Ich möchte einen Kreis anlegen und in seine Mitte Christus stellen

Brief an Ch. Rumold, Oberammergau, 30.4.1960: „In der Arbeit geht es zur Zeit sehr gut. Meine modernen Entwürfe machen sich immer mehr bezahlt, denn die einfachen Formen sind schnell zu schnitzen und gehen jetzt so gut los, daß der Künstlerspleen in mir schon beinahe beleidigt ist, weil der sich vor dem Beifall der Masse fürchtet. Aber wenn ich, wie es mir am Freitag gelang, in acht Stunden neunzig Mark verdienen kann, ist mir doch wohler als das Hungerkünstlerleben. Die übliche Schwarzarbeit mit Grünewalds ist mir schon nicht mehr rentabel, weil ich dabei viel zu sorgfältig bin und viel Zeit verliere. Wenn nur die Steuern nicht so hoch wären, geht es nämlich über die Hundert-Grenze, dann zahle ich Abgaben, daß mir’s graust. Gestern bekam ich auch endlich mein modernes Relief fertig. Die Hochzeit am vergangenen Wochenende ließ mich doch nicht zur Arbeit kommen und unter der Woche hatte ich keine rechte Lust und genug andere Arbeit zu erledigen. Ich bin aber zufrieden wie es jetzt geworden ist. Es wurde eine schöne klare Darstellung des Gespräches auf Golgatha zwischen Jesus und seiner Mutter mit dem hilflosen Johannes, der still dabei steht und alles nicht begreifen kann. Für die Modellierstunden am Dienstag habe ich einen neuen Gedanken von einem Abendmahl. Ich möchte einen Kreis anlegen und in seine Mitte Christus stellen mit Johannes in seinem Schoße. Im oberen Kreisbogen verteile ich die zehn Jünger hinter Christus und unten steht allein Judas, dem der Kelch gereicht wird. Es ist für mich das große Problem des Ausgestoßenwerdens. Judas muß gegen die zehn Jünger soviel Spannung ausstrahlen, daß er diese aufwiegt. – In München ist doch noch immer die Gauguin-Ausstellung. Zu gerne möchte ich mir diese anschauen, denn die Eindrücke, die so ein Genie auf mich macht, sind mir wichtig.“