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Das Radio ein- oder abschalten mit ihr

Oberammergau, 21.9.1959, an Ch. Rumold: „Ach, Christl, ich bin so nervös seit ich weiß, daß wir eine eigene Wohnung haben und ich hier sitze. Ich habe dir gestern zwar zwei Briefe geschrieben. Der erste war zu traurig und über dem zweiten bin ich eingschlafen. Ich wäre so gerne bei dir in der Wohnung und hätte gerne einmal einen richtigen Feierabend, so eine liebe Bummelei auf der Couch und höchstens das Radio ein- oder abschalten mit dir. Ach, Christl, ich habe dich so lieb und möchte es dir so gerne schön machen und bin auch so furchtbar eifersüchtig. Christl, in der letzten Zeit geht mir immer drängender meine Vorbereitung zur Meisterprüfung durch den Kopf. Wenn ich mit der Prüfung eine Lehrerstelle erreichen könnte, möchte ich die Konjunktur im Passionsjahr ausnutzen und mich auf der Schnitzschule richtig ausbilden lassen und nach Feierabend leicht verkäufliche gut bezahlte Modelle schnitzen. Sollte mir die Prüfung allerdings keine Tore zur Schule öffnen, dann bleibe ich vorläufig in der Firma. Schatz, bitte schreibe das Beiblatt mit der Schreibmaschine. Ich will doch einmal Gewißheit haben. In der Arbeit geht es jetzt gut. Meine modernen Formen finden bei den Filialleitern freudige Abnahme und der Chef drängt auf neue Sachen. Aber ich suche jetzt lieber den besten Weg für mich.“

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Ansichtskarte vom 28.9.1959: „Christl, mein Schatz! Vielen Dank für deinen lieben Brief. Ich hatte zwar eine gutbezahlte Woche, bekomme aber erst diesen Freitag das ganze Geld. Schatz, es geht mir so durchwachsen. Sei mit den Kindern auf das Liebste gegrüßt und geküßt, dein Berthold.“

 

Ein Gesplitter von Grau, Schwarz, Rot und Grün – und eine unvergessliche Bergtour

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„Christl, das Kleid hat mir gefallen, könnte das schön sein? Meine großformigen Modelle haben auf der [Frankfurter] Messe doch großen Anklang gefunden.“

Oberammergau, 8.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Vielen herzlichen Dank für deinen lieben Brief. Ach Schatz, wenn ich ein Bild malen müßte von der augenblicklichen Zeit hier, gäbe es ein Gesplitter von Grau, Schwarz, Rot und viel, viel Grün. Ich habe in der Schnitzschule angefangen Zeichen- und Modellierkurse zu nehmen als Vorarbeit für die Meisterprüfung und sah, daß ich noch viel lernen muß. Und bin eifrig beim Lernen. Und bin doch mit einem Male so müde, so unendlich müde vom Alleinsein. Wenn mich mein Chef vorige Woche nicht zurück gehalten hätte, wäre ich nach Hause zu dir gefahren und hätte bei Kinsler Arbeit gesucht. Aber von geschäftlicher Schau aus wäre es wirklich nicht richtig, jetzt aufzugeben, wo es um die entscheidende Strecke bis zur Meisterprüfung geht. Sicher ist es im Augenblick eine heftige Krise und in vierzehn Tagen geht es wieder besser weiter. […] Vor drei Wochen hatte ich ja ein sehr schönes Wochenende. Es war ein so schönes Wetter am Samstag, daß ich mich kurz vor Mittag entschloß, alles zusammen zu packen und auf die Zugspitze zu steigen. Den Karl fragte ich anstandshalber, ob er mit komme, aber es war mir recht, alleine zu gehen. Alleine laufe ich nämlich so, wie es mir gefällt, mal schnell, mal langsam und auf der Zugspitze ist man bei schönem Wetter nicht alleine. So kam es auch, daß ich am Abend in der vollgepfropften Zugspitzhütte saß unter mehr oder weniger guten Bergsteigern, die mich auch bald einluden, einen wunderschönen, aber schwierigen Grat zu begehen. Sie hatten Seile dabei, es konnte da nicht allzuviel passieren. Ach, es war schön unter diesen Leuten zu sein. Es waren Studenten und Ingenieure aus Augsburg. Die Nacht auf der Hütte vergesse ich so schnell nicht. Wir schliefen auf und unter den Tischen und Bänken und mit wehen Gliedern und ein bissel Angst zogen wir schon vor Tage los. Zwölf Stunden lang waren wir zu siebt ein Herz und eine Seele. Wir lachten, schimpften und fürchteten uns miteinander und waren doch glücklich. Wäre jemand aus der Werkstatt dabei gewesen, ich hätte nicht so frei und froh sein können. Vor acht Tagen wollte ich den Weg mit Karl noch einmal gehen. Zum Glück überfiel uns auf der Zugspitze schlechtes Wetter, daß wir wieder zurück ins Tal mußten. Es ist nämlich ein blödsinniger Rivalenkampf unter Werkstattkameraden, den ich gar nicht mag.“

Ein freudscher Verschreiber?

