Archiv für den Monat: Februar 2015

„Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen“

Blick auf Oberammergau

Blick auf Oberammergau

Auf der Rückseite dieser Karte vom 12.2.1962 (aus Oberammergau) heißt es: „Liebe Christl! Es ist schwer zu sagen wie es mir geht. Die Meisterprüfung wirft mich nach allen Richtungen.“

Was das im Einzelnen hieß, stand schon in einem Brief vom 5.2.1962: „Bei mir ist zwar viel viel Arbeit aber fast alles in der Schule. Samstags ist ja in Garmisch der direkte Vorbereitungskurs, da brauche ich gerade den Sonntag um zum notwendigsten Geld für mich zu kommen. Zum Glück geht es mit den Entwürfen für die [Frankfurter] Messe am 1. März noch einigermaßen gut, aber alles im Geschäft drängt und unser angestellter Meister mit seinen konservativen Arbeiten schläft auch nicht und hat dazu alle Zeit. Na hoffentlich schlägt mein Zeugs gut ein. Ich könnte es brauchen. Was mir selbst am meisten bei dem modernen Stil gefällt ist die Ehrlichkeit gegen das gewachsene Stück Holz und das nur eingehen auf die Grundhaltung einer dargestellten Plastik. […] In Garmisch ist der Kurs sehr interessant. Die Lehrer sind noch sehr jung aber […] sehr intelligent. Die Meisterprüfung findet am 4. Mai in München statt. Hoffentlich komm ich durch.“

An Berthold Rumold, Oberammergau, Kleppergasse 10

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Brief an den Vater 1962

In der Zeit als mein Vater in Oberammergau lebte, verbrachten meine (damals Kleine) Schwester und ich mit der Oma jeden Sommer ein paar Wochen bei den Verwandten in Wälde in der Nähe von Freudenstadt. Dort gehörte es zu unseren festen Gewohnheiten, von der Brücke des Baches aus „Briefe an den Papa“ ins Wasser zu werfen. Dass der Heimbach in die Glatt, die Glatt in den Neckar, der Neckar in den Rhein und dieser in die Nordsee mündete und zuvor keiner der Bäche und Flüsse an Oberammergau vorbei floss, wussten wir nicht. Allenfalls ahnten wir es, aber dessen ungeachtet war es uns durchaus ernst mit unserem Dem-Vater-einen-Brief-schicken-Spiel. Der oben abgebildete Brief muss allerdings von einem anderen Ort aus und auf anderem Wege nach Oberammergau (und wieder zurück) gelangt sein.

„Alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen“

Aus Oberammergau am 25.2.1962 an Christl Rumold: „In der Schule läuft es seinen normalen Gang. In der Werkstatt brachte Herr Lang aus Frankfurt gute Aufträge mit, doch leider waren unter den zwölf modernen Modellen ausgerechnet die zwei, auf die ich gebaut hatte, nicht gefragt. In meinen schulfreien Stunden arbeite ich gerade an zwei Bücherstützen, zwei Hirsche im Kampf. Ich lasse sie ziemlich im Eichenblock in einer Art, wie wir sie aus den Höhlen in Frankreich kennen. Außerdem habe ich drei Modelle für den Altar (es ist nur [ein] Seitenaltar als schützende Maria aber immerhin 3,50 Meter groß) nach Köln entworfen. […] Ich habe mit Herrn Huber über den Auftrag gesprochen. Er ist garnicht dafür, daß ich mich vom Meisterstück ablenken lasse, zumal das Meisterstück in seinem Geiste gehalten ist und der Altar auf einen schon vorhandenen Hauptaltar in einem ganz fremden Geist zwar modern aber doch aus einer fremden Welt gehalten werden muß. Es ist zeitgemäß, daß so viele Persönlichkeiten ihren individuellen Stil ausprägen wollen. Das will Herr Huber nicht. Er meint wir haben wieder eine vorromanische Zeit, alles ist zerfahren und aufgelöst in den Formen, wir müssen wieder zurück zu einer geschlossenen Masse. Diese Idee vertrete ich auch, aber um sie verwirklichen zu können, müßte man den Auftrag eines ganzen Gotteshauses haben und nicht eine Teilarbeit einer Kirche.“

Im selben Brief die Mitteilung, dass er im Kino gewesen sei und den Film „Eheinstitut Aurora“ gesehen habe. In der Kritik meines Vaters („gefiel mir sehr gut. Vor allem der Thompson wirkte überzeugend“) kam der Streifen besser weg als im Spiegel 6/1962, wo es hieß: „Allenfalls Elisabeth Flickenschildt in der Rolle der pseudo-adligen Ehevermittlerin leiht dem von Regisseur Wolfgang Schleif angemessen bieder gefertigten Sehstück aus eigenen Mitteln einen Anhauch von Realität.“

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B. Rumold: Kämpfende Hirsche, Eiche, 30 x 13 x 21 cm (1962)

 

Schleiche ich in der Vergangenheit herum?

