Die Drolshagener Option

Drolshagen im Sauerland, Foto: Bubo (Wikimedia)

Drolshagen im Sauerland, Foto: Bubo (Wikimedia)

Oberammergau, 21.5.1958: „Liebe Christl! / Die Handwerkskammer München hat geantwortet, daß sie für eine Werkstätte wie Firma Goebel nur ein Jahr genehmigen kann, dagegen wird eine Schnitzschulzeit immer voll angerechnet. Jetzt schreibe ich doch einmal an Goebels, ob sie überhaupt zusagen, wenn ja, dann wird sich sicher nach den anderthalb Jahren ein Weg finden lassen. Außerdem ist nach 1½ Jahren das Passionsjahr, da kann ich sicher sofort für Oberammergau arbeiten, falls sich nichts machen läßt. / Zu dumm, daß die Schreibmaschine noch nicht da ist. Ich warte noch bis Sonntag, dann schreibe ich halt so. Oder ich lege den „Aufsatz“ bei. Schatz, könntest Du versuchen, in Eurem Geschäft den Brief abzutippen? Wenn Du ein paar bessere Satzstellungen finden würdest oder mehr oder weniger sagen wolltest, kannst Du ruhig korrigieren. / Christl, Lieb, sei tausendmal gegrüßt von / Deinem Berthold. / Hier ist es mir zu gefährlich, den Brief von irgend jemandem schreiben zu lassen.“

Brief an Frau Goebel: „Sehr geehrte Frau Goebel! / Für Ihren Besuch bei mir sage ich Ihnen zuerst einmal vielen Dank. Hoffentlich sind Sie trotz des lebhaften Straßenverkehrs wieder gut zu Hause angekommen. / Für mich kam ja die Begegnung mit Ihnen etwas überraschend, nahezu verwirrend, denn so belanglos wie sich unser Geschäftsverhältnis auch anhört wissen Sie doch selbst, ist es nicht. Nämlich das Modellschnitzen für die Druckformen Ihrer Firma. / Werte Frau Goebel, geben Sie mir eine Chance. Lassen Sie mich in Ihre Firma eintreten, weil diese Halbheit: in einer Holzbildhauerwerkstatt angestellt sein und für die Konkurrenz zu schnitzen, nicht meiner Wesensart entspricht. / Wie weit meine Fähigkeiten sind, das Niveau Ihrer Werkstätte zu erhalten, mögen Sie selbst beurteilen, wenn ich Ihnen zwei Arbeiten schicke. Ich möchte Ihnen allerdings gleich sagen, daß ich mit meinen bisher erreichten Fähigkeiten noch lange nicht zufrieden bin und ständig an mir arbeite, diese zu verbessern. Leider fehlt uns Schnitzern hier in Oberammergau ein Grundfaktor, nämlich die Zeit. Deshalb brauche ich eine Voraussetzung, wenn Sie mich einstellen sollten. Ich möchte mindestens ein halbes Jahr nach Garmisch-Partenkirchen in die Schnitzerschule zu unseren besten Lehrern. Dort laufen alle entscheidenden Fäden der Holzbildhauerkultur zusammen. Es wird dort im Gegensatz zur hiesigen Schule konservativ, sauber und künstlerisch wertvoll gelehrt und dabei böte sich für mich die Möglichkeit, ruhig unter sicherer Anleitung alles noch Fehlende für meinen Beruf in mich aufzunehmen. / Die Schulgebühren fallen weg, weil alles Dortgeschnitzte Eigentum der Schule wird. Aber es bietet sich doch in der Freizeit die Gelegenheit zum Schnitzen für den eigenen Bedarf. Dieser „Eigenbedarf“ ginge dann an Ihre Firma weiter. Selbstverständlich würde ich Ihnen laufend Entwürfe der besten Arbeiten in Form von Zeichnungen senden und Sie könnten das jeweils Gewünschte in Auftrag geben. Da ich allerdings in den ersten zwei Monaten mich in der Schule ruhig verhalten möchte, um nicht gleich als Schwarzarbeiter verschrieen zu werden und außerdem erst einmal die Augen offenhalten will, wird meine Verbindung mit Ihnen während der Anfangszeit sicherlich nur in Form von Berichten über meine Tätigkeit und Beobachtung guter Anregungen bestehen. / Jetzt möchte ich nicht zuletzt erwähnen, daß ich eine Familie habe, mit der ich mittlerweile leben will. Sie wissen sicher selbst, daß ein Betrag von dreihundert Mark im Monat für einen Haushalt nicht zu viel ist. Ich denke bei diesem Betrag vor allem an die Zeit während des Schulbesuches. Später müßten, wenn ich mich ganz auf Sie konzentrieren kann, schon fünfhundert DM als Monatseinkommen herausgearbeitet werden. / Aber bis dahin ließen wir erst einmal die Probezeit innerhalb der ersten vier Monate verstreichen, dann können Sie ja selbst urteilen, ob meine Arbeitskraft rentabel ist. / Sehr geehrte Frau Goebel, ich sage Ihnen offen: ich arbeite gerne für Sie und ließe meine eigenen Pläne, deren Ausführung mir auch einen guten Lebensstandard erlauben, fallen. Ich denke doch, daß Ihre Firma einflußreich genug ist, eine gute Bildhauerkunst in den Geschäften zu verbreiten. Und somit einem Modellschnitzer zumindest zwei Jahre Beschäftigung zu bringen. / Bitte schreiben Sie mir Ihren Entscheid. Es gibt für mich nur eine der beiden Möglichkeiten. Entweder ganz für Sie oder ohne Sie, und sie bekommen gleich Ihre Vorausbezahlung zurück. / Sagt Ihnen mein Vorschlag zu, dann schicke ich zunächst einmal die beiden Probearbeiten, fallen auch diese zu Ihrer Zufriedenheit aus, würde ich gerne persönlich nach Drolshagen kommen, mich mit Ihnen nochmals aussprechen und dann meine Probezeit beginnen. / Sehr geehrte Frau Goebel, ich sehe voll Hoffnung Ihrer Antwort entgegen und grüße Sie / mit vorzüglicher Hochachtung / B. R.“