Oberammergau, 31.10.1959, an Ch. Rumold: „Es ist jetzt Samstagabend. Mit meiner Arbeit bin ich nicht so weit gekommen wie ich wollte, aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil, es erzeugt eine leichte Spannung, die mir oft am nächsten Tage beim Arbeiten hilft. Wahrscheinlich gehe ich sogar noch ins Kino heute, obwohl das immer so eine Sache ist mit dem ‚Mal was anderes sehen‘. Ist es nämlich ein schlechter Film, sage ich hinterher, daß ich diese Zeit besser mit etwas Nützlichem hätte verbringen können und wäre es das Schlafen im Bette gewesen. Ist es aber ein guter Film, dann paßt es mir noch weniger, weil ich ihn ohne dich sehen mußte. Den Film ‚Und der Rest ist Schweigen‘ habe ich mir angesehen. Er gefiel mit sehr gut. Ganz groß war eine kleine Szene darin. Als der junge Mann seinem Freund, dem Ballettmeister, die Idee seines Ballettes erklärt hatte, ging er doch auf das Mädchen, das im Sessel zuhörte, zu und setzte oder legte oder schmiegte sich an ihre Füße. Diese wenigen Bewegungen waren doch vollkommenster Ausdruckstanz. Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte. Er erweckte in mir immer wieder den Eindruck, daß er selbst sein Handeln gestaltet. Ein Film, den ich acht Tage später sah, zeigte das erst richtig. Er hieß: ‚Besuch aus dem Jenseits‘. Ein grausamer Titel für einen großen Film. Da hatte auch ein junger Mann einen Mord aufzuklären. Er sagte in seiner Rolle nicht einmal etwas von einem Zwang, der ihn trieb, aber er spielte das zwingend heraus.“

Freudianer hätten an diesem Brief ihre ödipale Freude. In dem Satz „Leider konnte mich Hardy Krüger nicht ganz davon überzeugen, daß er unter einer übergroßen Macht den Mord an seinem Vater unbedingt aufklären mußte“ hatte es zunächst „ausführen“ statt „aufklären“ geheißen.

Nichts als Arbeit, Zeichenschule, Kino und Passionsspiele

Oberammergau, 23.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Es ist wieder Freitag geworden. Diese Woche war für mich recht lebhaft. Aber was war’s eigentlich? Arbeit und Zeichenschule und Kino.“

Oberammergau, 26.10.1959, an Ch. Rumold: „Meine liebe Christl! Ich habe mich sehr über deinen Brief gefreut. Ach, ich möchte als naus wo kein Loch ist so nervös macht mich das Alleinesein. […] Ich habe in der Schule das Zeichnen und Modellieren angefangen. Zuerst nur zwei Abendkurse mit unseren Lehrlingen. Das ging halt nicht lange so; ein bissel gelobt wurde ich von meinen Lehrern und schon meine ich, daß ich an zwei Tagen bei ihnen sein muß. Es macht mir aber auch mehr als nur Freude, daß mich die beiden Männer so packten.“

Oberammergau, 17.5.1960 (Postkarte), an Ch. Rumold: „Viele liebste Grüße für dich und unsere Kinder sende ich aus dem hiesigen Durcheinander. Das Geschäft steht mit dem ganzen Dorf auf dem Kopf, daß man nicht mehr weiß, was vorne und hinten ist.  Am Samstag habe ich mir das Passionsspiel angesehen. Es ist in seinem Aufbau der Inszenierung überraschend gut. Und sonst ist es halt nett, meine Kumpels herumhüpfen zu sehen.“

Und dann fuhr er doch erst am 23. Dezember

Oberammergau, [Montag] 14.12.1959: „Christl, Schatz. Ich fahre am Samstag [19.12.] um zwölf Uhr hier weg und denke bis abends bei dir zu sein. Es gäbe ja Gründe, noch einige Tage hier zu bleiben, um zu arbeiten, aber ich möchte nicht in letzter Stunde vor Weihnachten so gehetzt bei dir ankommen und dann will ich halt auch so bald als möglich wieder bei dir und den Kindern sein. Ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich könnte ja am Samstag in der Frühe fahren, aber die Frühzüge sind mir unsympathisch.“

