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Krongasse 11, Ludwigshafen am Rhein

In der Krongasse 11 in Ludwigshafen am Rhein lebten in den 1950er Jahren Berthold Rumolds Mutter Klara und seine jüngeren Geschwister Hans und Ilse.

In der Krongasse 11 in Ludwigshafen am Rhein wohnten in den 1950er Jahren Berthold Rumolds Mutter Klara und seine jüngeren Geschwister Hans und Ilse. 1953, um ein numerisch markantes Jahr herauszugreifen, war die Mutter Klara 50 Jahre alt, Schwester Ilse war 10 und Bruder Hans 13 Jahre. B. R. selbst war schon 24 und lebte 1953 in Aalen bzw. Lauchheim im östlichen Württemberg.

Das Nicken der Götter

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Lauchheim, 21.7.1953: „Meine liebe Mutti! Meine liebe Christl! Aus dem Gewühl der Arbeit möchte ich euch schnell ein paar liebe Worte senden, die euch sagen sollen, daß selbst ein Brief von zehn Seiten nicht ausreichen würde, um die Freude über eure Liebe, mit der ihr mich umgebt, dankbar auszudrücken. Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen bleibe ich euer Berthold.“

Die Gegend östlich von Stuttgart bis Schwäbisch Gmünd, und darüber hinaus bis zur bayerischen Grenze „links“ von Nördlingen, war mir bis vor fünfzehn Jahren gänzlich unbekannt. Dann stieß ich, Zufall oder nicht, auf die Rumold-Realschule in Rumolds-, heute Rommelshausen, Gemeinde Kernen, und inszenierte dort eine kleine Kunstschau. Damit hatte ich, ohne es zu wissen, den ersten Schritt Richtung Lauchheim getan, wo mein Vater 1953 eine Zeitlang gelebt hat, kurz nachdem er 1952 meine Mutter kennengelernt hatte. Ein paar Jahre später brachte mich ein Holzgrabmal-Auftrag nach Plüdershausen. Da war ich Lauchheim wieder ein gutes Stück näher gekommen. 2007 fuhr ich mit meiner Frau zu einem Konzert ihres Ensembles Con Sprezzatura auf der Lauchheimer Kapfenburg (siehe Ansichtskarte). Noch immer hatte ich keine Ahnung, dass mein Vater hier einmal ansässig gewesen war. Das erfuhr ich erst, als ich nach dem Tod meiner Mutter die Briefe las, die er ihr aus Lauchheim und aus dem nahe gelegenen Aalen geschrieben hatte. In Schechingen, westlich von Aalen, hatte ich ein halbes Jahr zuvor ein bei mir in Auftrag gegebenes Grabmal aufgestellt. Was irritiert: nie zuvor war ich in diese Gegend gekommen und jedesmal führte mich dann der Weg nach oder in Richtung Aalen und Lauchheim, wo der Vater unwahrscheinlicher Weise vor fünfzig Jahren eine Zeitlang gelebt hatte. Die Götter nicken numinos. Aber was wollen sie uns mit ihren Winken bedeuten? Oder winken sie einfach nur so, wie um zu sagen: wir sehen euch, seht ihr uns auch?

Im Relief verewigt: ab 1952 ein Paar

1952 war vermutlich das Jahr, in dem mein Vater und meine damals 17jährige Mutter (das Ch. B. im unten abgebildeten Relief steht für Christel Burst) sich ernsthaft ineinander verliebt haben. Jedenfalls muss am Fastnachtsdienstag 1952 eine wichtige Etappe auf dem Weg zur dauerhaften Zweisamkeit erreicht worden sein – woran sich mein Vater in einem Brief aus Aalen im darauffolgenden Jahr erinnert: „Weißt noch? Heut ist Rosenmontag und morgen Dienstag, Fastnachtsdienstag. Ach könnte ich um zwölf Uhr doch die Zeit ein Jahr zurückdrehen. Gell, die Fastnachtsküchle auf dem Tisch haben uns damals gar nicht besonderes interessiert. Dein Nahesein schaltete das alles aus. Ja und dann hattest du dich sogar noch erkältet auf der kalten Erde an unserem Abhang. Aber es war so schön nach dem langen Winter wieder den lieben Weg zu gehen. Den Kerl, der uns beim Runtergehen im Dorf belästigen wollte, wurden wir ja glücklich los.“ (Brief an Ch. Burst am 16.2.1953 aus Aalen)

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Berthold Rumold: Reliefs (ehemals Türfüllungen an einem Wäscheschrank), je 95 x 41 cm

 

