des Fotos: „Christopherusbrunnen, 2,80 m aus einem Stamm für Meisterprüfung“ (Bozetto)

 

Weihnachten 1956

brief_aEr schreibt am 22. Dezember 1956 aus Oberammergau über die Weihnachtsfeier der Firma Lang (bei der er als Schnitzer Arbeit gefunden hatte) am Abend zuvor:

„Es kamen nahezu fünfzig Leute zusammen. In der Abrechnung lagen zwanzig Mark Weihnachtszulage bei, da war natürlich gleich eine gute Stimmung unter uns. Am Abend zogen wir uns gut an und zottelten los in das festlich geschmückte Gasthaus, wo an den festlich geschmückten Tischen schon alles auf die bekannt gemütlich langsamen Herrgottschnitzer wartete. Es wurde zuerst gut gegessen, darauf der Baum ins Kerzenlicht gebracht und ein paar Weihnachtslieder gesungen. Jeder bekam eine Flasche Wein, Zigaretten und einen Gutschein zum freien Biertrinken für den Abend.“

Aus demselben Brief geht hervor, dass seine Frau (und meine Mutter) am Jahresende für vier Tage zu Besuch nach Oberammergau kommen sollte. Etwa mit mir fünfzehneinhalb Monate „altem“ Wurm im Gepäck?