Schlagwort-Archive: 1962

Das neue Lied ist das alte Lied

„Oberammergau, 2.4.62 / Liebe Christl! / Vielen Dank für Deinen lieben Brief. Es geht mir gesundheitlich soweit gut. Leider das andere macht mir Sorgen. Die Handwerkskammer hat noch immer keinen Bescheid, ob sie das Meisterstück jetzt doch genehmigt. Seit heute bin ich wieder ganz in der Werkstatt. Ich brauche überhaupt Geld. Das ist alles an Neuem. / Ich sende Dir herzliche Grüße, ebenso den Kindern / Dein Berthold!“

Solche und solche Mühen oder In der Wand und an der Wand

In den Ammergauer Bergen.

In den Ammergauer Bergen.

Was passierte, als die beglückenden Mühen der Berge hinter ihm und die Mühen des Erwerbs- und Familienlebens in der Rheinebene bei Karlsruhe vor ihm lagen und auf ihm lasteten? Es muss mehr als nur ernüchternd gewesen sein, als mein Vater erlebte, was das jahrelang herbeigesehnte ständige Zusammensein mit Frau und Kindern im Alltag bedeutete. Hat er vor sich selbst zugegeben, dass sein vermeintliches Oberammergauer Unglück sein Glück gewesen ist, und dass er, endlich wieder oder erstmals glücklich vereint mit den Seinen, unglücklicher nicht sein konnte? Hinzu kam, dass seine neue alte Werkstatt in Karlsruhe nach 1962 zunächst keineswegs gut lief. Dass in Oberammergau die Nachfrage nach Schnitz- und Bildhauereiwaren kaum befriedigt werden konnte, muss ihn zu dem vermeidbaren Trugschluss verleitet haben, dass dies in Karlsruhe ebenso oder doch so ähnlich auch der Fall sein würde. Die Karlsruher aber brauchten alles mögliche, nur keine geschnitzten Kruzifixe an der Wand.

Alt gegen Neu

Oberammergau, 9.4.62: „Liebe Christl! / Vielen Dank für Deinen Brief. Nein, die Handwerkskammer hat meinen Entwurf noch nicht genehmigt. Eigentlich ist der ganze Verlauf für mich normal mit Pech versehen. Ich hatte in der Schule bei Herrn Huber alles fertig im Entwurf. Die Arbeit war gewissermaßen der Stolz von Herrn Huber. Der Christophorus ein kraftstrotzender Riese, der unter einer kleinen Last zusammenzubrechen droht. Die ganze Arbeit in die Grundlinie eines Eichenstammes gehalten begeistert mich selbst bis ins Letzte. Die Arbeit wurde von uns fotografiert und an die Handwerkskammer eingesendet. Aber der zuständige Prüfungsausschuß besteht aus Meistern vom alten ’schönen‘ Schlag. Die waren mit dieser ‚modernen‘ Art nicht einverstanden und lehnten sie ab. Herr Huber hat sofort zurückgeschrieben, aber die Herren schwiegen sich aus. Zu allem Übel kam noch dazu, daß mir das Geld fehlt, um selbst in München bei allen zuständigen Meistern vorzusprechen. Ich bin halt wieder in die Werkstatt zurück, um wieder normal Geld zu verdienen. Aber ich habe schon so viel Schulden auch mit dem Stammholz, daß ich wieder für eine Weile zu zappeln habe. Ich muß die Prüfung um ein Jahr verschieben. Es geht diesmal noch nicht. Natürlich bin ich dementsprechend in moralischer Verfassung. Ich möchte jetzt wenigstens von meinen Geldschulden loskommen. Zum Glück habe ich wenigstens eine gut bezahlte Arbeit. Christl, ich sage Dir halt diesmal wieder meine herzlichen Grüße, auch an die Kinder. / Dein Berthold!“

Die Werkstatt von Karl Kinsler

Ein Blick in die Werkstatt von Karl Kinsler, zehn Jahre nachdem mein Vater Berthold Rumold diese nach Ablegung der Gesellenprüfung im Holzbildhauerhandwerk (Mai 1952) wieder verlassen hatte.

Werkstatt von Karl Kinsler, Karlsruhe, Karlstr. 7, Aufnahme: Karl Schlesiger, 19. 1962

Werkstatt von Karl Kinsler (K. K. im Vordergrund), Karlsruhe, Karlstr. 7, Aufnahme: Horst Schlesiger (am 19.4.1962), Bildrechte: Stadtarchiv Karlsruhe.

