Schlagwort-Archive: die Briefe

Betende Hände und ihre Wirkung

Oberammergau, 25.12.1956, an Ch. Rumold: „Die Süßigkeiten des schönen Paketes haben mir schon zum Teil gut geschmeckt und die Wurst kam mir gerufen. Im allgemeinen streiche ich mir Honig auf’s Brot, die Wurst ist so teuer, da war es mir aber jetzt doch recht. Die warmen Untersachen von Mutti kann ich ja auch sehr gut gebrauchen, sage ihr bitte meinen herzlichen Dank. Der Waltraud hättest Du vielleicht besser nicht die ‚Betenden Hände‚ geschickt, denn die fühlt sich jetzt scheinbar verpflichtet, also wenn ich denke, daß Du ihrem Mann einmal bei besonderen Anlässen etwas schenken wirst mit der Beischrift ‚dem lieben Günther‘, na danke, ich bekäme zumindest ein leicht zu definierendes Gefühl um die Herzgegend.“

Das neue Lied ist das alte Lied

„Oberammergau, 2.4.62 / Liebe Christl! / Vielen Dank für Deinen lieben Brief. Es geht mir gesundheitlich soweit gut. Leider das andere macht mir Sorgen. Die Handwerkskammer hat noch immer keinen Bescheid, ob sie das Meisterstück jetzt doch genehmigt. Seit heute bin ich wieder ganz in der Werkstatt. Ich brauche überhaupt Geld. Das ist alles an Neuem. / Ich sende Dir herzliche Grüße, ebenso den Kindern / Dein Berthold!“

Die Bedingungen der Möglichkeit des Gedankens der Freiheit sind nicht immer gegeben

Oberammergau, 24.6.1959, an Ch. Rumold: „Heute Morgen habe ich in einer Zeitung etwas von Schiller gelesen, nur so ein Wort vom edel sein des Menschen, und mich dabei an eine Radiosendung vom Samstag erinnert, in der der Ansager das Schillerjahr erwähnte und meinte, wenn er sich heute ein Schauspiel von Schiller anhört, dann klingt ihm die Sprache darin wohl gedrechselt und fremd. Aber wir müssen im Gesamtblick auf das Schaffen des Mannes immer anerkennen, daß er in unbändigem Maße die Freiheit von den Diktatoren den Menschen als Ziel vorstellte. / Ich habe mir später gedacht, daß er beinahe ein Gesetz der Freiheit, der Moral in der Freiheit schuf. Im Gegensatz zur Freiheit Goethes. Wie Beethoven gegen Mozart. Und bei der Sprache halte ich ihm zugute, daß er eben seine Speise mit Messer und Gabel ißt. Ich habe mich in Aalen zu sehr von den Umständen beeinflussen lassen und war unmöglich frei für seine Gedanken. Aber Christl, mein Lieb, du hast sicher andere Sorgen im Kopfe als jetzt so etwas.“

Kino, Kino und aufdringliche und englische Mädels

Oberammergau, 2.8.1959, an Ch. Rumold: „Schatz, so ziehen halt die Tage dahin. Ich bin gesund, mal guten, mal schlechten Mutes. Gestern Abend sah ich den Film ‚Wild ist der Wind‚, mit Magnani und einem großartigen Partner, Quinn heißt der Mann. Der Film war so lebensecht, daß er trotz der Magnani Dir sicher auch gefallen hätte. Heute oder morgen sehe ich mir ‚Mit dem Kopf durch die Wand‘ an.“

