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Die Werkstatt von Karl Kinsler

Ein Blick in die Werkstatt von Karl Kinsler, zehn Jahre nachdem mein Vater Berthold Rumold diese nach Ablegung der Gesellenprüfung im Holzbildhauerhandwerk (Mai 1952) wieder verlassen hatte.

Werkstatt von Karl Kinsler, Karlsruhe, Karlstr. 7, Aufnahme: Karl Schlesiger, 19. 1962

Werkstatt von Karl Kinsler (K. K. im Vordergrund), Karlsruhe, Karlstr. 7, Aufnahme: Horst Schlesiger (am 19.4.1962), Bildrechte: Stadtarchiv Karlsruhe.

Im Relief verewigt: ab 1952 ein Paar

1952 war vermutlich das Jahr, in dem mein Vater und meine damals 17jährige Mutter (das Ch. B. im unten abgebildeten Relief steht für Christel Burst) sich ernsthaft ineinander verliebt haben. Jedenfalls muss am Fastnachtsdienstag 1952 eine wichtige Etappe auf dem Weg zur dauerhaften Zweisamkeit erreicht worden sein – woran sich mein Vater in einem Brief aus Aalen im darauffolgenden Jahr erinnert: „Weißt noch? Heut ist Rosenmontag und morgen Dienstag, Fastnachtsdienstag. Ach könnte ich um zwölf Uhr doch die Zeit ein Jahr zurückdrehen. Gell, die Fastnachtsküchle auf dem Tisch haben uns damals gar nicht besonderes interessiert. Dein Nahesein schaltete das alles aus. Ja und dann hattest du dich sogar noch erkältet auf der kalten Erde an unserem Abhang. Aber es war so schön nach dem langen Winter wieder den lieben Weg zu gehen. Den Kerl, der uns beim Runtergehen im Dorf belästigen wollte, wurden wir ja glücklich los.“ (Brief an Ch. Burst am 16.2.1953 aus Aalen)

tuerfuellungen

Berthold Rumold: Reliefs (ehemals Türfüllungen an einem Wäscheschrank), je 95 x 41 cm

 

„Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Am 16. Februar 1953 (ein „Rosenmontag“) schreibt er aus Aalen (Brunnenstr. 80) an seine spätere Frau: „Ach Lieb, an Ostern gehen wir unbedingt wieder hinaus und wenn ich in Stuttgart bin, möchte ich Sabbats wieder mit dir dort oben [i. e. auf dem Turmberg in Karlsruhe-Durlach] sein. Weißt, wenn unter uns Karlsruhe so ausgebreitet liegt und ganz hinten rechts müßte der Dom zu Speyer aus der Ebene hervorlugen. Und warm ist es dann wieder. Und abends muß ich nicht nach Bulach [Stadtteil von Karlsruhe]. Ja das wird wahr. Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir.“

Mein Vater hatte über seinen Kontakt zur Karlsruher Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Arbeit in einer Aalener Ziegelei bekommen. Dass er seit Mai 1952 den Gesellenbrief im Holzbildhauer-Handwerk besaß, spielte dabei möglicherweise eine Rolle, denn einmal schreibt er: „Morgen gehe ich in die Fabrik und modelliere das Kinderrelief.“ Auch in Aalen bewegte er sich offenbar in den Kreisen der Adventisten, ging am Samstag („Sabbat“) in den Gottesdienst und las christliche Büchlein, so etwa eines von Theophil Spoerri: „Der Herr des Alltags“ (1932): „es ist eine der besten Schriften, die ich als Wegweiser zu Christus gelesen habe und hat mir neue Kraft und Hoffnung gegeben“, schreibt er in einem Brief aus Aalen am 16.5.1953.

Aus dem eingangs zitierten Brief geht hervor, dass meine Eltern im Februar (Fastnacht) 1952 gemeinsam (wahrscheinlich am Turmberg in Karlsruhe-Durlach) unterwegs gewesen sind. Meine Mutter (geboren am 31.12.1934) war da gerade erst siebzehn Jahre alt, die Beziehung (die man damals noch nicht so nannte) muss noch ganz frisch gewesen sein.  „Mich ziehts mit allen Fasern nach Karlsruhe zu dir“, schrieb er ihr ein Jahr später. Es gibt dazu eine Parallelstelle in einem Brief vom Juni 1959 aus Oberammergau: „aber dieses Ziehen zur Familie ist ständig da“, heißt es dort. Die Verbindung (ab 1955 die Ehe) meiner Eltern war während der ersten zehn Jahre eine Beziehung mit räumlichem Abstand, das Getrenntleben eher der Normalfall als die Ausnahme. Er lebte und arbeitete mal hier mal da, sie blieb unverrückbar standortgebunden in Karlsruhe – und das bis an ihr Lebensende.

In seine mystische Heimat vertrieben

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

B. Rumold: Bürstenbinder (um 1950)

Diese Darstellung eines Bürstenbinders (heute im Bürstenbindermuseum Ramberg) ist während der Lehre bei Karl Kinsler (Karlstr. 7, Karlsruhe – die Werkstatt existiert nicht mehr) entstanden.

Der von Karl Kinsler unterzeichnete Lehrbrief datiert vom 27. Mai 1952, der Gesellenbrief der Handwerkskammer vom 31. Mai 1952. Als mein Vater danach am Karlsruher Hauptfriedhof eine eigene Werkstatt eröffnete, verbot man ihm deren Betrieb, da die kurze Zeit der unter alliierter Besatzung geltenden allgemeinen Gewerbefreiheit mittlerweile vorüber war, so dass jeder Handwerker, der ohne Meisterprüfung selbständig arbeitete, als Schwarzarbeiter galt. Noch 2007 stand in einem deutschen Wirtschaftsmagazin der Satz: „Nirgendwo wird es Handwerkern so schwer gemacht, selbstständig zu arbeiten, wie in Deutschland.“ („Das Kartell“ in: brand eins. Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 06/2007)

Für meinen Vater bedeutete diese Einschränkung seiner persönlichen Gewerbefreiheit allerdings ein unvorhergesehenes, schicksalhaftes Glück im (eigentlich vorhersehbaren) Unglück, war sie doch der Grund für seine Entscheidung, nach Oberammergau zu gehen, um an der dortigen Berufsfachschule den Meistertitel zu erwerben. Denn die Oberammergauer Zeit war, das hat er mir gegenüber einmal geäußert, die glücklichste Zeit seines Lebens. Nicht die Berge an sich, sondern eben gerade die Oberammergauer Berge habe er als heimatlich in einem geradezu mystischen Sinn erlebt.