Purzelbäume zwischen Publikumsgeschmack und Lehrmeinung

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau am 16.1.1962 „Im Geschäft bereiten wir uns wieder auf die Frankfurter Frühjahrsmesse vor. Dafür habe ich wieder viel Arbeit und Herr Lang spricht gerne mit mir über neue Formen in der modernen Art. Leider kann ich wirklich nicht aus eigenen Ideen allein Neues schaffen, aber wir suchen gemeinsam nach einigen guten Formen und sind uns dabei ziemlich einig. Anders sah es in der Schule aus. Herr Huber will ganz andere Formen. Eine entschieden geschlossene Bildhauerarbeit. Streng in den Gesetzen eines Baumes und gewonnenen Kunstgesetzen. Aber da setzt es bei mir genauso aus. Obwohl, das Letztere ist mir lieber, aber ohne Lehrergehalt und ohne Genius muß ich mich halt doch nach dem Kitschgeschmack beugen. […] Christl, so geht es halt purzelbaumschlagenderweise weiter.“

Vor der Rückkehr nach Karlsruhe

Im September 1962 laufen die Vorbereitungen der Rückkehr meines Vaters nach Karlsruhe auf Hochtouren, „bei mir ist halt tatsächlich ein Wirbel, daß ich alles richtig vorbereite“, schreibt er in einem Brief am 10.9.1962. Der Christopherus-Brunnen, der als Meisterstück geplant war, soll nun als Blickfang (nicht nur Christus-, sondern auch Werbeträger) vor seiner neuen alten Werkstatt in Karlsruhe aufgestellt werden. Doch zuvor muss der Stamm fertig werden: „Am Vormittag war ich in der Schule. Herr Huber hat sich Zeit genommen und hilft mir an dem Christopherus. Da bin ich natürlich mal wieder im siebten Himmel, wenn der Mann bei mir ist. Die Figur wird wunderbar. Jetzt muß ich für mein Geschäft nur noch sehen, daß mir ein anderer Bildhauer zwei Kreuze [gemeint sind Grab-Kreuze] auf Kommission gibt, dann habe ich fürs erste das wichtigste beieinander.“ Auch von den Oberammergauer Bergen muss nun Abschied genommen werden: „Diesen Sonntag war ich auf einem unserer Berge. Mit der Zugspitz‘ wird es nichts in der Werkstatt. Es gibt einen bayerischen Spruch: der Bayer kennt die Kirche von außen das Wirtshaus von innen und die Berge von unten.“

„Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen“

Blick auf Oberammergau

Blick auf Oberammergau

Auf der Rückseite dieser Karte vom 12.2.1962 (aus Oberammergau) heißt es: „Liebe Christl! Es ist schwer zu sagen wie es mir geht. Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen.“

Was das im Einzelnen hieß, stand schon in einem Brief vom 5.2.1962: „Bei mir ist zwar viel viel Arbeit aber fast alles in der Schule. Samstags ist ja in Garmisch der direkte Vorbereitungskurs, da brauche ich gerade den Sonntag um zum notwendigsten Geld für mich zu kommen. Zum Glück geht es mit den Entwürfen für die [Frankfurter] Messe am 1. März noch einigermaßen gut, aber alles im Geschäft drängt und unser angestellter Meister mit seinen konservativen Arbeiten schläft auch nicht und hat dazu alle Zeit. Na hoffentlich schlägt mein Zeugs gut ein. Ich könnte es brauchen. Was mir selbst am meisten bei dem modernen Stil gefällt ist die Ehrlichkeit gegen das gewachsene Stück Holz und das nur eingehen auf die Grundhaltung einer dargestellten Plastik. […] In Garmisch ist der Kurs sehr interessant. Die Lehrer sind noch sehr jung aber […] sehr intelligent. Die Meisterprüfung findet am 4. Mai in München statt. Hoffentlich komm ich durch.“

An Berthold Rumold, Oberammergau, Kleppergasse 10

lr_an_br_1962a

Brief an den Vater 1962

In der Zeit als mein Vater in Oberammergau lebte, verbrachten meine (damals Kleine) Schwester und ich mit der Oma jeden Sommer ein paar Wochen bei den Verwandten in Wälde in der Nähe von Freudenstadt. Dort gehörte es zu unseren festen Gewohnheiten, von der Brücke des Baches aus „Briefe an den Papa“ ins Wasser zu werfen. Dass der Heimbach in die Glatt, die Glatt in den Neckar, der Neckar in den Rhein und dieser in die Nordsee mündete und zuvor keiner der Bäche und Flüsse an Oberammergau vorbei floss, wussten wir nicht. Allenfalls ahnten wir es, aber dessen ungeachtet war es uns durchaus ernst mit unserem Dem-Vater-einen-Brief-schicken-Spiel. Der oben abgebildete Brief muss allerdings von einem anderen Ort aus und auf anderem Wege nach Oberammergau (und wieder zurück) gelangt sein.

„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“

Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“

Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“

hirsche1

B. Rumold: Kämpfende Hirsche, Eiche, 30 x 13 x 21 cm (1962)