Oberammergau, 14.8.1959, an Ch. Rumold: „Ja, Christl, die Filme! Das war schön damals in dem Flohkino im Weiherfeld, als wir alles um uns nicht mehr spürten nur noch uns. ‚Mit dem Kopf durch die Wand‚ war köstlich amüsant. Der Lerneifer gemischt mit der Liebe war mir so aus dem Herzen gespielt. Der Tanzabend, der wippende Fuß von ihm, dann das kurze Hoppsagedrehe und gleich übergehen zu einem zarten Liebkosen zur Musik. Christl, Schatz, Du müßtest unbedingt tanzen können. Ja, und die Charaktere der Erzieher oder besser Fürsorger. / Gefährlich ist es nur jetzt manchmal gewesen, weil so viele Engländer(innen) im Ort sind, die sich durchaus nicht in englischer Zurückgezogenheit benehmen, aber doch nicht das aufdringliche Benehmen unserer Mädels haben. Ich bin da manchmal versucht zu sehen, ob sie so lieb sein können wie die Kleine im Film. Sie sind übrigens alle so schlank gewachsen.“

Nachdenken über die Passionsspiele

Opel_Olympia_De_Luxe_1,5-Liter_4-Door_Sedan_1939

Ein alter, hochrädriger Opel (Olympia 1939)?

Oberammergau, 22.5.1960: „Christl, mein Schatz! / Ich kann erst am nächsten Freitag etwas Geld schicken. Ich habe mir ein Paar Shorts, ein zitronengelbes Sporthemd und Sportstrümpfe gekauft und es bleiben mir noch vierzig Mark. / Ach, Christl, ich muß Dir gleich sagen, daß ich so gemischt gelaunt bin. In der vergangenen Woche wurde nicht viel gearbeitet vor lauter Schauen. Wie die Halbstarken gaffen wir den Ausländern und vor allem den erotischen Weiblichkeiten nach. In ihren Kimonos und indischen Umhängen sahen sie auch ganz neu für unsere Augen aus. Aber es ist weit über die Hälfte ein grausiges Globetrotter-Publikum mit Baskenmützen, Windblusen, vergerbten Gesichtern und sehnigen dünnen Beinen. Die Engländer und Franzosen kommen mit alten, hochrädrigen Opeln. Ich habe mir das jetzt eine Weile angesehen und vorerst ein bissel genug davon. / Über das Passionsspiel habe ich gestern im Radio einen Bericht gehört, in welchem die alte Frau Lang (85 Jahre) erzählte, wie das früher war. Da kamen die Besucher in Fußmärschen so als Wallfahrer bis von der Donau und sahen sich als Abschluß ihres Bußganges den Leidensweg Christi an. Ich glaube, in diese Zeiten gehörte das Spiel. 1950 war der Reisebetrieb für unsere Geldbeute auch noch beschränkt auf das Inland und selbst die Intelligenz schaute sich das Schauspiel an. Also heute bietet das Theater im Barock-Rokoko-Gewand dem Intellekt nicht mehr den richtigen Anreiz und die Prominenz läßt sich ja irgendwie von der geistig gebildeten Schicht führen. Ich vermute halt, daß diese Leute ihren Urlaub in anderen Gefilden verbringt. Übrigens hat der junge Wagner in Bayreuth seinen ererbten Opern auch ein neues Gewand geben müssen. Und das bei einer Wagnermusik, die doch wirklich genial ist. / So wundere ich mich halt nicht, wenn das Publikum hier zwar noch in Massen kommt, aber weder aus dem Wunsche, in Gläubigkeit zu schauen, noch dem scharfen Geiste neue Auseinandersetzungen zu bieten. Dieses Mitteldrin ist mir sowieso unsympathisch. Aber vielleicht ist das verregnete Wetter heute der Grund, daß ich mit der Umwelt so unzufrieden bin. Übrigens werden die Spieler in ihren leichten Tüchern heute batschnaß und die Stimmorgane bald erkältet.“