Betrachtungen bei einer Zigarette in Lauchheim 1953

Aus einem Brief an Ch. Burst aus Lauchheim am 1.9.1953: „Langsam ging ich in ein Geschäft kaufte mir eine Zigarette und spazierte einen sogenannten Stationenweg zu einer Wallfahrtskirche vor die Stadt. Ein seltsames Gefühl ist das, wenn man mit der Zigarette in der Hand die Leiden unseres Heilandes von Pilatus aus verfolgt, bis zur Grablegung. Ich bekam das erste Mal vor einem Bild, und sogar noch vor ganz gewöhnlich ja nahezu kitschigen Ausführungen, einen Schauer und ein Miterleben der Leiden unseres Herrn. Als er zum ersten Mal hinfiel, der Augenblick der Kreuznagelung, der für mich immer der schrecklichste Gedanke war, denn mit dem Einschlagen der Nägel in das Fleisch Gottes wurde der Tod des Lebens Wirklichkeit. Es ist für mein Empfinden schlimmer als das grausige Hängen am aufgestellten Kreuze. Endlich wurde er abgenommen und behutsam ins Grab gelegt. – Und ich ging weiter, setzte mich unter einen Lindenbaum und schaute, versonnen meine Zigarette weiterrauchend, auf das Lauchheim.“

(Siehe dazu auch diesen Beitrag: Später Kreuzweg als visueller Schlussakkord.)

Mein Vater hatte 1953 erst eine Zeitlang in Aalen in einer Ziegelei gearbeitet und war dann ins benachbarte Lauchheim gezogen, um dort in einer nicht näher bezeichneten Werkstatt zu arbeiten, obwohl er in der Fabrik besser bezahlt worden wäre. Einer der Gründe für den Wechsel lag wohl in dem von ihm so genannten „Sabbatkampf“ mit den Adventisten, in deren Kreisen er verkehrte. Damals war der Samstag (für Nicht-Adventisten) noch ein beinahe normaler Arbeitstag, doch für die Advent-Gemeinde rührte der Verstoß gegen das Gebot der Sabbat-Ruhe an die Grundlagen ihres Selbstverständnisses. Denn als „Siebenten-Tags-Adventisten“ hatten sie sich gerade das Dringen auf die Beachtung des samstäglichen Arbeitsverbots zu ihrer ureigenen Aufgabe gemacht.

„Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Am 16. Februar 1953 (ein „Rosenmontag“) schreibt er aus Aalen (Brunnenstr. 80) an seine spätere Frau: „Ach Lieb, an Ostern gehen wir unbedingt wieder hinaus und wenn ich in Stuttgart bin, möchte ich Sabbats wieder mit dir dort oben [i. e. auf dem Turmberg in Karlsruhe-Durlach] sein. Weißt, wenn unter uns Karlsruhe so ausgebreitet liegt und ganz hinten rechts müßte der Dom zu Speyer aus der Ebene hervorlugen. Und warm ist es dann wieder. Und abends muß ich nicht nach Bulach [Stadtteil von Karlsruhe]. Ja das wird wahr. Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Mein Vater hatte über seinen Kontakt zur Karlsruher Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Arbeit in einer Aalener Ziegelei bekommen. Dass er seit Mai 1952 den Gesellenbrief im Holzbildhauer-Handwerk besaß, spielte dabei möglicherweise eine Rolle, denn einmal schreibt er: „Morgen gehe ich in die Fabrik und modelliere das Kinderrelief.“ Auch in Aalen bewegte er sich offenbar in den Kreisen der Adventisten, ging am Samstag („Sabbat“) in den Gottesdienst und las christliche Büchlein, so etwa eines von Theophil Spoerri: „Der Herr des Alltags“ (1932): „es ist eine der besten Schriften, die ich als Wegweiser zu Christus gelesen habe und hat mir neue Kraft und Hoffnung gegeben“, schreibt er in einem Brief aus Aalen am 16.5.1953.

Aus dem eingangs zitierten Brief geht hervor, dass meine Eltern im Februar (Fastnacht) 1952 gemeinsam (wahrscheinlich am Turmberg in Karlsruhe-Durlach) unterwegs gewesen sind. Meine Mutter (geboren am 31.12.1934) war da gerade erst siebzehn Jahre alt, die Beziehung (die man damals noch nicht so nannte) muss noch ganz frisch gewesen sein.  „Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir“, schrieb er ihr ein Jahr später. Es gibt dazu eine Parallelstelle in einem Brief vom Juni 1959 aus Oberammergau: „aber dieses Ziehen zur Familie ist ständig da“, heißt es dort. Die Verbindung (ab 1955 die Ehe) meiner Eltern war während der ersten zehn Jahre eine Beziehung mit räumlichem Abstand, das Getrenntleben eher der Normalfall als die Ausnahme. Er lebte und arbeitete mal hier mal da, sie blieb unverrückbar standortgebunden in Karlsruhe – und das bis an ihr Lebensende.