Oberammergau, 26.1.1957: „Meine liebe Christl! Über deinen lieben Brief habe ich mich sehr gefreut und sage dir vielen Dank dafür. Lieb, hoffentlich bekomme ich heute Abend einen einigermaßen lesbaren Brief zusammen, bin ein bissel arg müd. Und habe mich doch so sehr über deine Erzählung von unserem Buben gefreut. Grad letzte Woche begegnete ich auf einem Frischluftschnappgang am Kofelweg einer Schulklasse von rotbackigen Buben und bei ihrem Anblick kam mir ein Wunsch, den du mir jetzt aber nicht als neue Schwärmerei verübeln darfst, denn es war nur ein kurzer Wunsch. Weißt du, wenn ich einmal meine Meisterprüfung habe, es müßte doch gehen, daß man in Abendkursen das Abitur nachholen könnte und vielleicht einmal als Zeichenlehrer an einer Realschule ankommen könnte. Das wäre doch schöner als sich mit hinterlistigen Geschäftsleuten herumärgern zu müssen. – Aber lassen wir das jetzt noch schlafen und steuern in einer fröhlichen Werkstatt erst einmal der Meisterprüfung entgegen. Es herrscht schon eine richtige Fastnachtstimmung unter unseren Kerlen. Keiner hat mehr einen Arbeitsgeist und wenn ein Fremder in der vergangenen Woche zu uns hereingeschaut hätte, der hätte hier alles vermutet nur keine Schnitzerwerkstatt. Drei spielen fast ständig Skat, andere haben sich einen Schießstand hergerichtet, weil einer ein Gewehr selbst gebaut hat und zwischendurch wird mit primitivster Kostümierung, bestehend aus einer langen Papnase mit Schnurrbart und sechs, sieben verschiedenen Hüten und Mützen, eine Varietéschau geboten, daß man, ob man will oder nicht, lachen muß bis der Bauch weh tut. Das Radio mit seinem tuttifrutti Rock and Roll bietet natürlich das denkbar beste Sprungbrett für diese Schlauheiten. Aber ich freue mich doch über die Lebensfreude meiner Kumpels. Wir haben die denkbar beste Belegschaft. Unser guter Josef mußte in letzter Zeit schon was herhalten mit seinem Alter von vierzig Jahren. Da läuft doch gerade der Schlager, in dem es heißt: ‚… und von der Kirch und den alten Leut, da geht a Segen aus.‘ Wenn Sepp nun wegen irgendeiner kleinen Sache klagt, bekommt er das zu hören. ‚Aber wartets nur, wenn i amol nimma komm, nachher schaugts drein‘.“
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Föhn und Fastnacht und ein später Spaziergang
Oberammergau, 9.2.1957: „Meine liebe Christl! Ich hatte in den kalten Wintertagen oft sehnlichst nach dem Frühling Ausschau gehalten, aber was die vergangene Woche bot an Sonnenschein und nahezu berauschend warmem Föhn, macht mir fast bange vor dem Frühjahr. Ich hatte eine unendliche Sehnsucht nach dir und unserem Lothar. Am Sonntag konnte ich mittags ganz einfach nicht mehr arbeiten. Aber, wenn man draußen sitzt an der Romanshöhe, ist einem auch nicht wohl, denn alles ist voll von jungen Leuten oder besser gesagt, Pärchen und wenn einem schon ein Einzelner begegnet, schaut er oder sie so hungrig drein, daß man Angst bekommt, auch einen solchen Eindruck zu machen und deshalb bald wieder ins Dorf in die Werkstatt geht. […] Lieb, eben mußte ich für eine Weile den Brief unterbrechen, denn meine Kumpels kamen, um sich für einen Maskenabend einzukleiden. Also, wenn sich die jungen Kerle in alte Frauenkleider stecken und sich eine Holzmaske vors Gesicht binden, bekomme ich wie beim Nikolaus ein enges Gefühl ums Herz. Hüpfen sie dann eine Weile umeinander, so gewöhnt man sich ja dran, aber schön ist das wirklich nicht, nur grotestk, wenn unter einer grinsenden Fratze ein ernstes Gesicht hervor kommt und flucht, weil das Ding nicht recht passt. Heute hatten wir ein recht stürmisches Wetter und erst gegen Abend beruhigte sich der Himmel und geradezu tröstend umspielte der Sonnenschein noch einmal die Berggipfel, als ich zur Lichtzeit einen Spaziergang machte. Ich ging zur Bergbahn hoch und ein Stück zu Fuß den Berg hinauf, bis ich eine ganz ansehnliche Höhe erreichte und einen Blick auf die umliegenden Gipfel bekam. Es war ein ganz klarer ruhiger Abend. Es roch nach frisch geschlagenen Bäumen und nach der Anstrengung eines schnellen Aufstiegs keuchte der Körper wohlig, langsam sich beruhigend. Es ist dann unglaublich schön. Daß im Lande Menschen wohnen, die sich jetzt streiten oder gar Krieg führen, es will einem nicht in den Kopf. Mit einem stillen Seufzer schaut man nach der Ebene zu und ich wünschte mir, daß du bei mir wärst. Dann merkte ich plötzlich, dass der Mond schon meinen Schatten auf den Boden zeichnete und stieg langsam wieder ins Tal.“
Ein Gesplitter von Grau, Schwarz, Rot und Grün – und eine unvergessliche Bergtour
Ehrfurcht vor dem Augenblick
Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 23.4.1960: „Meine liebe Christl, ich habe mich so gefreut, als ich heute deinen lieben Brief gelesen habe. Es geht mir im Geschäft gut. Es ginge mir aber noch besser, wenn ich nicht so gute Kameraden hätte, die sich im Laufe des Jahres so allerhand einfallen lassen. Heute z. B. hat unser Toni geheiratet in der Ettaler Kirche. Es war ja sehr schön, nur an meine liegengebliebene Arbeit darf ich nicht denken. Aber es hat mir wirklich gut gefallen mit meinen sieben Kumpels in der Kirchenbank zu stehen, sitzen, knien, grad wie es die meisten von uns machen, so tun die andern auch. An Gott denkt dabei kaum jemand, aber wenn der Pfarrer vorne ein paar mahnende Worte an das Brautpaar richtet und die Orgel so schön spielt, hat man eine bestimmte Ehrfurcht vor dem Augenblick. Es ist doch die Liebe sichtbar geworden. – Schatz, ich denke so gerne an unsere Ostertage zurück, an unseren Kaffeetisch am Samstag und Sonntagmorgen, wie Lothar und Barbara so quicklebendig auf dem Sesselstuhl herumturnten. Ach, wir sind doch eine glückliche Familie. Ich bin verliebt in meine Kinder und vor allem in dich, Christl.“
Dazu ergänzend aus einem zwei Tage zuvor geschriebenen Brief: „Es war sehr schön bei dir und unseren Kindern. Vor allem habe ich mich über Lothar gefreut, denn um sein Herz hatte ich immer ein bissel Bange.“ Hier geht es nicht um das Herz im physischen, sondern gewissermaßen im metaphysischen Sinn. Das Getrenntleben ab Ende 1956 (im April 1960 seit ca. dreieinhalb Jahren) war offenbar meinerseits cordial nicht ohne Folgen geblieben. Wenn man bedenkt, dass die Ehepartner nicht häufiger als ungefähr dreimal im Jahr zusammenkamen (und dann immer nur für ein paar Tage) grenzt es an ein Wunder, dass anscheinend nur die Vater-Sohn-Beziehung emotional besorgniserregend war.