Ein wahrer Brief, der nicht in der Schublade verschwand

Oberammergau, 21.9.1960: „Liebe Christl! / Heute Abend wartest Du wieder einmal vergeblich auf mich. Lag es nur am Geld, daß ich nicht gefahren bin? Ich hätte mir ja hundert Mark leihen können. Aber diese Geldsorgen reißen mich ja immer weiter von Dir weg. Schatz, Dein ehrlich ausgesprochener Wunschtraum auf der Wiese vom roten Jaguar zeigt doch so deutlich, wie grundverschieden wir beide sind. Ich bin so engstirnig, daß ich nur glücklich bin, wenn ich meiner Frau auch ihre geheimen Wünsche erfüllen kann. Immer zittere ich, wenn Du mir von Autos erzählst, und was noch schlimmer ist, ich stimme in diesen Gesang mit ein, obwohl er mir so widersteht. Ich weiß, daß ich sowas nicht erreiche; ich will es fast nicht erreichen, ich lebe mit dem alleinigen Gebrauch meiner Beine zufriedener. Christl, sicher mußt Du warten, bis Dein Sohn einmal erwachsen ist, obwohl ich Dir wünsche, daß vorher ein normaler Mann mit einem roten Jaguar Deinen Weg kreuzt. Aber hoffentlich noch in der Zeit, da ich hier bin. Christl, ich zittere wirklich vor der Zeit, in der wir wieder beieinander sind. Ich spüre diese krankhafte Eifersucht so schmerzlich, wenn ein Mann bei uns ist, der Dir diese Träume erfüllen könnte, und möchte dann immer nur eines: alleine sein. / Das Leben in dieser Einfachheit ist für mich so schön. Das Erreichen erfüllbarer kleiner Wünsche, der Gang durch Wiesen, Wälder und Berge und eine gemütliche Wohnung kann ich erreichen, und mit einer Frau, die von Natur aus das gleiche Wollen in sich hat, bin ich halt glücklich. / Christl, ich habe Dir schon zweimal ähnliche Briefe geschrieben, damals nach Deinem Buch von der kleinen Näherin mit dem großen Diplomat-Geliebten und in der Zwischenzeit noch zweimal. Ich habe die Briefe immer wieder in meiner Schublade liegen lassen. Sie liegen noch drin, ich konnte sie nicht wegwerfen, sie waren mir zu wahr. / Christl, ich habe Dich lieb, ich würde Dich gerne glücklich sehen, wenn es mich auch noch so schmerzt. / Ich sende Dir meine herzlichsten Grüße. / Berthold.“

Der Traum vom roten Jaguar erfüllte sich für meine Mutter nach dem Tod meines Vaters in Form eines roten VW Passat Variant mit Klimaanlage. Warum es dieses viel zu geräumige und unsinnig teure Auto sein musste, habe ich damals nicht verstanden. Natürlich wusste auch mein Vater die Annehmlichkeiten eines Autos zu schätzen – und das nicht erst in späteren Jahren. Doch ist in diesem Brief ein quasi naturgegebener Unterschied erkannt und benannt, der wohl wesentlich zu dem sich nach seiner Rückkehr aus Oberammergau über dreißig Jahre hinziehenden Scheitern der Ehe beigetragen hat. Mein Vater konnte mit sehr wenig sehr zufrieden sein. Ob die lebenslange Unzufriedenheit meiner Mutter bei einem Leben in Wohlstand und Luxus ihre Grundlage verloren und sich in nichts aufgelöst hätte? Es würde auf den Versuch ankommen. Aber man lebt eben nur im Kino zweimal.

