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Das allmähliches Verstummen des Berthold Rumold

Was brachte meinen Vater zum Verstummen? In seinen Briefen aus Oberammergau zeigte er sich vielseitig interessiert. Er äußerte seine Meinung über die neuesten Kino-Filme, über alte und neue Kunst, über die Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintermode. Sogar zu klassischen Musikstücken fiel ihm etwas ein. Er fuhr Ski und unternahm ausgedehnte, teilweise waghalsige Bergtouren, kannte sich aus mit den Pflanzen der Region. Er studierte Kunstgeschichte, lernte Englisch und (ich glaubte es kaum) Latein. Mit seiner Rückkehr nach Karlsruhe muss eine Wandlung begonnen haben, die ihn immer tiefer in eine Zone des Schweigens hineinführte, aus der es zuletzt kein Zurück ins Leben, in die sprachliche Auseinandersetzung mit der näheren und weiteren Umgebung mehr gab. Einer meiner Freunde aus Kindertagen fand das im Rückblick geradezu löblich, gut sei das gewesen, dass mein Vater notorisch zu allem den Mund gehalten habe. Ich konnte und kann dem nicht zustimmen. Beinahe kommt es mir so vor, als wäre mein Vater mit zweiundsechzig Jahren daran gestorben, dass die nicht geäußerten Wünsche, die nicht vertretenen Standpunkte und die nicht mitgeteilten Beobachtungen, Meinungen, Ansichten und Einsichten ihm schließlich die Luft zum Atmen nahmen. Eine Lungenembolie wurde als Todesursache festgestellt. Der Hausarzt, dem der Befund der Klinik zugesandt worden war, sprach dagegen von einem Rätsel.

Dreiundzwanzigster Todestag

Heute jährt sich der Todestag meines Vaters zum 23sten Mal, damals war es ein Samstag. Am Nachmittag des 22.2.1992 rief mich meine Mutter aus dem Städtischen Klinikum Karlsruhe an und sagte mir, was geschehen war. Eine Lungenembolie hatte seinem Leben völlig überraschend ein abruptes Ende gesetzt.

L. Rumold: Holzgrabmal für B. Rumold

Lothar Rumold: Holzgrabmal für Berthold Rumold (Detail)