Oberammergau, 18.12.1959: „Ich arbeite und wurschtle und habe in drei Tagen vielleicht dreihundert Mark zusammen geschunden, aber die scheinen mir im Augenblick von so fragwürdigem Wert, so notwendig wir sie auch brauchen. Es tut mir weh, daß ich dich in diesen Hexenkessel meines Lebens hinein gezogen habe – und erst unsere Kinder. Nur zu oft fürchte ich mich davor, mit diesen freudeleeren Händen und enttäuschungsvollen Armen bei euch zu sein. – Das klang jetzt schon ‚geschwollen‘, aber dieses Fürchten ist ein großes Geschwür in mir. Bei Nacht ist es fast immer da und am Tage nicht selten. Ein Handeln in Furcht bringt auch kein Glück. Christl, ich fahre am Mittwoch [23.12.] in der Frühe hier weg und bin mittags in Karlsruhe. Sei mit den Kindern herzlich gegrüßt und geküßt – dein Berthold.“

Die gute böse Frau wird achtzig

Aus einem Brief an Ch. Rumold vom 16.5.1959 aus Oberammergau: „Heute Abend nehme ich meine Wirtin mit ins Kino. Die gute böse Frau wurde dieser Tage achtzig Jahre. Das ganze Dorf hat sie beschenkt und sie ist glücklich, weil doch jeder ihre scharfe Zunge fürchtet und ihr trotzdem eine mehr oder weniger große Geburtstagsfreude gemacht hat. Der Film heißt: Die Zehn Gebote. Es wird ein so theatralisches Gespiele sein wie die Passion.“

Eine Tonskizze des Heiligen Georg

Brief an Ch. Rumold vom 25.4.1959 aus Oberammergau : „Es ist Samstagabend. Es war ein schöner Tag heute. Gestern hatte ich mir eingebildet, heute einen ganzen vierziger Kruzifixus zu schnitzen. Aber weiter als bis zur Krone und zu den Haaren bin ich nicht gekommen, weil meine Kameraden weg mußten ins Gasthaus. Da sollte die Wochenschau kommen, um ihre [wegen der Passionsspiele] bärtigen Gesichter zu fotografieren. Nun, als die Bude leer war, ging ich zuerst einmal zum Frisör und dann holte ich mein Modellierbesteck heraus und die Tonskizze, an der ich schon manchmal unzufrieden einen Skt. Georg entwerfen wollte, ist mir mit einem Male gut gelungen und machte mich auch für den restlichen Tag zufrieden. Am 1. Mai habe ich ja drei Tage Zeit für die Holzausführung.“

Berge, Schnee und Badehose

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Schwarz-Weiß-Foto ca. 6 x 5 cm

Brief aus Oberammergau vom 10.5.1959: „Meine liebe Christl! Es ist Sonntagmittag. Ein ganz sonniger Tag. Ich war schon in der Frühe um ½ 3 Uhr aufgestanden und mit Karl in die Berge gefahren. Wir hatten unsere Schis mitgenommen und wirklich auf dem Gipfel noch das Glück ein großes Schneefeld vorzufinden. Der Aufstieg […] war ja etwas anstrengend, aber es hatte sich gelohnt. Wir rutschten so vergnügt ein paar Stunden im Schnee herum mit Badehose und den Brettern und die Sonne knallte aus einem so tiefblauen Himmel also es war sehr schön. Allerdings schmerzen mich jetzt meine Schultern von dem Brettertragen.“

Kruzifixus Langensteinbach

Berthold Rumold: Kruzifixus an einer Gedenkstätte in Langensteinbach bei Karlsruhe

Oberammergau, 29.5.1959 (an Christel Rumold): „Das mit dem Grünewaldkreuz in Bulach ist mir auch eine so unangenehme Sache. Wenn ich optimistisch gelaunt bin, gefällt es mir ganz gut, wie ich aber etwas objektiv kritisch die Arbeit betrachte, fürchte ich, mich eher zu blamieren damit als etwas dafür zu bekommen und am liebsten wäre es mir, ich hätte es gleich zusammensägen lassen, dann würde es mir nicht im Kopfe herum spuken.“

Oberammergau, 8.7.1959 (an Christel Rumold): „Tante Braun hat mir auch geschrieben wegen der Kreuze. Sie ist ja rührend besorgt um mich. Wenn sie an dem Kruzifix das Dach anbauen läßt, kann sie es meinetwegen in Langensteinbach aufstellen lassen. Wenn er den Leuten dort gefällt, soll es mir recht sein. Hier wäre es mir doch nicht ganz wohl gewesen dazu sind bei uns viel zu gute Fachkräfte.“