Alt gegen Neu

Oberammergau, 9.4.62: „Liebe Christl! / Vielen Dank für Deinen Brief. Nein, die Handwerkskammer hat meinen Entwurf noch nicht genehmigt. Eigentlich ist der ganze Verlauf für mich normal mit Pech versehen. Ich hatte in der Schule bei Herrn Huber alles fertig im Entwurf. Die Arbeit war gewissermaßen der Stolz von Herrn Huber. Der Christophorus ein kraftstrotzender Riese, der unter einer kleinen Last zusammenzubrechen droht. Die ganze Arbeit in die Grundlinie eines Eichenstammes gehalten begeistert mich selbst bis ins Letzte. Die Arbeit wurde von uns fotografiert und an die Handwerkskammer eingesendet. Aber der zuständige Prüfungsausschuß besteht aus Meistern vom alten ’schönen‘ Schlag. Die waren mit dieser ‚modernen‘ Art nicht einverstanden und lehnten sie ab. Herr Huber hat sofort zurückgeschrieben, aber die Herren schwiegen sich aus. Zu allem Übel kam noch dazu, daß mir das Geld fehlt, um selbst in München bei allen zuständigen Meistern vorzusprechen. Ich bin halt wieder in die Werkstatt zurück, um wieder normal Geld zu verdienen. Aber ich habe schon so viel Schulden auch mit dem Stammholz, daß ich wieder für eine Weile zu zappeln habe. Ich muß die Prüfung um ein Jahr verschieben. Es geht diesmal noch nicht. Natürlich bin ich dementsprechend in moralischer Verfassung. Ich möchte jetzt wenigstens von meinen Geldschulden loskommen. Zum Glück habe ich wenigstens eine gut bezahlte Arbeit. Christl, ich sage Dir halt diesmal wieder meine herzlichen Grüße, auch an die Kinder. / Dein Berthold!“

Der Samstagsfilm

Oberammergau, 17.1.1959, an Ch. Rumold: „Heute Abend war ich mal wieder in meinem Samstagsfilm: ‚Mädchen in Uniform‚. Ich habe ihn skeptisch betrachtet und kam über ein Beobachten der einzelnen Rollen nicht hinaus. Am schönsten war eine Voranzeige ‚Feuerwerk‚. Ach, wie gerne würde ich ihn nochmals mit Dir sehen. Wie die beiden jungen Menschen im Treibhaus standen und der junge Gärtner das Lied sang: ‚Zum ersten Mal verliebt, ja daß es so was gibt, die Nacht ist wie ein Traum …‘ Da gefiel mir die Romy sehr gut. Aber die Lieder von Lilly Palmer standen ihr nicht nach. Ganz anders der Hauptfilm. Na, vielleicht unterhalten wir uns einmal darüber. Es ist ja nicht so wichtig.“

Schifahren

Oberammergau, 11.1.1959, an Ch. Rumold: „Am Samstagmittag gab Karl keine Ruhe und nahm mich mit auf das Schigelände. Ach, es ist mir übel ergangen und ich schimpfte im Stillen über mich, weil ich nicht alleine irgendwohin an einen ruhigen Platz gezogen bin und alleine in Ruhe übte. Auf der Schiabfahrt war trotz des stürmischen Windes und Schneetreibens alles voll Menschen, die normal fahren konnten und ich Anfänger purzelte von einem Sturz in den andern. Ich wurde zwei Stunden lang belacht und bin doch so empfindlich vor dem Verlachtwerden. Karl zeigte mir als: so mußt du’s machen und so und schwingen und stemmen. Aber es gelang halt nicht. / Nun, heute am Sonntag bin ich in der Frühe aufgestiegen, habe meine Bretter geschnappt und mir einen schönen Hügel gesucht. Nicht zu hoch und nicht zu nieder. Die Bahn habe ich mir selbst getreten und siehe, schon bei der ersten Abfahrt gelang mir das links und rechts Kurven recht gut. Es machte mir bald so Spaß, daß ich mir immer wieder sagen mußte, es wäre jetzt schön, wenn Du und Lothar auch dabei wärst und wir gemeinsam die Freude hätten. Zwei Stunden übte ich so eifrig, dann kamen aber immer mehr „Kanonen“ in die Gegend und ich räumte still und zufrieden das Feld. Morgen will ich es wieder so machen und vielleicht jeden Morgen, solang der Schnee liegt. / Nachher konnte ich noch gemütlich schnitzen und Radio hören, bis ich um halb sechs Uhr ins Kino ging. Ja und nachher werde ich noch an einem Kruzifix die Arme leimen und ins Bett gehen.“