Am 21. März 1996 notiert der Künstler Hetum Gruber: „Das dringende Bedürfnis nach Geschichtslosigkeit.“ Und am 23. März 1996: „Es ist ziemlich ekelhaft, in der Vergangenheit herumzuschleichen.“ Diese Empfindung kann ich nachvollziehen. Natürlich kam mir, als ich das heute las, die Frage in den Sinn, ob ich hier in der Vergangenheit (meines Vaters und in meiner eigenen) „herumschleiche“. Zu Beginn meiner Vater-Brief-Lektüre vor gut einem Jahr war tatsächlich eine Empfindung im Spiel, die man als eine Art Ekel bezeichnen könnte. Mittlerweile ist dieser Ekel nicht nur der Neugierde gewichen, sondern auch der Freude am Rekonstruieren des Gewesenen. Rekonstruieren heißt in erster Linie neu erschaffen, und die in der Vorsilbe „Re“ enthaltene Behauptung, dass da etwas wiedererstellt werde, ist Illusion und bloße Metapher.

Zwischen Schule und Werkstatt

Brief an Ch. Rumold aus Oberammergau vom 2. Oktober 1961. „Ich höre gerne von meiner Barbara. Von ihr träume ich am meisten. Im Beruf geht es mir noch gut. Ich sollte mich teilen können, damit ich in der Schule und in der Werkstatt sein könnte. Die Schule stetzt halt vor jeder Schnitzarbeit eine geistige Auseinandersetzung voraus und ist ungemein anregend. Die Werkstatt hat natürlich ein anderes Klima, aber mein Chef läßt mich ungehindert entwerfen und frei arbeiten. Hoffentlich geht das noch lange so weiter.“

Dreiundzwanzigster Todestag

Heute jährt sich der Todestag meines Vaters zum 23sten Mal, damals war es ein Samstag. Am Nachmittag des 22.2.1992 rief mich meine Mutter aus dem Städtischen Klinikum Karlsruhe an und sagte mir, was geschehen war. Eine Lungenembolie hatte seinem Leben völlig überraschend ein abruptes Ende gesetzt.

L. Rumold: Holzgrabmal für B. Rumold

Lothar Rumold: Holzgrabmal für Berthold Rumold (Detail)

 

Mit Gruß von Florian Lang

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„[…] das ‚Signum‘ hat unser Florian als Gruß an dich geschrieben.“

Brief vom 5.6.1961: „Liebe Christl! Entschuldige bitte, daß ich so lange nichts von mir hören ließ aber ich war in der vergangenen Woche noch immer unschlüssig ob ich auf die Schnitzschule gehen solle, oder ohne sie den Anlauf auf die Meisterprüfung wagen könnte. Nun bin ich heute doch gegangen und nach der Unterhaltung mit dem Direktor finde ich das „Problem“ aus der Werkstatt zu gehen fast lächerlich, denn es hat mir gleich wieder in der Umgebung der Schule gefallen. Es stellte sich auch heraus, daß auf unserer Schule in Zukunft direkte Meistervorbereitungskurse abgehalten werden. Der erste beginnt am 15. September und geht bis vor die Prüfung im Frühjahr. Ich beginne also im September mit der Schule und bleibe noch so lange in der Werkstatt. […] Christl, das ‚Signum‘ [siehe Abb.] hat unser Florian [Lang] als Gruß an dich geschrieben.“

Dazu der Brief vom 18.9.1961.

Schulbeginn

Aus einem Brief an Ch. Rumold am 18.9.1961: „Jetzt bin ich schon acht Tage auf der Schule [für Holzbildhauerei, Oberammergau] und was den Beruf anbetrifft recht zufrieden. Der Lehrer führt mich sicher in der Arbeit und die saubere Atmosphäre bei ihm tut mir gut. […] Augenblicklich kann ich noch in der Firma [Lang sel. Erben] leicht Geld verdienen durch Entwürfe. Die Frankfurter Messe war erfolgreich mit meinen ‚Madonnen‘. Der Chef zahlt die Entwürfe jetzt auch wesentlich höher.“

Bundesgartenschau 1967

B. Rumold mit J. Fischer und kirchlichem Würdenträger, 1967

B. Rumold mit J. Fischer und kirchlichem Würdenträger, 1967

Die Bundesgartenschau 1967 in Karlsruhe war nicht nur für die Stadt, sondern auch für meinen Vater und den Rest der Familie (ich war damals in meinem zwölften Lebensjahr) ein großes Ereignis. Nicht weit vom Karlsruher Schloss entfernt stand meinem Vater eine Art Freiluft-Werkstatt zur Verfügung, wo er einen lebensgroßen „Markgrafen“ (Gründer der Stadt Karlsruhe, ca. 1715) mit Stock und Hut und Hund aus einem Stamm schlug. Bis in die 1990er Jahre hinein stand der Markgraf ganz in der Nähe seiner „Geburtsstätte“ einsam im Wald.