Die Verhandlungen zwischen meinem Vater und der offenbar recht resoluten Frau Goebel (s. u.) führten zu keinem Ergebnis. In einem Brief vom 15.6.1958 (also etwa vier Wochen später) ist von einer grotesken Bedingung die Rede. In der Tat wollte Frau Goebel meinen Vater nur unter der Voraussetzung, dass er ihre Tochter heiratete, bei sich beschäftigen.

Im Internet erhält man unter www.krippenkabinett.de/lexikon.html über die offenbar bis 1965 dort ansässige Firma Goebel diese Auskunft: „Emil Goebel in Drolshagen war Betreiber einer Devotionalienfabrik, die dafür bekannt ist, dass ein hoher Anteil der Figurenproduktion aus Ton und nicht aus Gips erfolgte. Das Material Ton erschien unter diesem Namen, ähnlich wie auch der Gips, nie in den Anzeigen der Fabrikanten, sondern firmierte unter der Bezeichnung ‚Terracotta‘. Emil Goebel war für verschiedene Hersteller von Krippenfiguren tätig gewesen, bevor er Mitte der 1930er Jahre seinen eigenen Betrieb in Düsseldorf gründete. Nachdem es seine Angehörigen in den Kriegswirren nach Drolshagen im Sauerland verschlagen hatte, verlegte er den Betrieb nach dem Krieg ebenfalls dort hin. Nach Emil Goebels Tod führte seine Witwe die Geschäfte noch bis 1965 weiter. Als der Inhaber einer Figurengießerei in Kevelaer Anfang der 1970er Jahre die Witwe Emil Goebels bezüglich der Übernahme von Modellen kontaktierte, drohte diese ihm, die Modelle lieber zu zerschlagen, bevor sie ihm diese über- und damit zuließe, dass ‚ein anderer unsere Modelle herstellt‘.“ Man bemerke die hübsche Ellipse: „über- und damit zuließe“!